In die anti-christliche Rubrik ist vor allem Wladimir Majakowski (1893-1930) einzuordnen. Ich möchte ihm nicht Unrecht tun, aber ich habe nirgendwo gelesen, dass er in seiner Jugend positive christliche Gedichte geschrieben hätte. 1906 starb sein Vater an einer Blutvergiftung, er hatte sich mit einer Nadel gestochen. Majakowski hatte eine Bakterien-Phobie und eine Nadel-Aversion. Das ist insofern nicht unwichtig, weil manche, die sich gegen Gott wenden, mit Blick auf ihre Väter unangenehme Erfahrungen gemacht haben. Die Familie zog nach dem Tod des Vaters von Georgien nach Moskau und lebte in Armut.
Er hat sich schon als junger Mensch der Revolution verschrieben, war ihr schriftstellerischer Ausdruck. Gegen Unterdrückung, für Freiheit und Glück der Unterdrückten. Poesie, so soll er gesagt haben, ist der Weg zur Revolution (http://www.planetlyrik.de/wladimir-majakowski-gedichte-3/2019/04/ ) Vielfach wurde er in der Zarenzeit verhaftet. Widmete sich aber zeitweise ganz der revolutionären Kunst. Er wollte mit seinen Gedichten die Arbeitermassen bewegen – gleichzeitig haderte er aber mit der bürgerlichen Moral, die er auch über den Haufen werfen wollte. Weil er seine verheiratete Liebe nicht allein bekam, lebten sie munter zu dritt – dazu kamen weitere sexuelle Ausflüge.
Es handelt sich also um Lyrik im Dienste seiner Weltanschauung. Schon früh auch in Auflehnung gegen Gott – ihn nicht verleugnend, aber anklagend. So soll er 1914 („Aber dennoch„) geschrieben haben, dass Gott mit Majakowskis Büchern im Arm weinend durch den Himmel rennt. Gott kann die Welt nicht besser machen – was soll man mit einem solchen Gott? Das Gedicht „Hymnendichter der Eisenhütten, der Fabriken und Laboratorien“ soll ursprünglich den Titel gehabt haben: „Der dreizehnte Apostel“ – in dem er selbst als 13. Apostel die Muskeln und Taten der Arbeiter den Gebeten entgegenstellt. Biblische Begriffe werden verwendet, aber neu interpretiert – vor allem, indem er sich selbst in diesen Kontext stellt. Das bedeutet: Er versucht sich auf Kosten der traditionellen religiösen Interpretation selbst größer zu machen. Wenn die in den Herzen und Köpfen starke Tradition erwähnt wird – will er, dass er selbst als Bild in Herzen und Köpfen das alte Jesusbild überlagert. Deutlich wird das unter anderem in „Der Mensch“ (1916/1917: s. Kasack, Christus in der russischen Literatur, Urachhaus 2000, 166).
Pasternak hat Majakowski zahlreiche der hier genannten Gedichte lesen gehört. Er schreibt in seinem „Geleitbrief“ (1931): Majakowski sei „nicht der Autor, sondern der Gegenstand einer Lyrik“ (138). In der Zeit der Revolution wird Majakowski extremer und fällt auch ganz wie die Herren seiner Zeit massiver über den christlichen Glauben her – und baut einen Anti-Christ auf („Mysterium buffo“; 1918). Lenin wird zum großen Führer der Massen – im Grunde zu dem, der über allem steht. Nun ist 1924 dieser Messias gestorben – und Majakowski gibt seiner Trauer in dem Gedicht „Wladimir Iljitsch Lenin“ Wladimir Iljitsch Lenin — Wladimir Majakowski, online lesen (vladimir-mayakovskiy.su) Ausdruck. Während in der Sowjetunion die Menschen hungerten, machte er als bekannter Autor seine Weltreisen. Zumindest ist er in den Gedichten solidarisch.
