Paul Claudel (1868-1955)

Paul Claudel (1868-1955)

Geboren am 6.8.1868 in der Champagne. Er war der jüngere Bruder von Camille Claudel. Camille Claudel war eine dominante Schwester, die Bildhauerin wurde, mit Rodin liiert war. Sie hat ihn wohl verlassen, weil sie nicht eine Frau neben einer anderen sein wollte. Danach ist sie geistig verdunkelt und wurde Jahrzehnte lang in einer Psychiatrie betreut, kaum beachtet von der Familie – einer Familie, die wohl insgesamt recht unharmonisch und nicht religiös war. Paul Claudel hatte mit 18 Jahren an Weihnachten in Notre Dame (Paris) ein Erweckungserlebnis (1886). Das von dem Werk Rimbauds mit beeinflusst war. Denn durch das Ringen Rimbauds mit Gott hat Claudel erkannt, dass Materialismus nicht alles ist. Sein Leben lief aber noch nicht sofort in geordneten Glaubensbahnen. Paul Claudel hat 1906 Reine Sainte-Marie-Perrin geheiratet und sie haben vier Kinder gehabt (und wohl mit seiner Geliebten Rosalie Vetch, die ihn verlassen hat, vor seiner Heirat mit Reine, hatte er eine Tochter). Er wurde nach dem Jura- und Politikstudium mit 27 Jahren als Diplomat nach China entsandt (wirkte unter anderem in Japan, Brasilien, USA u.v.a.). In all diesen Ländern hat er schwere Zeiten miterlebt, zum Beispiel in China den Tod der Kaiserin, den kleinen Kaiser, in Deutschland den Beginn des ersten Weltkrieges, in Japan das Erdbeben von 1923, in den USA den Black Friday an der Wall Street, die Unterzeichnung des großen Paktes, der den Krieg ächten sollte 1928 (Briand-Kellogg-Pakt). Überall versuchte er kulturelle Kontakte zu knüpfen, vor allem auch mit Christen. Auch zu vielen Dichtern Frankreichs, die dem Glauben zugewandt waren, hatte er Kontakte geknüpft bzw. sie kamen durch ihn zum Glauben (z.B. Peguy, Jammes). Seine Werke wurden  beachtet, sie haben während und nach dem Krieg vielen Menschen Hilfe gegeben, wurden auf mancher Bühne gespielt, zum Beispiel „Mariä Verkündigung“, „Der seidene Schuh“, „Mittagswende“. Er schrieb auch Kommentare zur Bibel. Während seines Lebens hat er in Frankreich nicht nur Bewunderer gehabt, sondern wurde auch aufgrund seines Glaubens angegangen. Am Ende seines Lebens wurde er vielfach geehrt.

Er hat viele – und vor allem lange, assoziatiav-inhaltsreiche – Gedichte geschrieben. Leider kann an dieser Stelle nur das eine oder andere angesprochen werden.

Textgrundlage: Paul Claudel: Gedichte. Mit einem Nachwort von Hans Urs von Balthasar, F.H. Kerle Verlag Heidelberg/Benziger Verlag Einsiedeln 1963 (Gesammelte Werke I). Zur Biographie: Louis Chaigne: Paul Claudel. Leben und Werk, F.H. Kerle Verlag Heidelberg 1963 (Dt. übertragen: Klara Marie Fassbinder)

In den „Versen der Verbannung“, geschrieben in China, finden wir das Gebet: „Du hast mich, Viel-Geliebter, übermocht, du Feind“. In diesem Gedicht beschreibt er, dass Gott ihn überwunden hat und Gott ihm näher steht als ihm seine eigenen Gedanken stehen. Er schließt sein Gebet: „Gestrenger Richter, ewiger, allheiliger Gott, / Lebendig leg ich mich in deine strengen Hände.“

In den Oden wird er weicher – aber auch gesprächiger. Eine Fülle von Themen werden angesprochen. Nur ein paar Aspekte seien genannt. In der 2. Ode, ebenfalls in China entstanden, reflektiert er über den Geist Gottes, das wahre Wasser; die irdischen Wasser haben Durst nach dem wahren Wasser Gottes. Er, der Sänger der Oden, ist nun, weil er von diesem Wasser getrunken hat, nicht mehr Teil des Geschaffenen, sondern hat Anteil an dem Schöpfer. Ihn bittet er um Freiheit, um wahre Freiheit, also auch die, die von der Freiheit befreit, die zur Einheit mit dem Schöpfer führt. Aber die wahre Einheit mit Gott wird durch das irdische Sein verhindert. Das heißt aber nicht, dass der Mensch erst nach dem Sterben bei Gott ist, denn, so spricht er Gott an: „Du bist hier.“ Und so kann er die irdische Welt neu sehen, er kann seine Schuld neu sehen. Er steht an der Schwelle zur Weisheit Gottes und hier empfängt nur die Seele, es geht nicht mehr um irdische Worte, es geht um Überwindung der Worte: die Seele empfängt. In der 3. Ode, „Magnificat“, ist er der Empfangende, der Befreite, als Stimme der Empfangenden und Befreiten seit Alters: „Sei gelobt mein Gott, der Du mich befreit hast von den Götzen, / Und bewirkst, dass ich nur Dich anbete und keineswegs Isis oder Osiris, / Oder die Gerechtigkeit oder den Fortschritt oder die Wahrheit oder das Göttliche oder die Humanität oder die Naturgesetze oder die Kunst oder die Schönheit.“ Aber wie die Weisen aus dem Morgenland den Stern schauten, so schaut er den nächtlichen Himmel mit dem andauernden Schöpferwirken in kosmischen Nebeln. Im Kosmos hat Gott Großes getan – aber auch in Maria, die er zitiert, „in mir“. Und Gott befreite vom Tod, der in allen möglichen Philosophien zum Ausdruck kommt. Im Gegensatz zu den Todesphilosophien: “Herr, Du hast in mir einen Keim gelegt, nicht des Todes, sondern des Lichts“. Und da das Gedicht zur Geburt seiner Tochter gedichtet wurde, besingt er sie, das neugeborene Leben: „O Kind auf fremdem Boden niedergekommen! O kleines Rosenherz! O kleines Bündel, frischer als ein großer Strauß weißen Flieders!“ Und er vermischt die Geburt seiner Tochter mit der Geburt Jesu – und es endet mit dem Lied des Simeon. Es wird deutlich, wie sehr er die Gegenwart mit der Heilsvergangenheit zusammenführt. Er führt auch die Antike mit der Gegenwart der Gnade Gottes zusammen. Musen werden in der ersten Ode verchristlicht, in der vierten Ode wird die Gnade Gottes mit der Muse verbunden – die Muse, die Gnade, fordert ihn, den Sohn des Lehms, dessen „Glutball des Geistes wie eine Grille in Gottes Sonne“ ist, während einer Diskussion zu einem Leben in Heiligung auf. Die Gedichte werden im Grunde wie ein Baum von einem Stamm bestimmt, von dem aber unterschiedlichste Zweige ausgehen.

In den „Corona Benignitatis Anni Dei“-Gedichten finden wir das auch: Das Hin und Her von Gegenwart, Vergangenheit, Mensch, Gott. Im „Gebet für den Sonntagmorgen“ lesen wir: Gott ruht am siebten Tag, so lautet es in der Schöpfungsgeschichte. Wo ruht Gott? In meiner Brust, so Claudel. In dieser Sammlung von Gedichten dichtet er liturgische Texte zu Feiertagen und zu zwölf Aposteln – Paulus statt Judas. In anderen Sammlungen dichtete er zu Ehrentage von Heiligen. „Die Messe fernab“ – ein Text, den Claudel in Brasilien erstellte – in der Zeit des ersten Weltkrieges. Er wählt Teile der Messe aus, um sie in Texten – auch hier wieder – in Bezug auf sein Leben zu reflektieren. Das macht sie, anders als liturgische Gedichte anderer Schriftsteller nicht unbedingt für die Liturgie brauchbar. Aber das wird auch nicht sein Ziel sein. Sein Ziel, zumindest lassen es die Gedichte erkennen: Die alte Liturgie bringt in uns etwas zum Schwingen, das uns bis in die Zeit Jesu zurückführen kann, sie bringt in uns Erinnerungen zum Schwingen, sie bringt uns dazu, manches zu klären. In „Lesungen“ lässt er sein Leben insofern Revue passieren, dass er unterschiedlichste Kirchen, die er in der Welt besuchte, nennt und dann mit Blick auf die weltweite Bibel-Lesung schließt: „Ich folge den gesenkten Augen des Priesters und den leuchtenden Lippen, die sich regen.“ In „Wandlung“ setzt er sich mit Rimbaud auseinander. Rimbaud ist im Grunde in seiner Unruhe wie die Witwe im Gleichnis Jesu gewesen, die ohne aufzugeben die verlorene Münze gesucht hat. Und dann „Nie kam dir Arabien befremdender vor und die Heimlichkeit Afrikas, / Als deinen Augen die Heimat am Tag, da dich Gott aufstörte an der Maas.“ Gott ist alles, aber Schöpfung besteht daraus, dass Gott sie aus sich herausgesetzt hat, sie ist nicht Gott, sie ist außerhalb seiner. Doch die Ahnung Gottes steckt in uns. Und das auch in Rimbaud. Als Beweis dafür: Im Heimathaus Rimbauds hat Claudel etwas entdeckt: „Nehm ich dafür zum Zeugen das Kreuz, in den Werktisch geritzt als Schlussstrich zu deinen Gedichten.“ Rimbaud musste sich in einem heidnischen Jahrhundert wieder neu Gott erkämpfen: „Das einzige Mittel für dich, ins Leben zu kommen, war der Tod.“

In dem Gedicht „Marschlied für den Gang zur Christmette“ besingt er das Weihnachten in dem Jesus geboren wurde. Er beschreibt die ganz neue Welt. Erst ist sie die alte: „Armer Jesus, wenn Du Dich einstellst, ist im Gasthof stets eine Kammer zu wenig.“ Und dann um Mitternacht, Anbruch der neuen Welt durch die Geburt Jesu. Alle werden aufgefordert einzutreten in die Höhle: „Der Dummkopf bringt seine Dummköpfigkeit, der Sünder seine Niedertracht“ alle bringen als Gabe ihre Lasten, ihre Sorgen, ihr Unvermögen. Unruhe erfasst die gesamte Welt, „Erheb dich aus dem Staube, du Häftling, und vernimm meinen Ruf an dich, / Denn ich selber war´s, der zu euch sprach, und nun seht: Hier bin Ich!“ – ruft Gott den Menschen zu. Nicht nur die himmlische und die irdische Welt werden unruhig, unruhig wird auch die Unterwelt. „Sieht man die Erde erbeben und hinab bis zum tiefsten Adam sich spalten! / Aus der Enge und dem Schmerzverlies werden kraftlose Rufe vernommen / Der seufzenden Seelen: O mein Sohn, so bist Du endlich gekommen!“ Und dann, als der Tag graut, gehen alle Irdischen wieder ihren normalen Tätigkeiten nach. Aber eines hat sich geändert: „Hienieden wie im kommenden Leben wird Gott mit uns bleiben ständig“.

Er geht von seiner Zeit aus – und befindet sich auf einmal in der Zeit Jesu. Ebenso im Gedicht Osternacht: „Durch vorhanglose Fenster seh ich längst einen kleinen Stern, der mir lacht. / Ich liege wach. Die Nacht von Karsamstag auf Ostern ist nicht zum Schlafen gemacht.“ Und dann wandert er durch die Zeit in die Zeit Jesu: „Dass etwas geschieht, erfahren wir erst, nachdem es geschah, / Plötzlich wird uns gesagt; der Auferstandene ist da!“ Und jetzt sieht er das Universum voller Aufregung – Sterne, Lichtgetümmel, Erde bricht ihr Schweigen. Und durch die Glocken der Osternacht kommt er wieder in die Gegenwart: Glocken „Man versteht nicht, was sie sagen, vertausendfältigt! / Freude hat sie allesamt überrauscht, Liebe sie überwältigt!“ Es gilt keine Rede mehr. Alles ist Jubel. „Auch meine Seele entreißt sich dem Grabe mit einem nicht endenden Lachen, / Glaubend an meinen Erlöser besiege auch ich den Drachen.“