Iwan Bunin (1870-1953)

Ivan Bunin wurde in eine verarmte Adelsfamilie hinein geboren. Der Vater war Gutsbesitzer, die Mutter war belesen. Er ging zur Schule – Mathe lag ihm nicht besonders, sodass er nicht mehr zur Schule gehen wollte. Sein älterer Bruder Julius (1857) hat ihn dann unterrichtet. Er wurde Redakteur einer Zeitung, reiste viel, traf sich mit Schriftstellern, heiratete verschiedentlich, war arm. Er machte viel Werbung, wodurch er den Puschkin-Preis nur knapp bekam, aber seine Bücher verkauften sich nicht. Sein Bekanntheitsgrad stieg. Er lehnte die Revolution von Anfang an ab, die er als Folge des Ersten Weltkrieges ansah. Mit seiner Geliebten floh er 1918 nach der Oktoberrevolution aus Moskau nach Odessa, von da aus 1920 nach Frankreich. Sie heirateten in Frankreich. Er veröffentlichte zunächst nicht viel, hielt einen Vortrag, in dem er auf den Vorwurf einging, dass die Exilierten verlangen würden, dass die Flüsse rückwärtsfließen – also wieder die tolle kommunistische Revolution durch den Zaren ersetzen wollen. Seine Antwort: Nein, sie wollen nur einen Fluss: Russland – das Wohl des Landes. Die Arbeit nahm er intensiv wieder auf und bekam 1933 als erster russischer Schriftsteller den Literaturnobelpreis für seine Prosawerke – allerdings wurde er als staatenlos geführt. Marina Zwetajewa, die auch im Exil lebte, fand die Verleihung an Bunin nicht gut, Bunin sei zu sehr rückwärtsgewandt. Einen großen Teil des Geldes gab er zur Unterstützung Armer aus – und verarmte selbst. Er starb verarmt. (Biographische Hinweise aus: https://ru.wikipedia.org/wiki )

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Laut Wolfgang Kasack (Christus in der russischen Literatur) hat Bunin zahlreiche Gedichte geschrieben, in denen sein christlicher Glaube zum Ausdruck kam. Aber leider komme ich nur an wenige dieser Gedichte heran. