Rudyard Kipling (1865-1936)
geboren in Indien von Eltern, die aus England nach Indien gezogen waren und – wie später auch Rudyard – Indien liebten. Seine Familie war eine – auch im weiteren Verwandtschaftsbereich – Künstlerfamilie. Seine Schwester und er wurden als Kinder wegen der Ausbildung nach Großbritannien gebracht, lebten in einer Pflegefamilie, auf die er später nicht gut zu sprechen war. Zurück in Indien arbeitete er als Journalist, veröffentlichte Gedichte, Kurzgeschichten, später auch Romane. Über Japan und die USA ging er zurück nach England, lebte dann zeitweise in den USA, in Südafrika, England. Er erhielt 1907 den Nobelpreis für Literatur. Er war (zeitweise?) Freimaurer, ist ein streng konservatives Kind seiner Zeit, was ihm manche in der Gegenwart (auch in Indien) übel nehmen – was ihm aber schon zu seiner Zeit viele übel genommen haben. Er war britischer Patriot, Verteidiger des Kolonialismus, im Ersten Weltkrieg und schon davor gegen Deutschlands Expansionismus eingestellt (Deutschland = Hunnen, barbarisch…). Sein Sohn starb im Krieg, er gab die Schuld sich selbst oder dem Versagen der Politik wegen der unvorbereiteten Kriegführung (?): „If any question why we died / Tell them, because our fathers lied.“ https://en.wikipedia.org/wiki/Rudyard_Kipling Streng konservativ, war er gegen den Faschismus und gegen Hitler, von dem er schon 1933 sagte, dass er blutdurstig sei. Er verwandte in älteren Auflagen seines Buches die Swastika links wie rechts gedreht – aber eben aufgrund seiner indischen Tradition als Segenswunsch. Als Hitler diese übernommen hatte, wollte er sie nicht mehr auf seinen Büchern sehen.
Textgrundlage s. Links und: Rudyard Kipling. The Complete Works (A to Z Classics) (ohne weitere Angaben). Arbeitsübersetzungen von mir.
Zu dem berühmten Gedicht von Kipling, das bis in neuester Zeit eines der Lieblingsgedichte der Briten ist – und aus indischer Perspektive als Zusammenfassung der Bhagavadgita gesehen wird https://en.wikipedia.org/wiki/Rudyard_Kipling : „If“ – wie es aus christlicher Perspektive gesehen werden kann, wird hier dargelegt (Ablesedatum: 22.10.2021): https://moortownbaptistchurch.org.uk/tell-me-what-is-wrong-with-rudyard-kiplings-man-by-haddon-willmer/
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Kipling und seine Interpretation der neutestamentlichen Maria und Martha-Geschichte. In diesem Gedicht hat er die „arbeitende Bevölkerung“ und die spirituellen Menschen gegeneinander gestellt. (Allerdings: In der McAndrews Hymne stellt er den glaubenden Ingenieur der Gesellschaft entgegen.) Das heißt, er nimmt einen biblischen Text und transportiert ihn in die Gegenwart. So geht er auch in dem Gedicht Gethsemane vor. In diesem ist es der Soldat, der den Gas-Kelch nicht trinken will – aber dann doch trinken muss. Im biblischen Text geht es darum, dass Jesus Gott bittet, nicht sterben zu müssen, den Leidenskelch nicht trinken zu müssen. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn wird so weitergeführt: Der Sohn, der zurückgekommen war in sein Vaterhaus, geht wieder weg, er hält es dort nicht aus. Der Vater will ihn beraten, die Mutter will ihn belehren, der Bruder verachtet ihn, den Dienern ist er ein Monster moralischer Verderbtheit – die Schweine machen ihm keine Vorwürfe; und so will er wieder zurück zu seinen Schweinen.
Nicht allein biblische Texte deutet er um, sondern er verwendet auch das Werk „Der Heilige Krieg“ von John Bunyan dazu, die eigene Zeit in Großbritannien zu schildern. Während es bei Bunyan die Widersacher Gottes sind, die die Stadt der Glaubenden angreifen – von außen und von innen – geht es Kipling um die Deutschen, die 1917 Großbritannien in den Krieg zogen, und um die innenpolitischen Gegner. Intensiv zeitkritisch auch http://4umi.com/kipling/copybook . Kipling ist Kind seiner Kolonialzeit? Ein Gebet vor der Schlacht: https://en.wikipedia.org/wiki/Hymn_Before_Action (Vertieft wird die Bedeutung der Kolonialzeit in dem viel Aversionen hervorrufendem Gedicht: https://en.wikipedia.org/wiki/The_White_Man%27s_Burden
In dem Gedicht „Recessional“, bittet er Gott, seinem Land zugewandt zu sein. Gott möchte ein demütiges Herz – aber „betrunken von dem Anblick der (eigenen) Macht“ liegt es nahe, die Macht Gottes (?) zu vergessen. Damit wird das Land versinken wie Tyrus und Sidon (also in der Hölle). Es wird besiegt werden von prahlenden Heiden mit törichten Worten. Damit sind wohl weniger Menschen gemeint, die anderen Kulturen zugehören, sondern Menschen im Land, die sich von Gott abwenden. Politisch-kritisch ist auch seine Version des alten Kirchenliedes „Non nobis domine“ (*), das auf Psalm 115,1 zurückgreift und das in Großbritannien mit Blick auf die Herrscher vielfach neuformuliert wurde:
NON nobis Domine!-
Nicht für uns, o Herr!
Der Lobpreis oder der Ruhm sei
von einer Tat oder einem Wort;
Denn in Deinem Urteil liegt
Zu krönen oder zu vernichten
Alles Wissen und Tun
die der Mensch erreicht oder getan hat.
Die zweite Strophe betont die Schuld, die darin liegt, sich auf eigenen Ruhm und Besitz zu konzentrieren. Die dritte Strophe bittet um Vergebung: „O Macht, durch Die wir leben. / Schöpfer, Richter und Freund, / vergib uns aufrichtig…“.
All diese mir bekannten Gedichte sind keine Lobhudeleien. Soweit ich sehe haben sie Fußangeln der Kritik. Aber das ist nun nicht so sehr mein Thema. Thema ist, dass er Gott, den Glauben, die Kirche in politische Fragestellungen einbringt, auch, um die Kirche zu kritisieren:
Der Text, „Die Kirche in Antiochia“, schließt mit einem Gedicht über den Jünger („The Disciple“). Kipling spricht über den, der das Evangelium, die Frohe Botschaft, verkündet, es der ganzen Welt bringt, der sich töten lässt, seine Botschaft so sicher macht, dass keiner sie bezweifelt, die, wie Jesus sagt, Zwietracht bringt (weil manche Menschen die Botschaft annehmen, andere sie verfolgen). Er hat auch einen Jünger, der Menschen leiten soll. Aber „er, der ein Evangelium hat / Wodurch der Himmel gewonnen wird“, / wird durchbohrt werden, Blut und Galle trinken. Am schlimmsten wird er jedoch von seinem Jünger verwundet. Das Gedicht als solches weist ganz auf Jesus hin, somit auf die Jünger, auf die Kirche. Aber dann fügt Kipling in der letzten Strophe in eine Klammer ein: Zimmermann oder Kameltreiber (cameleer statt Kaufmann) oder Mayas träumender Sohn – das heißt: Jesus, Mohammed oder Siddharta Gautama (Buddha). Es geht also nicht allein um den christlichen Jünger (zuerst denkt man das Gedicht als eine Art Petrus- bzw. Pauluskritik), sondern um die Jünger aller großer Religionsstifter, pars pro toto dargestellt an Jesus. Von Jesus spricht er so, wie es traditionell üblich war, von Mohammed spricht er negativ – von Buddha eher positiv. Kipling hatte eine Zeitlang mit dem Buddhismus sympathisiert.
In dem Gedicht „Bei seiner Hinrichtung“ greift er ein Wort des Paulus auf. Kipling lässt Paulus sprechen: „Ich“. Paulus wird den Menschen alles, um ihn zu Christus zu führen. Er hat auch Paulus im Blick – aber wohl auch hier: Paulus als Typus für Glaubende. Wenn einer sich selbst für Christus aufgibt, hat er kein Selbst mehr. Am Ende seines Lebensweges bittet er um Lohn: Wenn er vor Christi Thron steht, wird er darum bitten, das Selbst wieder zu bekommen.
