Charles Péguy (1873-1914)

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Charles Péguy (1873-1914)

Der Vater starb früh, die Mutter und die Großmutter, die Analphabetin war, zogen ihn auf. Er studierte kurz Philosophie. Verließ die Universität und wurde Buchhändler, ging in die Sozialistische Partei – aus der er bald wieder austrat, weil er Kampf gegen Armut umfassender sah als nur den Einsatz für materiellen Ausgleich. Es ging ihm auch um die Armut der Seele, die der gesellschaftlichen Moral. Péguy trat intensiv für den jüdischen Offizier Dreyfus ein, dem Landesverrat vorgeworfen worden war. Dieser Kampf gegen die auch wirtschaftliche Ungerechtigkeit in der Gesellschaft und den mauschelnden Parteien, die auch aus politisch-opportunistischen Gründen bereit sind, einen Menschen im Gefängnis verschwinden zu lassen, ist typisch für ihn. Er war ein recht streitbarer Mensch – auch gegen eine zerstörerische Moderne und irrende Kirche. Kurz: Er war Kritiker des massiven Fortschrittsglaubens seiner Zeit. Er war sehr verbunden mit dem „niedrigen“ Volk – also mit Menschen seiner Herkunft – mit den sich mühenden Menschen, die die alte Zeit verkörpern. Seine Frau Charlotte Baudouin war nicht kirchlich eingestellt, war nicht getauft, und auch seine vier Kinder wurden nicht getauft, denn im Grunde hatte er in der Familie nichts zu sagen, dominant war die Schwiegermutter. Er begann Werke zu veröffentlichen, nicht nur literarische, sondern gründete eine Zeitschrift, in der auch gesellschaftspolitische Themen angesprochen wurden. Diese Zeitschrift war seine Liebe, aber Einkommen erbrachte sie nicht.

Er ist in Orleans geboren – sein erstes Werk: Jeanne d´Arc, ein Thema, das ihn nicht nur als Lokalpatriot stark beschäftigt, denn in ihr leidet Christus und Christus stärkt sie für ihr Werk. Er besann sich seiner katholischen Tradition und diese begegnet in seinen Werken, wie zu sehen sein wird. Intensiv wird sie in der Trilogie zur Sprache gebracht: Das Geheimnis der Barmherzigkeit, Das Tor zum Geheimnis der zweiten Tugend (Hoffnung), Das Geheimnis der unschuldigen Kinder (Glaube). In Gedichten angeregt durch Pilgerwanderungen zur Kathedrale von Chartres besingt er betend Maria. Bis heute werden diese Wege aufgrund der Erfahrungen von Péguy von Pilgern gegangen. Er war ein freier Mensch – und Freiheit bedeutete für ihn nicht, sich der Moderne anzupassen oder liberalistischen Tendenzen. Diese führen nur in die Unfreiheit. In der Moderne wird der Mensch verflacht – Gott wurde in Jesus Christus Mensch, von daher kann der Mensch das Leben in seiner ganzen Tiefe, ohne Verflachungen annehmen und auch wahrnehmen. Péguy beschreibt somit auch Gottes Ängste um den Menschen.

Vor dem ersten Weltkrieg wandte er sich massiv – auch mit nationalistischer Intention gegen Deutschland, wandte sich gegen den aus seiner Sicht irrealen Pazifismus der Sozialisten. Im ersten Weltkrieg wurde er durch einen Kopfschuss getötet.

(Meine Aussagen beziehen sich auf: Charles Péguy: Das Geheimnis der unschuldigen Kinder, übertragen von Oswalt von Nostitz, Johannes-Verlag 2014 und Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung, neu bearbeitet von Hans Urs von Balthasar, Johannes-Verlag 2019, 6. Auflage. Beide Bände sind in der Reihe Christliche Meister erschienen Bd. 59 und 9. Josph Hanimann: Der Unzeitgenosse. Charles Péguy. Rebell gegen die Herrschaft des Neuen, Edition Akzente, Carl Hanser Verlag, München 2017.

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Seine Trilogie denkt sehr tief über die unterschiedlichsten Themen des christlichen Glaubens nach. Wir finden Reflexionen zum Vater unser, zur christlichen Ethik, in diesen werden aber auch wunderschön Bäume dargestellt, so die Wurzeln und die Knospen, oder das Leben der Menschen, denen Reflexionen zugewiesen werden. Ein Beispiel sei aus der Fülle genannt – aber auch dieses Beispiel kann nur in wenigen Zügen dargestellt werden.  

