Innokenti Annenski (1855-1909)

Innokenty Annenski (1855-1909) war vor allem im Lehrberuf tätig. Er war Direktor an Gymnasien, übersetzte Gedichte, schrieb Dramen, war Literaturkritiker, schrieb Essays zur Pädagogik – und war auch sehr einflussreicher Dichter, allerdings erst nach seinem Tod. Zu Lebzeiten hatte er nur wenig Gedichte anonym veröffentlicht, sein Sohn veröffentlichte sie nach seinem Tod. Sie haben Pasternak, Achmatowa und andere beeinflusst.

Sein Vater war zeitweise Vorsitzender der Provinzregierung Westsibirien und im Innenministerium tätig. Innokenti studierte Geschichte und Philologie und sah sich selbst als einer der letzten Vertreter der klassischen Philologie. Er wurde an verschiedenen Gymnasien Direktor, dann in den schweren Jahren 1905/1906 abgesetzt, weil er mit den Schülern zu freundlich umgegangen sei. Er wurde gefragt, warum er nicht den Schuldienst verlasse. Seine Antwort sinngemäß: Das wäre schon schön gewesen; aber ein Verteidiger des Klassizismus habe nicht das moralische Recht, umzingelt von Feinden, die Fahne niederzulegen. 1906 wurde er bis zu seinem Ruhestand 1909 Bezirksinspektor. 1879 wurde sein Sohn geboren, der nach dem Tod des Vaters für die Veröffentlichung von Gedichten sorgte.

Annenski wird dem Existentialismus zugeordnet, eine Nähe zu Kierkegaard. So wird auf der Seite über den Autor Innokenty Fjodorowitsch Annenski – Wikipedia ein Wort zitiert: „Wir sind umgeben und konstituieren wahrscheinlich zwei Welten: die Welt der Dinge und die Welt der Ideen (…) Kraft des Strebens, das der Schöpfer in uns gelegt hat, streben wir ewig danach, die Welt der Dinge mit der geistigen Welt zusammenzubringen, indem wir unser sterbliches körperliches Leben durch die göttliche Berührung der idealen Welt reinigen, erleuchten und erheben lassen, und das ist die ganze Schönheit und der ganze Sinn unseres Daseins.“ (Übersetzung bing)

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Das Sehen, spüren der Natur führt zu dem Versuch, Christus zu erkennen: „Das Ende des Herbstmärchens“ https://stroki.net/content/view/1321/9/ und „Die Tochter des Jairus“ https://stroki.net/content/view/1404/9/ zeigen das. Sterben der Natur – Sterben Christi. Auferstehung der Natur im Frühjahr – Auferweckung durch Christus. Die letzten Strophen des Gedichts „Die Tochter des Jairus“ lauten: >Er, der die Sünden der Welt aufhob, / Der die Ströme der Tränen trocknete, / Hat einst die Tochter des Jairus / So auferweckt, Christus? // Der Docht flackerte nicht, / Der Wind rief nicht das Tuch herbei… / Der Erretter näherte sich der schlafenden Frau / und sagte leise zu ihr: „Steh auf!“< Der Hinweis auf den Docht und das Tuch ist durch die vorangegangene Erwähnung des Schmelzens des Eises bedingt. Da ist nämlich das Frühlingsfeuer schon unter dem Schnee und der Wind vertreibt das Schneetuch. Bei der Tochter des Jairus war kein Leben mehr. Allein der Erretter sprach leise.

Als sanfter Lehrer wurde Annenski abgesetzt. Das Gedicht „Kinder“ zeigt, dass man sorgsam mit Kindern umgehen müsse, dass man sie nicht ängstigen solle. Auch hier weist er wieder auf Christus: „Doch unschuldige Kindertränen / Noch können sie ihre Tränen mit Reue abwaschen, / denn Christus ist in ihnen, / mit seiner ganzen Ausstrahlung in ihnen.“ Die letzte Strophe weist auf Kinder, die Schmerzen ertragen müssen – und er redet „Männer, Brüder“ an – wobei ich die letzte Strophe nicht verstehe. Spricht sie Lehrkräfte an, die ihren Frieden haben, indem sie Kinder quälen, das heißt – wohl gesonnen: erziehen?

Das Gedicht „Palmsonntag“ bzw. „Palmwoche“ https://stroki.net/content/view/1364/9/ spricht von einem Gottesdienst im Frühjahr. Es spricht davon, dass der Winter in Ruhe in Weihrauchdämpfen davonsegelt, Ikonen sehen ruhig mit ihren tiefen Augen hinterher, und: auch die Lazarusse, die vergessen sind, sehen ruhig hinterher. Der Frühjahrs-Mond steht über allen, die sterben werden, und die Tränen fallen auf die rötlichen Wangen des Cherubs – des Engels, der vor dem Paradies steht. Hier ist es nicht Jesus, der Lazarus auferwecken wird, Lazarus wurde vergessen. Der normale Lazarus – der normale Mensch scheint vergessen. Aber die Tränen berühren den Paradies-Engel – der Mond ist versunken, der neue Morgen der Palmsonntagswoche bricht an.