Der Dichter möchte den Menschen im Sinne seiner Utopie gestalten. Und da stören nun einmal alle Gegenstimmen, die Menschen der Verwaltung, die links von ihm Stehenden, seine Kritiker insgesamt – vor allem aber die Realität des Menschen. Und so kämpft er mit allen Mitteln für seine Utopie. Er hatte großen Erfolg – aber nicht alle sahen in ihm den Größten. Es gab Auseinandersetzungen über den Weg der Partei bzw. der Revolution. Langsam aber sicher wurde er kaltgestellt: Er war ihnen nicht mehr extrem genug Wladimir Majakowski: Vers und Hammer (planetlyrik.de)
In dem Gedicht „Die sechs Nonnen“ (1925) spricht Majakowski laut Kasack den Gekreuzigten an, er solle nicht vom Kreuz gehen – doch wenn er wiederkommt, wird er sich vor Gram aufhängen. 1929 gab es antireligiöse Propaganda, in der Glaubende denunziert wurden. Das Gedicht hat Majakowski laut Kasack auch auf einem Allunions-Kongress im Juni 1929 deklamiert, er hielt dort ebenso eine kurze Rede, in der er sich über Glaubende lustig machte und beendete sie (sonderbar): „Genossinnen und Genossen, normalerweise endeten ihre (sc. der Religiösen) vorrevolutionären Versammlungen und Kongresse mit dem Aufruf „mit Gott“, heute wird der Kongress mit den Worten „auf Gott“ enden. Das ist die Losung des heutigen Autors.“ https://web.archive.org/web/20130921054747/http://svb.net.ru/articles.php?id=16 Er schrieb in diesem Zusammenhang der antireligiösen Propaganda das Gedicht: „Wir müssen kämpfen“. Dieses Gedicht schildert, dass Gott hinterhältig sei, dass er überall da sei, in den Ikonen, in Sprichwörtern, dass er mit Paradies-Vorstellungen locke, dass ihn Dichter mit einer ergreifenden Melancholie umgeben würden (1). Weil der hinterhältige Gott überall in der Gesellschaft vorhanden sei, müsse er überall bekämpft werden http://feb-web.ru/feb/mayakovsky/texts/ms0/msa/msa-094-.htm Schon 1916 hat er in „Die Wirbelsäulenflöte“ (1916) Gott massiv anklagend herausgefordert (Etkind 267ff.). Aber es ist der Mensch selbst, der dann das Urteil vollzieht. Und so hat er sich 10 Monate später 1930 selbst getötet. Im Jahr 1929 hat er nicht allein Christen angegriffen, sondern auch den Schriftsteller Pilnjak öffentlich denunziert und mit anderen durch das Kesseltreiben zu Pilnjaks Schwächung, zu seinen Unterwerfungsgesten gegenüber den Mächtigen und somit wohl letztlich zu dessen Verhaftung und Ermordung einige Jahre später beigetragen (Schentalinski: Das auferstandene Wort, Lübbe 1996, 273).
Zwetajewa hat zu seinem Tod geschrieben: Er hat viele Tempel zerstört – und zuletzt (1930 durch Suizid mit 36 Jahren) seinen eigenen. Auch Pasternak hatte Majakowski sehr geschätzt, er habe sich als Dichter gegenüber dem großen Majakowski ganz klein gefühlt und dann seinetwegen versucht, seine eigenen Wege zu gehen. In einem Brief von 6.5.1927 hat er sich für einen Bruch mit Majakowski ausgesprochen, weil er sich künstlerisch nicht weiterentwickelt habe, bzw. warf er der Zeitschrift, an der Majakowski mitarbeitete, Servilität und Kriecherei vor („Eine Brücke aus Papier“ 107 und 109) bzw. dass er die Kunst der Agitation opfere. Majakowski warf ihm hingegen vor, die Lager gewechselt zu haben („Briefwechsel Olga Freudenberg“ 126f.). Dennoch: Pasternak beschreibt in „Geleitbrief“ 166ff. die Erschütterung, die ihn und Majakowskis Freunde wie Bekannte ergriffen hat, nachdem sie von seinem Suizid gehört hatten.
Biographische Hinweise aus: https://ru.wikipedia.org/wiki
(1) Jessenin war ein Konkurrent Majakowskis. Und ich kann mir vorstellen, dass er solche Gedichte wie die von Jessenin im Blick hatte. Allerdings hat sich Jessenin, wie gesehen, auch gegen den Glauben gewendet, aber er schwingt doch in vielen Gedichten als Unterton mit.