Stéphane Mallarmé (1842-1898)

Stéphane Mallarmé (1842-1898)

Er war Schriftsteller und Englischlehrer, Redakteur und hat später in Paris einen Dichtertreff veranstaltet, an dem bekannte Persönlichkeiten seiner Zeit teilnahmen. Als Schriftsteller prägte er gemeinsam mit anderen französischen Dichtern die Dichtung des 20. Jahrhunderts. War selbst von Baudelaire beeinflusst, hat Poe übersetzt.

Der Himmel – Gott ist tot – es lebe das schöne Gedicht. Gott ist tot – es lebe der blaue Himmel, das Azur – oder ist Azur Metapher für Gott, den man nicht ergreifen kann? „Der Himmel ist tot. – Zu dir eil ich! Gib, o Materie, / Das Vergessen des grausamen Ideals und der Sünde / Diesem Märtyrer, der das Lager teilen will, / Auf dem das glückliche Menschenvieh liegt, / Denn dort will ich, da endlich mein leer gewordenes Hirn, / Wie der Schminktopf, der am Fuß einer Mauer ruht, / Der Kunst entbehrt, die schluchzende Idee herauszuputzen, / Voll Grauen einem dunklen Tod entgegengähnen…“. Aber er entkommt dem Azur nicht. Das Azur wird triumphieren. Und so endet das Gedicht: „Ich bin verfolgt. Azur! Azur! Azur! Azur!“

Mallarmé erkennt auch das Nichts der Worte – und hinter dem Nichts der Worte das Wesen der Worte, die Schönheit der Worte. Azur – ist eigentlich nichts. Luft. Nicht einmal blau. Es ist gleichzeitig alles. Und dieses Alles lässt ihn nicht los – auch wenn er sich lösen möchte: „… Nur dass ein dünkelhafter Schatz von Kopf / Sein liebkostes Lässigsein ohne Fackel verströmt, // Der deine, Lust und Wonne immerfort! Der deine, / Ja der allein vom dahingeschwundenen Himmel noch bewahrt / Ein wenig kindischen Triumph, dich dadurch schmückend // Hell und klar, wenn du ihn auf die Kissen legst…“ („Siegreich entflohn“). Das Wesen der Worte, das, was hinter den Worten liegt: „Der Meister hat mit tiefem Blick, auf seinen Schritten / Das ruhelose Wunder des Gartens Edens besänftigt, / Dessen letzter Schauer, in seiner Stimme allein, / Für Rose und Lilie eines Namens Geheimnis erweckt.“ Das Wort „Rose“, das Wort „Lilie“ – es sind nur Worte. Hinter den Worten stehen Wesen – steht Vollkommenheit, steht Geheimnis. Geheimnis der Schöpfung, des Schöpfers. Aber Mallarmé möchte Gott entkommen: „schließe die Läden: der Azur, / Der seraphische, lächelt in den tiefen Fenstern, / Und ich, ich hasse den schönen Azur!“ („Hérodiade“) Aber dieser Hass war nicht immer. In „Die Fenster“ beschreibt er einen Sterbenden, der seine Fäulnis am Fenster nicht wärmen möchte, aber sich an die Fenster presst: „Und die Knochen des hagern Gesichts an die Scheiben, / Die ein heller schöner Strahl vergolden will, // Und der fiebrige Mund, nach Azurblau begierig, / So hatte er, noch jung, seinen Schatz eingeatmet, / Eine Haut, jungfräulich von einst! Beschmutzt nun / Mit langem bitteren Kuss die lauen Fenster aus Gold.“

In einem Brief von 1867 (http://www.lyriktheorie.uni-wuppertal.de/texte/1867_mallarme.html ) schreibt er von „meinem entsetzlichen Kampf mit diesem alten, bösen, glücklicherweise zerstörten Gefieder, Gott. Aber da sich dieser Kampf auf seinen knöchernen Schwingen abspielte, die mich durch eine Agonie, eine kraftvollere, als ich es von ihm erwartet hatte, in das Reich der Finsternis entführt hatten, fiel ich siegreich, überwältigt und immer weiter – bis ich mich schließlich eines Tages vor meinem Spiegel aus Venedig wiedersah, so wie ich mich mehrere Monate davor vergessen hatte.“ Diese Zeit vor dem Kampf war die Zeit des Nichts. Er ist nicht mehr er selbst. Er kann nun das geistige Universum wahrnehmen – dieses geistige Universum findet „in diesem Ich seine Identität wieder“. Und diese überdimensionierte Selbstfindung soll dazu führen, Gedichte in vollkommener Reinheit zu schreiben, einen absoluten Text. Aber er ist sich auch bewusst, dass er „nur das Spielzeug einer Illusion“ sein kann. Der Dichter ist so groß, dass er sich das zumutet – aber er weiß, dass er sich überschätzen kann. Einerseits hat er Teil, wie oben gesehen, an dem Wissen des Schöpfers, das Geheimnis hinter den Dingen, andererseits löst er sich vom Schöpfer, will die Schönheit hinter dem Nichts beschreiben, und erkennt sein Unvermögen, vielleicht auch Dichten als Lüge, Suggestion, Einbildung. Eben: Azur – wird personalisiert, ist aber keine Person, ist im Grunde Illusion, nichts. Aber: Auch von dieser Suggestion will er sich lösen.

Wie in dem Zitat „Gott“ zu verstehen ist? Mir erschließt sich das nicht, denn es wird ja eher ein diabolischer „Gott“ beschrieben. Erinnert mich eher an Lucifer, den gefallen Engel mit seinem „Gefieder“, von dem er sich als „Gott“ gelöst hat. Aber das mögen Mallarmé-Kenner eruieren.

Textgrundlage und ein Teil der Interpretationen basieren auf: Stéphane Mallarmé: Poésies/Gedichte. Französisch/Deutsch, Übertragen von Hans Staub und Anne Roehling, mit einem Nachwort von Yves Bonnefoy, Reclam 2010.