In einem schönen Abendgedicht beschreibt er, wie es dunkler wird. Er hört die Glocken, die zum Gebet gehen – und er fordert, sie sollen ihn mitnehmen, denn er selbst ist zu schwach dazu. Der „Staub des glitzernden Tages“ wird zum Frieden gelockt. Oder doch nicht? Werden wir frieren, wie die Inseln in den kühler werdenden Gewässern? Das Gedicht beginnt mit der Zeile „Der Sonnenuntergang läutet auf dem Feld“ https://stroki.net/content/view/1433/9/ . Annenski verbindet Visuelles mit Akustischem – lässt gleichzeitig das Visuelle das Akustische bewirken, auch wenn nicht der Sonnenuntergang läutet, sondern eben die Glocken während des Sonnenuntergangs. Und das macht viele Gedichte aus: Man muss sich in das Visuelle und in das Akustische hineindenken. Und so interpretiere ich auch die letzten Zeilen, dass er vom Strand aus Inseln sieht, die aufgrund der kommenden Nacht frieren werden. Versprechen die Glocken nur Frieden – oder wird es auch in der Welt des Gebets kaltes Erstarren geben?

In dem Gedicht „Bogen und Saiten“ spricht er in Aufnahme eines Gleichnisses Jesu aus, dass er nicht betet, denn er wisse nicht, wie. In der Kirche würde er neben dem Pharisäer stehen, mit ihm verstummen, aufstehen, sich freuen. Der Zöllner in ihm ist „zerknittert“ / demütig und sehnt sich.

Das Gedicht „Welcher ist es“ https://stroki.net/content/view/1349/9/ dreht sich um die Nachtgedanken eines Dichters. Vor dem Einschlafen: Fesseln des Daseins werden abgelegt, das Ich ist frei! In den Träumen kommt alles vor, was versteckt wurde, doch die Nacht spricht, ein Gedanke kommt. Ein leidenschaftlicher Gedanke, eine Wunde. Aber der Dichter im Halbschlaf gibt ihn auf. Und so betet er zum Schluss: „O König des unzugänglichen Lichtes, / Vater meines Wesens, / Öffne wenigstens das Herz eines Dichters, / das du für mich erschaffen hast.“

In dem Gedicht „Geburt und Tod des Dichters“ https://stroki.net/content/view/1339/9/ beschreibt er die Geburt des Dichters, sein Wirken, sein langsames Verstummen, seinen Glauben (in Aufnahme eines Gleichnisses Jesu und des Todes Jesu: „Oh, die Schriftrolle ist traurig! / Verrückte Zeilen, / Wie ein Gast bei einem Festmahl / In ungebührlichen Kleidern / Ich lese und weine… / Es ist eine neblige Nacht / Die kalten Sterne, / Da ist das Herz eines gläubigen Herzens / Drei Tage Qual“), seinen Tod. Und zu dem Tod schreibt er: Der Schatten der Nacht (des Todes) soll zu dem Stern von Bethlehem werden, soll zu dem Diamant auf der Brust des Dichters werden, der den Dichter zu Gott führen wird. Der Dichter wird bestattet auf dem Friedhof. Dort herrscht Stille. Der Friedhof ist der Ort der Sehnsüchte, an dem Wille, Glück und Gedanken Weite begehren.

Die Glocke spielt auch in dem Gedicht eine Rolle, in dem er von seinem Sterben spricht https://primoverso.ru/stihi-russkie/stihi-annenskiy/stihi10101.shtml : „Wenn ich bei Einbruch der Nacht, mit müder Hand / Meine Arbeit beenden werde, / würde ich mich gerne zurückziehen / In ein Kloster, doch in einem fernen Wald, / Wo ich jedermanns Diener sein würde / Und ein Freund der Schöpfung des Herrn, / Und die Kiefern wären schattig um mich, / Und Schnee auf den Tannen… / Und wenn die Messingglocke über mir läutet, / Der helle Ruf in der dunkelsten Nacht, / Lass das geschmolzene Wachs einer ausgebrannten Kerze / Auf den kalten Granit fallen.“
Es ist kein Gedicht, das dem Auferstehungsglauben Raum gibt. Wie in dem Gedicht, „Der Sonnenuntergang läutet über dem Feld“ ist vom Erkalten die Rede. Die vorangegangenen Worte sind prall gefüllt mit Glauben. Er würde gerne im Kloster leben – mit dem Wort Kloster ist eine Unmenge an Glaubensinhalten verbunden. Er würde gerne in einem Kloster im Wald leben – was ist alles mit dem Wort „Schöpfung des Herrn“ an Glauben zu verbinden! Die Gebetsglocke läutet in der Nacht – in der er sterben möchte. Auferstehungserwartungen, die in anderen Gedichten zu erkennen waren, vermag ich in diesem nicht zu sehen. Der Mensch – das geschmolzene Wachs – wird ausgegossen auf kaltem Granit. Endet der tiefe Glaube des irdischen Menschen hier?

Die Gedichte wurden weitgehend mit Hilfe der Übersetzung von DeepL interpretiert. Hinweise zur Biographie wurden nur dem russischen Wikipedia entnommen.