Die „Hymne an den körperlichen Schmerz “ schildert, wie schlimm es ist, den vielfachen Schmerz zu vergessen – und das wird in eindrücklichen Worten dargelegt, wie es einem alten Hymnus entspricht, die Taten der Gottheit aufzuzählen. Er endet dann aber doch mit der Bitte: Wir preisen das Vergessen (wie eine Gottheit) und beten, dass es wiederkomme, um nicht weiter Höllenqualen ertragen zu müssen.
In dem Gedicht Natural Theology stellt er verschiedene Gruppen dar, die davon reden, dass Gott sie bedrängte: Heiden, Menschen aus dem Mittelalter, Atheisten, Progressive. Er selbst zieht als Fazit: Der gute Herr bedrängt niemanden, er hat den Menschen seinen Geist gegeben, das heißt: Freiheit. Aber was der Mensch sät, das wird er ernten. Wenn der Mensch also bedrängt wird, dann ist es nicht Gott, der es tut, sondern es ist Folge des eigenen Handelns. Der Mensch selbst bedrängt sich. Das stellt er in den letzten Zeilen mit Anspielungen auf die Bibel dar, im Grunde finden wir in jeder Zeile einen biblischen Hinweis.
Ein Gedicht, das für das religiöse Verständnis Kiplings wichtig sein soll, ist das rätselhafte „Gebet der Miriam Cohen (Zu diesem Gedicht gibt es hier weiterführende Hinweise: Hintergrundinformationen ). Wie ich es verstehe – ich übersetze hier nicht, sondern interpretiere:
Strophe 1: In dem Gebet wird der gute Gott gebeten, dass er uns bewahren möge vor dem sich ewig drehenden Rad, dem Dahintreiben der Dinge. Wenn er uns davor bewahrt, werden wir dem Zorn der Könige ausgeliefert – entrinnen aber dadurch dem sich ewig drehenden Rad.
Strophe 2: Aber Gott soll uns nicht seine Werke vor Augen führen, er soll uns nicht mit Erklärungen von Kriegen und zerstörten Sternenhimmeln stören – wir verstehen all das nicht, sehen es als Irrsinn an.
Strophe 3: Gott soll uns sicher (vor Gott selbst und Erklärungen) bewahren hinter den Toren, denn wenn wir träumen sollten, würde die Seele hinausfliehen – zu dem unerklärlichen Gott.
Strophe 4: Gott soll uns in unserem Krieg nicht seine Absichten entbergen, da wir sonst besiegt werden würden vom Angst-Geflüster.
Strophe 5: „Ein Schleier verbindet uns und Dich, Guter Gott, / Ein Schleier verbindet uns und Dich — / damit wir nicht zu deutlich hören, zu deutlich, / und uns in den Wahnsinn hineinsehen.“ Vermutlich spielt er auch hier auf Paulus an. Paulus spricht davon, dass Menschen Gott wie durch einen Schleier sehen. Und das Evangelium von Jesus Christus entfernt diesen Schleier (2. Korinther 3). Und Kipling hat Angst davor, dass der Schleier entfernt wird, denn, wie es mit Blick auf Moses heißt: Wer Gott sieht, muss sterben (Exodus 33,18-23). Vielleicht ist es auch ganz anders zu verstehen. Aber deutlich wird: Es wird von einer gewissen Angst beherrscht, dass zu viel Grübeln über den Irrsinn in den Wahnsinn führt. (Dazu s. den ganz anderen Ansatz von Barrett Browning in dem Gedicht „A Child´s Thought of God“ )
Anhand der Gedichte ist erkennbar, dass Glauben für Kipling hauptsächlich im traditionellen und dem politischen Bereich eine Rolle spielt. Eine direkte Gottesbeziehung scheint er eher zu scheuen. Es wäre nun spannend, diese Fragestellung anhand seiner Kurzgeschichten und Romane zu vertiefen.
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(*) Vertont zum Beispiel von William Byrd (1543-1623):
Die Version mit Text von Kipling: