Spiritual / Gospel

In Bearbeitung – ein erster Entwurf

Das Wort „Gospel“ wird unterschiedlich verwendet. Es kommt aber von dem Wort „Evangelium“ und bezeichnet im Wesentlichen Lieder, die in nordamerikanischen Gemeinden der Afroamerikaner entstanden sind. Sie haben Vorläufer – wurden jedoch in einer ganz besonderen Form abgeändert.

Die eigentlichen Lieder afroamerikanischer Sklaven werden heute Spirituals genannt, hatten aber in der Vergangenheit weitere Bezeichnungen, so zum Beispiel Jubillees.

Es sei auf folgende Ausführungen hingewiesen: https://mini.evangelische-religion.de/sklaverei/ und https://mini.evangelische-religion.de/slaverei-usa-namen-daten-schriften/

Vorläufer:

Im Folgenden gehe ich nur ganz kurz auf das eine oder andere ein. Denn es geht in diesem Abschnitt um Lieder und nicht um die Geschichte der christlichen Konfessionen und der jeweiligen Menschen, die sie geprägt haben. Das wird vielleicht nachgeholt werden.

Der Kongregationalist Isaak Watts (1674-1748) war einer der ganz großen Liederdichter.

Er hat über 800 Texte geschrieben. Drei Hymnen, die Isaac Watts geschrieben hat, seien hier vorgestellt. Allerdings mehr oder weniger unserer Zeit entsprechend interpretiert. Die Melodien zu den Texten waren in der damaligen Zeit vielfach variabel. Das heißt: Die Autoren haben Texte geschrieben, die mit allen möglichen Melodien, die im Umlauf waren, gesungen werden konnten. Menschen mussten also nicht ständig neue Melodien lernen, nur neue Texte. Zudem gab es auch die Möglichkeit, dass der Pfarrer/Vorsänger eine Zeile mit einer eigenen Melodie versah, die Gemeinde die Zeile nachsang, dann die nächste Zeile mit einer Melodie versah usw. Eine feste Melodie zu einem Lied zu bekommen, war für die Gemeinde ein Akt der Freiheit von den Gesangeskünsten der jeweiligen Leiter der Gottesdienste.

Die Frömmigkeit der Herrnhuter Brüdergemeine hat auch Charles Wesley (1707-1788) beeinflusst. In den USA lernte er Menschen der Brüdergemeine kennen. Schon auf der Schiffsfahrt lernte er den Leiter der Brüdergemeine, Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760), kennen. Während eines Sturmes waren alle in furchtbarer Angst. Aber die Glaubenden der Brüdergemeine sangen und beteten Psalmen. Die zentrale Lehre der Brüdergemeine besteht darin, dass der Mensch Jesus Christus für sich persönlich entdecken muss. Es genügt nicht, einfach nur im Glauben einer Kirche zu leben, sondern der auferstandene Jesus Christus will selbst die Herzen der Menschen übernehmen. Darum muss man ihn auch ins Herz lassen. Das folgende Lied, das Zinzendorf getextet hat, zeigt einen wesentlichen Teil der Lehre:

https://www.youtube.com/watch?v=gPeyk8qVzeQ

Charles Wesley kam aus den USA zurück nach England und begann als anglikanischer Priester diesen neuen Glaubens-Ansatz in die Kirche einzubringen. Er wurde allerdings wegen dieses Neuansatzes wie viele Methodisten verspottet, gar heftigst verfolgt, wie die Situation, in der das folgende Lied entstand, zeigt. (Ein Mob verfolgte ihn – eine Frau schützte ihn und zeigte ihm ein Versteck.)

Er ist der große Liederdichter der Methodisten gewesen. Seine Lieder haben sehr viele Menschen weltweit inspiriert.

Unter den von Wesley beeinflussten Menschen war auch John Newton (1725-1807) und sein Freund, der berühmte Dichter William Cowper (1731-1800) Sie haben ein Liederbuch herausgegeben. Das bekannteste Lied von John Newton ist Amazing Grace, das ich hier nicht wiedergebe, weil es sehr bekannt ist. John Newton selbst war Sklavenhändler, bevor er als Christ gemerkt hat, dass diese Tätigkeit eine Sünde ist. Das folgende Lied gibt einen Text von Cowper wieder:

Methodisten- und Baptisten-Gemeinden in den USA öffneten sich auch den Sklaven. Die Sklaven lernten in den Gottesdiensten die Lieder und die biblischen Geschichten. Sie verwandelten dann die biblischen Geschichten in Lieder, die ihrer Situation entsprachen, sie verknüpften Texte und Melodie mit eigenen Traditionen, so dem Tanz. Call und Response – der Prediger/Vorsänger singt etwas, die Gemeinde antwortet singend (wie ganz entfernt in der uns bekannten Liturgie – nur improvisierend und nicht mit festgelegten Worten). (Spannend in dieser Hinsicht finde ich das Gedicht von Jupiter Hammond, den Dialog Master/Servant über Gott – gedruckt 1783.)

Christliche Lieder spielten auch für die eine große Rolle, die für die Sklavenbefreiung eintraten. Unter anderem das Liederbuch: Freedom´s Lyre: or, Psalms, Hymns, and Sacred Songs, for the Slave and His Friends, 1840. Mit diesen Liedern hat man Gemeinschaft hergestellt, hat das so genannte weltliche Handeln (Befreiung von Sklaven) mit dem Glauben als eine heilige Arbeit verbunden, man hat neue Mitglieder gewonnen, mit ihnen äußerte man den Protest gegen Verfolgung und Grausamkeiten, mit ihnen fühlte man sich Gott nahe, mit ihnen förderte man auch den eigenen Glauben.

Nach diesen Vorläufern kommen wir zu den eigentlichen Liedern.

Spiritual

Es ist schwer, die einzelnen Spirituals zu datieren. Sie wurden im 19. Jahrhundert gesammelt. Manche wurden verändert veröffentlicht. Es ist wie mit unseren Märchen: Die Sammler haben sie nicht nur gesammelt, sondern kreativ verarbeitet. Von daher geben die Zeitangaben eher die Zeit der Veröffentlichung wieder und nicht die Zeit der Entstehung. Auch ist kaum mehr zu erkennen, wie das Original aussah – aber darum geht es diesen Liedern, wie unten zu sehen sein wird, auch nicht. (Angaben zu den Liedern stammen vielfach aus den jeweiligen Wikipedia-Artikeln.)

Oben wurde gesagt, dass die Texte fest waren, die Melodien variabel. In Spirituals begegnen wir beides: modifizierte Melodien, veränderte Texte. Die Lieder geben vielfach Raum, die eigene Situation einzubringen, sie sind somit offen. Und das ist etwas Besonderes an diesen Liedern. Man hört nicht nur zu. Man singt in das Lied des Vorsängers sein eigenes Erleben ein.

Sometimes I feel, like a motherless Child – die Kinder von Sklaven konnten aus den Armen der Mütter gerissen und verkauft werden. So wie ein solches Kind fühlt sich die Sängerin manchmal, und sagt das Gott (Oh my Lord) auch, das heißt, die Lieder sind vielfach Gebete. Und die Beterin fällt, nachdem sie von Einsamkeit erfasst wurde, auf die Knie und betet. Diese alte Version des Liedes wurde von vielen verändert, so in dem folgenden Clip.

Klage ist nicht einfach nur eine Klage. Sie kann auch zu Herzen gehend gesungen, ja geschrien werden. So in My Father How Long:

Das Volk Israel wird auf Gottes Befehl hin durch Mose aus der Sklaverei in Ägypten befreit (Buch Exodus). Sklaven fühlten sich vom befreienden Gott in ihrer Situation angesprochen. Go down Moses – wer ist der neue Moses, der hingehen soll? Das Lied fordert dazu im Namen Gottes auf, Moses zu werden. Die Befreiung liegt sozusagen in der Luft. Das Lied wurde wohl vor 1861 in Virginia gedichtet. Es schließt: „Let us all in Christ be free„.

Das Lied: Wade in the Water wird mit einer Geschichte aus dem Leben von Harriet Tubman (ca. 1820-1913) verbunden. Sie führte zahlreiche Gruppen von Sklaven in die Freiheit – allerdings versperrte einmal ein Gewässer den Fluchtweg. Sie hatte immer wieder Gottes-Visionen – so auch hier: Sie ging in das Wasser – konnte hindurchgehen und die Sklaven folgten ihr auf dem Weg in die Freiheit. Aufgegriffen wird in dem Lied auch eine Geschichte aus dem Kontext der Befreiung Israels (Exodus 14) – vermischt mit Johannes 5,7: Kranke warteten darauf, dass der Engel als Bote Gottes das Wasser in Bewegung setzt. Wer dann hineinstieg wurde gesund. Gott muss das Gewässer bewegen – und die Gesundheit, die Freiheit kann beginnen.

Wie das Lied Go Down Moses zeigt, konnten die Spiritual auch ein Code werden. Über diesen Code hat man miteinander kommuniziert. So deutet Steal Away (vor 1862) darauf hin: Steal away – stehlen, weggehen – zu Jesus – das heißt: Wer Jesus gehört, gehört nicht mehr dem Sklavenhalter. Wer dem Sklavenhalter nicht gehört, kann sich wegstehlen in die Freiheit. Wobei die Lieder, wie gleich zu sehen sein wird, vielfach doppeldeutig sind. Ich denke allerdings: Man muss vorsichtig sein, die Lieder zu intensiv mit Fluchtaufforderung zu verbinden. Denn dann wäre das Singen dieser ja schon eine sehr große Gefahr gewesen. Die Sklavenhalter hatten wohl auch ihre Ohren fast überall, so dass eine solche Codierung bestimmter Lieder nicht unbekannt gewesen sein dürfte, Ob wir sie dann noch überliefert bekommen hätten?

Mit Freiheit ist hier auch das Wegstehlen zu Jesus in den Himmel gemeint. Man entzieht sich, indem man in die eigentliche Heimat, zu dem Freund der Sklaven, Jesus Christus, geht. Gott ruft. Und dieses wird auch deutlich in dem Lied: Swing Low. Es stammt aus Oklahoma, wohl vor 1865. Der alttestamentliche Text, laut dem Elias mit einem feurigen Wagen in den Himmel fuhr, wird hier aufgegriffen (2. Könige 2): Der Wagen Gottes kommt und führt den Versklavten in die Freiheit Gottes. Gleichzeitig soll, so wird gesagt, mit Chariot auf das Sternbild des Großen Wagens hingedeutet werden, bei einer besonderen Stellung dieses Sternbildes ist Flucht am besten. Der Jordan ist Metapher nicht nur für den Übergang zu Gott, sondern die Bezeichnung für einen Grenzfluss zwischen Sklavenhalterstaat und dem Staat, in dem die Freiheit beginnt. (Dieses Lied wurde in nationalsozialistischer Zeit als unerwünscht und schädlich bezeichnet.)

https://www.youtube.com/watch?v=VVKlw5fq83M

Diese Freiheit wird vielfach besungen, so in Glory, Glory Hallelujah und auch in O, Freedom (nach 1865). Der Herr, der Freiheit bringt, ist nicht der Sklavenhalter. Gott ist der Herr derer, die das singen.

Wenn Harriet Tubman in dem Film Harriet sagt: Ihr Motto sei Freiheit oder Tod, dann bedeutet das nicht einfach sterben, sondern: irdische Freiheit oder die Freiheit bei Gott.

Ein Fluchtlied (der Begriff ist nur mit Vorsicht zu verwenden – mit Blick auf die oben genannte Einschränkung) wird dieses gewesen sein. Angst – die Flucht aus der Barbarei in die Freiheit möge nicht vergeblich sein: Guide My Feet While I´m Run this Race. Es greift Lukas 1,78-79 auf: Leite meine Füße auf den Weg des Friedens:

Auch das Lied: Rise Up, Shepherd, and Follow – kann mit Blick auf Flucht interpretiert werden. Es greift die Weihnachtsgeschichte auf: Die Hirten sollen aufstehen, sich erheben und dem Stern folgen – folgen zu dem Platz, an dem Christus geboren wurde. – Christus, die Freiheit (Lukas 2,15). Aufruf, sich auf das Schiff zu begeben, das über einen Fluss zur Freiheit führt: Tis the Ol´ Ship of Zion. Allerdings ist es erst seit 1889 bekannt – auch die Autorin (Miriah J. Cartwright) ist bekannt. Von daher ist diese „Fluchtlied-„Interpretation nur mit äußerster Vorsicht auf die Lieder anzuwenden. Alles Lieder die mit der Flucht zu tun haben können: King Jesus Is a-Listenin´, Come Out the Wilderness, It´s Alright, Walk Together Children, I Want Jesus to Walk with Me, In That Great Gittin´ Up Mornin When the Saints Go Marching In, Deep River. Und ist die Taufe in Take Me to the Water – nur die Taufe oder auch der Durchgang durch den Fluss in die Freiheit? So auch Ride on, King Jesus – Psalm 45,4 mit Blick auf Jesus aufgreifend:

Somebody´s Knockin´ – geht zurück auf Apokalypse des Johannes 3,20. Jesus klopft an die Herzenstür und möchte eingelassen werden. Gleichzeitig kann das Lied auch so aufgefasst werden: ich klopfe an der Tür eines Fluchthauses mit Bitte um Aufnahme bzw. dass überhaupt Menschen für Flüchtende zur Verfügung stellen.

My Lord, What a Morning (vor 1865) – das Lied hat das Ende der Welt im Blick. Wenn das Ende der Welt beginnt, beginnt ein neuer Morgen, der Morgen der Freiheit von allen Schmerzen. Es geht in das verheißene Land. Es werden der Exodus und die Apokalypse des Johannes zusammengeführt – aber auch Matthäus 24,29: Nach all dem Leiden wird es finster und die Sterne fallen vom Himmel (heaven), Christus, der Retter, wird erscheinen. Ein Lied voller Hoffnung.

Ein Lied voller Hoffnung – in dem es auch „politisch“ heißt: „To wake the nations underground“. Eine Anspielung auf die Underground Railroad zur Befreiung von Sklaven? Wie dem auch sei: Dieses Lied ist ein Beispiel dafür, dass nicht unbedingt alle alten Spirituals aus den Südstaaten kommen. Manche kamen auch aus den Nordstaaten, gesungen von Menschen, die in Freiheit lebten. Es kann sein, dass im Unterschied zu den Südstaatenliedern ein Dichter vorhanden war, der das Lied textete. In den Südstaaten war die Gesamtheit der Gottesdienstbesucher „der Autor“.

Auch große Vertrauenslieder können gesungen werden: He´s Got the Whole World. Es greift den biblischen Text Hiob 12,10 auf:

Ähnlich auch: The Angels Keep A-Watchin´ – Psalm 91,11 aufgreifend.

Leiden und Sterben Jesu – in diesem Leiden und Sterben konnten sich Sklaven auch wiederfinden, unschuldig verurteilt, gefoltert, gequält, so in Where You There when they crucified my Lord (ein Lied, das auch Gandhi mochte) oder hier: Calvary:

Nicht nur Leiden Jesu – auch die Auferstehung, wie in Amen oder in: The Angel Rolled the Stone Away, He Arose und die Anwesenheit in Jesus – 1. Chronik 29,13 wird mit Jesus Christus verbunden. So Glad I´m Here:

Jesu Licht scheint auf den Erniedrigten: Shine On me. Der Geist Gottes wird besungen, der auch in den Sklaven lebt und ihn somit zum Menschen erhebt: Every Time I Feel the Spirit. Der Geist Gottes gibt Selbstbewusstsein – Menschen nehmen es, aber Gott gibt es.

Als Soldat Christi in den Kampf gegen die satanische Sklaverei zu ziehen – dazu wird aufgerufen in I Shall Not Be Moved (vgl. Psalm 1; Jeremia 17). Satan, We´re Gonna Tear Your Kingdom Down: Prediger, Diakone und Mütter reißen das Reich des Satans ein, oder in: We Are Climbing Jacob´s Ladder (vor 1825) Genesis 28,12 aufgreifend – hinaufgehend in den Himmel um zu Christus gelangen. Und das Wesentliche wird in Fragen formuliert: „Children, do you love my Jesus?:

Vorläufige Zusammenfassung

Viele dieser Lieder drücken aus: Sehnsucht. Sehnsucht nach Freiheit, nach irdischer bzw. himmlischer Freiheit. Und dadurch, dass diese Lieder von versklavten Menschen gesungen wurden, haben sie den Samenkorn für die Befreiung gelegt. Sie konnten freilich auch hemmend wirken: Man kämpft nicht mehr um die irdische Freiheit, sondern versenkt sich demütig in die Freiheit Gottes. Aber zahlreiche gewaltsame Aufstände wurden grausam beendet und führten auch zu Verschärfungen und Brutalisierung der Sklaverei. Wenn man es so sagen kann: Kann etwas Brutales noch brutaler werden?

Der Lauf der Geschichte zeigt, dass die Glaubens-Freiheit, die Menschen Mut gab, sie als Menschen achtete, sie in der brutalen, unmenschlichen Lage durchhalten ließ, den Weg in die irdische Freiheit führte. Man nimmt nicht mehr einfach alles hin, bestimmt von dem phlegmatischen, resignierten Dasein: Man kann ja doch nichts gegen die Gewalt der Sklavenhalter machen! Im Gegenteil! Es gibt Hoffnung. Die Welt beginnt sich durch Gott zu weiten – auf Gott hin, aber auch auf die irdische Freiheit hin, von der die Bibel berichtet. Nicht umsonst wurden einzelne Spirituals wohl von der Underground Railroad als Codewort benutzt, um in die Freiheit zu flüchten.

Zudem wird in den Spirituals das Leiden beklagt. Leiden, das nicht nur dumpf empfunden wird, sondern auch Wort wird, ist ein großer Schritt zur Bewusstwerdung der Situation, hat damit auch befreiende Wirkung. Identifikation mit dem gequälten und ermordeten Jesus.

Diese Verbindung von Glauben, Erfahrungen und Situation des Alltags führt bis heute dazu, die Texte zu verändern. Die Texte sind zwar vielfach einfach und einprägsam. Aber das eigene Leben findet in ihnen Eingang. Sie ermöglichen das durch die Einfachheit.

Es sei angemerkt, dass die Versuche, die Lieder auch so zu interpretieren, dass sie konkrete Hinweise zur Flucht beinhalten, nicht dazu führen dürfen, sie nun vollkommen säkular-atheistisch zu interpretieren (wie man sogar Johann Sebastian Bach säkular schmackhaft machen möchte, indem man seinen Glauben missachtet). Wobei, wie oben gesehen, schon allein aus historischen Gründen eine ausschließliche Interpretation als Fluchtlied fragwürdig ist. Auch wenn die Versuchung bei manchen nahe liegt: Es war der christliche Glaube, der die Augen öffnete, der dann auch dazu führte, Metaphern zu verwenden, da die biblische Sprache vielfach metaphorisch ist. Aber die Suche nach dem Subtext verhindert eventuell, die große spirituelle Bedeutung des Textes, die Bedeutung für den Glauben, zu erkennen. Die Singenden zu entchristlichen ist mit dem vergleichbar, was auch Sklavenhalter machten: Sie als Menschen nicht ernst nehmen. In seiner tiefen reflektierten Frömmigkeit spricht der ehemalige Sklave Frederick Douglass (1817-1895) in seiner Biographie (My Bondage and My Freedom, 1855) immer wieder auch von Liedern der Sklaven, die Bedeutung der Lieder, wie sie ihn selbst beeinflussen. Er spricht von den methodistischen Lobpreisungen, die er hörte, und wie er und sein Lehrer gemeinsam Gott sangen, beteten und verherrlichten. Der besondere Glauben und die Nähe, die Harriet Tubman zu Gott empfand, muss hier nicht dargelegt werden, sie wird sogar in dem Film über Harriet ganz dominant dargestellt.

Man kann die tiefe Frömmigkeit nicht einfach weg erklären. Berührt von Gott: I Know the Lord Has Laid His Hands on Me oder New Born Again oder I will Trust in the Lord Till I Die oder: Come On In My Room oder: Give Me Jesus. Das Lied: This Little Light of Mine besingt, dass man auch das kleine Licht, das Jesus einem gegeben hat, leuchten lassen kann. Hush, Hush, Somebogy´s Callin My Name: Sklaven hatten Namen – aber sie waren den Sklavenhaltern egal – wie wichtig es war, dass Christus den Menschen beim Namen ruft, wird im genannten Lied besungen. I’ve Been Buked and I’ve Been Scorned – ein Lied, das besingt, dass man erniedrigt wurde, aber man lässt sich nicht kleinmachen, sodass man den Glauben verleugnet (vgl. Hiob 16,20: „scorn“), denn Jesus hat mich befreit, so die folgende Version. In dem Buch: Onkel Toms Hütte sagt der Sklavenhalter zum Sklaven: ich werde dir deinen Glauben austreiben – ich bin jetzt deine Kirche. Das Lied wurde gesungen von Mahalia Jackson, bevor Martin Luther King seine Rede hielt: Ich habe einen Traum:

Und Sänger wandten sich an Gott, mit der Bitte, wahren Glauben zu leben: Lord, I Want to Be a Christian und ihn zu verkündigen: There Is a Balm in Gilead.