Das Buch: „Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung“ ist ein, wie soll ich sagen: streckenweise entzückendes Buch? Die drei christlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung, Liebe werden schön dargestellt – und die Hoffnung als kleines Kind zwischen den großen Schwestern, der Ehefrau Glaube und der Mutter Liebe. Man sieht sie zwischen beiden an den Händen her tippeln, aber beide auch ziehend. Irgendwie wird es eben auch kindlich dargelegt. Und das ist das, was ich als entzückend empfinde. Wenngleich es alles andere ist, als leichtsinnig, als schönredend. Die Hoffnung wird missachtet – aber sie ist es, die die Menschheit in ganz eigener Weise voranbringt als Glaube und Liebe. Nichtsdestotrotz werden auch Glaube und Liebe schön dargestellt. Glaube wie Liebe kommen von selbst. Glaube kommt zum Beispiel von selbst, weil Gott aus allen Poren der Schöpfung strahlt. „Um nicht zu glauben, mein Kind, müsste man sich die Augen und Ohren verstopfen. Um nicht zu sehen, um nicht zu glauben“ – so zusammenfassend, was drastisch dargestellt wird, was Menschen tun, um nicht glauben zu müssen, weil sie nicht wollen. Ebenso Liebe: „Um seinen Nächsten nicht zu lieben, müsste man sich vergewaltigen, sich foltern, sich quälen, sich verrenken… Sich entmenschen… Um seinen Nächsten nicht zu lieben, mein Kind, müsste man sich die Augen und die Ohren verstopfen. Vor so viel Schreien der Not.“ Hoffen geht nicht von selbst: „Um zu hoffen, mein Kind, muss man sehr glücklich sein, muss eine große Gnade erhalten, eine große Gnade empfangen haben.

Dann schildert er einen Vater und seine Hoffnungen, die er mit seinen Kindern verbindet. In diesen Hoffnungen werden Kinder ganz dicht mit Jesus zusammengeführt: „Ihr Kinder folgt Jesus nach. / Ihr folgt ihm nicht nach, / Ihr seid Jesu Kinder. / Ihr merkt es nicht, ihr wisst und seht es nicht. / Und ihr wisst es wohl.“ Und je erwachsener Menschen werden, desto stärker entfernen sie sich von Jesus. Ich habe bislang nirgends eine so starke Erhöhung der Kinder gelesen, die aus voller Liebe kommt wie in diesem Werk. (Dazu muss man wissen, dass Péguy sein Kind nicht taufen lassen konnte, also unabhängig von der Taufe sind Kinder Jesu Kinder?) Als seine Kinder krank waren, hat der Vater sie Maria übergeben. Er wendet sich in seinem Schmerz an Maria, denn: „Der Sohn übernahm alle Sünden. / Aber die Mutter übernahm alle Schmerzen.“ Mit einem großen Zorn hatte er gebetet. Es folgen tiefe Reflexionen über Maria, über Leib, Seele, Sünde, Tugenden, Vergebung. Über den Unterschied von Engel und Menschen. Über Jesus, der uns lebendige Worte gegeben hat, damit sie uns nähren: „Somit sind die Worte Jesu, die ewigen Worte Wickelkinder, lebendige Säuglinge aus unserem Blut und aus unseren Herzen.“ Und alles immer mit Blick auf die Hoffnung. So hängt es „von uns ab, / Dass die Hoffnung nicht lügt in der Welt…“. Es werden die letzten Tage der Welt in den Blick genommen: „Und wie man am letzten Tage ein großes Kreuzzeichen schlagen wird über den Sarg der Welt, / Weil es das letzte Begräbnis ist, / So wird man am letzten Tag ein großes Segenskreuz schlagen, / Weil dann die Erfüllung da ist, / Und die Krönung der Hoffnung.“ Tiefe Reflexionen über die Krone folgen (z.B. Dornenkrone), über das Hoffen und Vertrauen auf Gott. Und es geht weiter über die Hoffnung Gottes: „Gott hat auf uns gehofft. Er hat angefangen. Er hat gehofft, dass der letzte der Sünder, / Der elendigste Sünder wenigstens ein klein wenig sich anstrengen würde für sein Heil.“ Es sei hier die Darstellung abgebrochen. Es wird deutlich, dass Péguy eine Fülle an Themen auf tiefe Weise anspricht, bis dahin, dass jeder seinen Sohn, der gestorben ist, begraben möchte, aber Gott es nicht konnte.

Entsprechend auch das Buch: „Das Geheimnis der unschuldigen Kinder“. In diesem finden wir neben vielem, vielem anderen einen großen Lobgesang auf die wahre Freiheit. Die Freiheit des Menschen, die in der Freiheit Gottes begründet ist. Gott lässt den Menschen Freiheit, ihn zu lieben, denn Liebe zu Gott ohne Freiheit ist keine Liebe. Um diesen Gedanken kreist er massiv, bis dahin, dass Menschen freiwillig das Leiden einer Krankheit aufnehmen, und damit ihre Liebe zeigen: Wie Christus für sie gestorben ist, so sind sie für ihn gestorben. Wie kann man Freiheit lehren? Ist das dann noch Freiheit? In dieser Spannung steckt Gott: Wie ein Vater, der seinem Sohn das Schwimmen beibringen möchte. Er muss ihn halten – aber er muss lernen, ihn loszulassen. Denn wenn er ihn immer hält, kann der Sohn nicht schwimmen lernen. Der Sohn muss losgelassen werden, damit er in Freiheit leben kann – auch auf die Gefahr hin, dass er untergeht.

In meiner Darlegung habe ich immer wieder einmal darauf hingewiesen, dass Glaube Grenzen überschreitend ist. Die Liebe ist Grenzen überschreitend – und vor allem auch die Hoffnung. Das wird von Péguy vertieft. Sehr vertieft. Auch wenn er gegen den modernen Fortschrittsglauben ist, er weist mit der Hoffnung in die Zukunft. Es ist die Zukunft Gottes, nicht die des irrenden Menschen.