Reinhold Schneider (1903-1958)

Reinhold Schneider (1903-1958)

In einem Hotelbetrieb aufgewachsen, wird er nach dem Abitur kaufmännischer Angestellter, bricht mit ca. 18 Jahren nach dem Tod seines Vaters zusammen, sah im Leben keinen Sinn mehr. Er wendet sich ganz der Literatur zu. Depressionen schränken seine Freiheit sehr stark ein.

Reinhold Schneider war während der Zeit des Nationalsozialismus – vor allem in den letzten Jahren einer der ganz bedeutenden Schriftsteller. Bedeutend nicht nur, weil er literarisch kunstvolle Werke schuf, sondern weil er den Menschen in Not helfen konnte. Er war kein Mitläufer, hat sich nicht von der nationalsozialistischen Ideologie blenden lassen, sondern hat sie als bösartig dargestellt. Die Vergötzung der Macht, Gott zu stürzen, um eine menschliche Macht aufzubauen, das kollidiert mit dem christlichen Glauben. Und das ist das Bedeutsame: Er hat den Menschen die dunklen Zeichen der Zeit aus christlicher Perspektive gedeutet – und gleichzeitig auf Hoffnungsschimmer hingewiesen, wie gleich zu sehen sein wird. Er hat den von Ideologen übergrölten Menschen eine stille Basis geboten. Ein sehr bedeutsames und prophetisches Werk mit Blick auf die Menschenrechte ist: „Las Casas vor Karl dem V.“ (1938). In diesem Werk hat er vielleicht seiner Zeit einen Spiegel vorgehalten – aber vielleicht doch erst geahnt, was kommen wird. Nach seiner Aufsatzsammlung „Macht und Gnade“ (1941), die auch für Willi Graf (Mitglied der Weißen Rose) von Bedeutung war, darf er nicht mehr publizieren. Seine Gedichte – Sonette – wurden von Hand zu Hand weiter gegeben, wurden auswendig gelernt, sie wurden gesammelt und als Hilfestellung gedruckt („Das Gottesreich in der Zeit“ hg. V. J. Kessels 1944). Der Druck war vielleicht illegal – aber ob geheim? Die Sonette waren Lebenselexier für leidende Menschen. Warum Sonette? Sonette haben einen klassischen, unaufgeregten Aufbau. In einer Zeit der großen Nöte, geben sie ein Stückchen mehr Sicherheit, bringen Ordnung in das Chaos. Sie sind von der Form her ganz unaufgeregt – aber brennen ihren Inhalt ganz ruhig und sachlich in die Seele des Menschen ein.

Mit unzähligen Menschen stand er in Briefkontakt – konnte allerdings nicht auf alle reagieren. Obwohl viele Briefe kriegsbedingt zerstört wurden, sind noch ca. 30.000 erhalten. 1945 wird er auf Betreiben Bormanns des Hochverrats angeklagt. Eine Gerichtsverhandlung fand nicht statt, weil Schneider erkrankte. Somit entkam er – so wird vermutet – der Todesstrafe und konnte nach der Befreiung 1945 weiterhin wirksam werden. Er bekam viele Preise und Ehrungen. Er setzte sich vehement gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands ein. Soweit ich das als Nachgeborener beurteilen kann, war er recht bescheiden, und so beschreibt er seine „Wende“ zum christlichen Glauben auch so: „Doch auch das Werk ist eitel ohne Segen, / Und erst im Jenseits werd ich ganz gesunden, / Auf Erden will ich nichts mehr als verehren.“ Daraus folgt, das zu tun, was Gott ihm aufgetragen hat. Damit steht er diametral seinem berühmten Kollegen Gottfried Benn gegenüber, der – um es salopp zu sagen – in seinem Tun einfach nur etwas tut. (Interessant die Diskussion: https://www.youtube.com/watch?v=FGLCEuASiyk ) Benn gibt luftiges Weißbrot – Schneider nahrhaftes Brot in notvoller Zeit. Wer von beiden vielen unserer Zeit mehr liegt, ist klar. Aber unsere Zeiten können sich wieder ändern – und in diesen Zeiten wird Reinhold Schneider mehr zu sagen haben, wenn man ihn nicht wieder wegen Hochverrates zum Schweigen verurteilen will.

In seinen Gedichten macht er nicht das, was heute theologisch sehr beliebt ist: Er zieht Gott nicht aus der Geschichte heraus – vor allem nicht dann, wenn sie dem Menschen entgleitet. Er ringt in dieser Geschichte, mit all ihren Bösartigkeiten um Gott. Denn erst dann, wenn Gott wie auch immer mit den schlimmen Verhältnissen in Verbindung gebracht werden kann, kann auch Gott als wirkmächtige Größe in der kommenden Geschichte gezeigt werden: Gott wird die schlimme Situation wenden. Gott wird von Schneider nicht, wie es heute vielfach getan wird, entlastet. Gott wird in seiner ganzen Spannungsbreite wahrgenommen. In Jesus Christus kam Gott in die Menschheitsgeschichte, um sie zu prägen. Das schließt Scheitern mit ein – auch für die Nachfolger. Damit schafft er sich nicht Gott nach dem Bilde, versüßt ihn auch nicht zum lieben Gott, sondern ringt um ihn, wie Jakob mit ihm ringt. Schneider hat diesen Schlag Gottes – wie Jakob/Israel – bekommen: seine Schwermut, er sah sie auch als eine Art Opfer an, als Sühne, als Kreuz. Er macht ernst mit dem Thema Kreuz. Es wird nicht verharmlost. Es wird in sehr vielen Gedichten von allen Seiten sinnend umrundet. Im Schriftsteller, so sah es Schneider, fokussiert sich das Leiden der Welt und er hat es zu tragen und Wort werden zu lassen, damit Gott geehrt wird. Die Schwermut begleitete ihn Zeit Lebens.  Er war nicht von Anfang an christlich orientiert, er begann in den 30er Jahren den christlichen Glauben für sich zu entdecken und entschloss sich 1937 dem Katholizismus zuzuwenden. Er verunglückte 1958 am Karsamstag. Als eines seiner letzten Worte wird überliefert: „Jetzt ist mir alles durchsichtig und klar…“.

 Seine Sonette – und hier beziehe ich mich zuerst auf den Band: „Die neuen Türme“ – beschreiben die dunkle Situation – gehen dann über, Gottes gutes Handeln anzukündigen bzw. die Verantwortung der Glaubenden anzusprechen. In „Nun baut der Wahn die tönernen Paläste“ wird das vertieft. Der Wahn, der seine Zeichen in die Straßen rammen lässt, „Er treibt das blindverwirrte Volk zusammen / Vom Lärm zum Lärme und vom Fest zum Feste.“ – Bei diesem Satz muss man sich vor Augen führen, dass der Nationalsozialismus von Anfang an mit Lärm, Musik, mit Jubel versuchte, die Menschen in euphorische Stimmung in Festtags-Taumel zu versetzen. Aber: „Schon reißt der höllische Schwarm verruchter Gäste / Die letzten mit, die beßrer Art entstammen, / Und tanzend in des Hasses grelle Flammen, / Entweihn sie noch der Toten arme Reste.“ Und diese Zeit, in der die besseren Menschen verfolgt und ermordet werden, gilt es: „Jetzt ist die Zeit, das Kreuz des Herrn zu lieben / Und auszufüllen jeden unsrer Tage / Mit Opfer und Verzicht und heißen Bitten.“ – Dann wird die Erwartung des Handelns Gottes ausgesprochen: „Es wird das Wahnreich über Nacht zerstieben“ – und die Verantwortung des Einzelnen in den Blick genommen: „Und furchtbar treffen uns des Richters Frage, / Ob Stund um Stunde wir sein Reich erstritten.“ Auch das berühmte Gedicht: „Allein den Betern kann es noch gelingen, / Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten“ spricht die reale Situation als eine an, in der Menschenhochmut Unheil bringt, dem wird die demütige Haltung der Betenden entgegengesetzt: „Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt / Und in den Tiefen, die kein Aug entschleiert, / Die trocknen Brunnen sich mit Leben füllen.“ – Diese scheinbare quietistische Haltung ist dem Gebet nur dann vorzuwerfen, wenn man die Theologie Schneiders in einer Zeit, in der Aktivismus hoch im Kurs steht, nicht versteht, wie ich sie dargestellt habe. Aber er kann auch deutlicher werden. So in: „Für Menschen nicht und nicht für irdische Zeichen“: „Wer handelt, Herr, vor Dir? Wer eilt Dir zu / Durch das Gestrüpp der Macht? Wer blickt Dich an / Und greift zur Krone furchtlos und zum Schwert? / … / Doch nur die kühnste Tat ist deiner wert.

In „Der Getriebene“ wird nicht zur Tat aufgerufen, wird nicht Gottes Handeln angedeutet. In diesem Gedicht wird nur die dunkle Macht geschildert: „Er kommt auf heißen Rädern hergeflogen, / Den Wahn verbreitend und vom Wahn gefeit, / Indes ihn aufgewühltes Volk umschreit, / Aus dem er gierig seine Kraft gesogen.“ An dieser ersten Strophe wird schon deutlich, wen er meint – und: das Volk stärkt den Getriebenen. Das Volk ist nicht Opfer, sondern beide bedingen einander. Auch das Dämonische wird angesprochen – aber nicht, um Hitler zu entschuldigen, da er ja doch nur Handlanger des Bösen war, sondern: „Um seine Stirne fliehn Dämonenschwärme / Und treiben ihn, die selbst er angetrieben, / In seines Schicksals Abgrund ohne Halt.“ Zeitgenossen haben hier eine Deutung Hitlers bekommen, haben ihn vielleicht neu sehen gelernt: Nicht der bewunderte Führer, sondern der finstere Verführer – aber eben in Wechselbeziehung zum Volk. In „Der Antichrist“ von 1938 wird der Fokus stärker auf Hitler und das Satanische gelegt.

Dem Antichristen wird 1942 „Der Retter“ entgegengestellt. Er wird von Gottes Frieden bestimmt, sein Wort ist mächtig – und er übt Gericht. Die Form des Gerichts: „bis der Fürst der Nacht / Ihm an das Herz in letzter Stunde fällt.“ Das heißt: Er macht mit der Feindesliebe ernst. Gericht bedeutet: Der Antichrist unterwirft sich Christus (vgl. Paulus im Philipperbrief 2).

Mit Hilfe der Gedichte aus Reinhold Schneider, Gesammelte Werke, Bd. 8 (suhrkamp taschenbuch 1418) lässt sich vieles von dem Gesagten vertiefen. Vielfach umschreibt er das Ereignis, das in seinem Leben die Wende zum Glauben gebracht hat, es wird die notvolle Zeit in den Blick genommen. Auf zwei Gedichte möchte ich noch besonders hinweisen. Einmal auf „Die Versuchung des heiligen Antonius“. Ich finde, dieses Gedicht fasst bildhaft das Denken von Schneider zusammen: Zunächst wird die boshafte Zeit beschrieben, dann „Wo bist Du, Herr? Ich bin allein im Streit, / Tief in den Schluchten nachtverhangner Zeit, / Aus der mein Rufen einsam widerhallt.“ Die trotzige Reaktion auf die Zeit: „Sie sollen meine Seele nicht gewinnen! / Erniedrigt, schütz ich, was mir anvertraut“. Die letzte Strophe weist auf das Kommen Gottes und: „Dein Auge schaut / Den fernsten Knecht am dunklen Tor der Welt.

Sodann möchte ich noch hinweisen auf: „Wie sollt ich, Herr“ – das mit den Strophen endet:
„Du hast die Welt geheiligt durch dein Kommen
Und hast verklärt den Wandel der Planeten
Und in Dein Licht die Erde aufgenommen;

Im ganzen Weltenkreis, den Du betreten,
Ist eine Sehnsucht ohne Maß entglommen,
Dein Lob zu künden und Dich anzubeten.“

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Diese Gedichte sind Trostgedichte von Glaubenden für Glaubende. Sie haben den Mut, in Glauben loser Zeit, den Glauben zu bekennen, sie haben den Mut, gegen Glaubens-Aggressive der Zeiten, aus welcher Richtung auch immer, den Glauben zu bekennen. Und das machen Schneider und viele andere mit Hilfe von Gedichten, mit Hilfe lyrischer Texte. Damit stehen sie in einer ca. 2000 jährigen Tradition.

Trostgedichte sprengen Grenzen. Der Hoffnungslosigkeit wird Hoffnung entgegengesetzt, der Einsamkeit: Gemeinschaft, der Lieblosigkeit und den Gewalttätigen gegenüber wird Standhaftigkeit gefordert. Das ist möglich, weil Gott für sie eine Realität ist.