Als historisch-kritischer Exeget rollt man natürlich die Augen. Man weiß es ja besser, was historisch passt, was nicht. Jesus in das Alte Testament hineinzubringen – das darf nicht sein! Darf nicht sein? Es ist so! Es ist ein Werk des Heiligen Geistes, seine Situation in den biblischen Text hineinlesen zu können, daraus Trost, Hoffnung, Auftrag zu bekommen. Das Wirken des Gottesgeistes spiegelt sich extrem in manchen Liedern wider, die in ihrer eigenen Art und Weise wie pneumatisches Sprechen (1. Korinther 12) erscheinen: Ein Durcheinander – aber nicht ein Durcheinander nie gehörter Worte, sondern ein Durcheinander von Worten, die für jeden Sinn ergeben, die miteinander korrespondieren. Und die oben angegebenen Bibeltexte sind nur Annäherungen. Denn das besondere dieser Lieder besteht auch darin, dass sie auf ganz viele biblische Texte anspielen – und damit unterschiedlichste Assoziationen ermöglichen. Die wiederum dazu beigetragen haben, die eigene Lebenssituation einzutragen. Nur am Rand: Den frühen Christen war historisch-kritische Exegese auch unwichtig. Ich bin kein Gegner. Sie ist wichtig, weil die Bibel die Menschen-Geschichte, in der Gott wirkt, ernst nimmt. Aber sie ist nicht die Herrin des Glaubens. Sie ist ein Teil unter der großen Vielfalt.

Von anderer Seite werden die Lieder von denen missachtet, die nicht verstehen, dass in solchen schlimmen Situationen überhaupt gesungen wird. Dass man nicht singen, sondern kämpfen solle. Dazu sagt Otis Moss, Jr. Wer Afrikaner zum Schweigen bringen will, tut das, was die Sklavenhalter auch wollten (African American Heritage Hymnal. 575 Hymns, Spirituals, and Gospel Songs, GIA Publications 2001. Diesem Band wurden die Lieder entnommen.)

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Eine unvollständige Einführung über die Jubilee Singers (Jubilee – so wurden Spirituals auch genannt)

Spannend ist die Entwicklung von We Shall Overcome – am Ende eine große Überraschung – zumindest war es für mich eine:

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Anmerkung:

Mir ist jetzt das sehr anregende Buch in die Hände gekommen: Cheryl C. Boots: Singing for Equality. Hymns in the American Antislavery and Indian Rights Movements, 1640-1855, 2013 Dieses Buch weist auch auf Lieder von Watts und Wesley hin, die den Gesang in den USA beeinflussten. Meine Auswahl oben ist subjektiv, eine von mir gewesen, um den Musikstil zu verdeutlichen. In dem Buch wird zum Beispiel auf das Lied hingewiesen:

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Ich habe ein kleines Liederbüchlein: „Hymns for Anti-Slavery Prayer-Meetings“ aus dem Jahr 1838 von Mary Ann Rawson. In diesem steht im Vorwort, dass sich Aktivistinnen gegen die Sklaverei treffen, um Gott für die Befreiung von Menschen aus der Sklaverei zu bitten. Wann treffen sie sich? An jedem letzten Montag-Abend im Monat. Und sie wollen an jedem Ort in jeder Stadt so einen Gebetsabend etablieren. Und für einen solchen ist das Liederheft gedacht.

Eine Anmerkung zu dem oben genannten Liederbuch: Freedom´s Lyre: or, Psalms, Hymns, and Sacred Songs, for the Slave and His Friends, 1840. Dort finden sich unter dem ersten Abschnitt: Cries of the Slave to God – viele Nachdichtungen von Psalmen. In diesen Nachdichtungen geht es eigentlich nicht um Sklaven, sondern um die Not der Betenden. Diese Texte wurden dann aufgrund der Überschrift mit der Not der Sklaven verbunden. So heißt es in einem Lied von Watts (13): „The sons of violence and lies, / Join to devour me, Lord!“ – also etwas, das Menschen immer singen und beten, wenn die Menschen der Lüge quälen. Und so konnte man mit den Sklaven, für deren Freiheit man kämpfte, Gemeinschaft fühlen. Gott wird in aller Demut herausgefordert, endlich zu handeln.

Weniger klagend, von Christen fordernd, dem christlichen Glauben gemäß zu leben, sind Lieder aus dem 2. Kapitel: Cries of the Slave to Man. Manche Lieder schauen auf Jesu Leiden, und helfen, das eigene Leiden zu ertragen. Der singende Mensch gehört Gott – und so bekommt er Kraft, und schaut auch aus nach Gottes Herrschaft, die alle Not wenden wird. Hoffnung. Auch hier wieder: Viele Psalmen gaben Stimme denen, die keine Stimme haben: „The deeper their sorrows, the louder they´ll sing“ (64; John Rippon, der das Lied schon in seinem Liederbuch 1787 in England veröffentlicht hatte. Auch das Lied zeigt, dass ein Text, in anderen Zusammenhägen gedichtet, neu interpretiert werden konnte.)

Die Rechte der Sklaven – ein weiteres Kapitel. Alle haben von Geburt gleiche Rechte, Gott gab sie (so zum Beispiel Nr. 74). In den Appellen des Sklaven an den menschlichen Herren wie an die Gesetzgeber wird unter anderem auf das Gottesgericht hingewiesen: Wenn Gott dich fragt, wo ist dein Bruder? Was wirst du ihm antworten? Gott wird den strafen, der menschliches Blut vergossen hat. Gott allein herrscht – auch die menschlichen Herrscher sind nur Menschen. Sie haben ihre Macht von Gott bekommen und haben sich zu verantworten. Auch hier werden wieder viele Psalmen in die neue Situation übertragen.

Weiterhin wird an die freien Menschen appelliert (89):
Rise, Freemen! rise; the call goes forth,
Attend the high command-
Obedience to the word of God
Throughout this guilty land.

Rise, free slave; oh! burst his chains,
And cast his fetters down;
Let virtue be your county´s pride,
Her diadem and crown.

Then shall the day at length arrive,
When all shall equal be,
And Freedom´s banner, waving high,
Proclaim that all are free.

Mit Blick auf das Thema: Lieder: Das Lied Nr. 90 beginnt (vgl. 109):

Let „freedom – freedom to the slave“,
The watch-word of the Christian be,
Till earth, and air, and ocean wave,
Unite with freemen´s Jubilee.

Kurz: Man möchte an der strukturellen Schuld nicht einfach so teilhaben, sondern gegen die Schuld, das das Land auf sich lädt, mit allem, was man hat, ankämpfen.

Sklavenhalter wie Christen, die ihre Religion ohne die Liebe zum Nächsten leben (118 – Psalm 50) werden gewarnt. Auch an die christlichen Frauen und Christen wird appelliert – es appellieren Sklavinnen, denen das Kind aus den Armen gerissen werden, sie sollen fühlen, wie die Sklavinnen, die Schwestern, fühlen. Man solle im Kampf gegen die Sklaverei nicht aufgeben – mit dem Apostel Paulus 1. Korinther 9,24 (Nr. 106).

Weitere viele, viele Lieder könnten genannt werden. Es endet mit einem kurzen Gotteslob: (291): Wir preisen Gott ewig, … , wir feiern seine Herrlichkeit mit allen Heiligen und erzählen die freudvolle Geschichte der ewigen Liebe Gottes.

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Ich möchte nicht alle Texte durchgehen. Nur darauf möchte ich hinweisen, dass auch der Text von Newton in dem Buch von 1840 zu finden ist: Begone, unbelief! (49) – Wie sehr hat sich die Situation seitdem geändert zwischen den Sängerinnen und Sängern damals und heute:

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Es sei noch darauf hingewiesen, dass es Ant-Slavery-Hymns aus dem 19. Jahrhundert gibt. Ich habe die folgenden Links noch nicht intensiver angeschaut.

Von 1859: https://www.loc.gov/resource/rbpe.06402300/?st=text
Zwei Lieder von 1843, der Hymnus klingt sehr nach einem Spiritual: http://www.teachushistory.org/second-great-awakening-age-reform/resources/antislavery-hymn
Von 1834: https://books.google.de/books/about/A_Selection_of_Anti_slavery_Hymns.html?id=cTSiN_ScvEwC&redir_esc=y
Hier sind weitere: http://www.wright.edu/~christopher.oldstone-moore/AntislaverysongsPR.htm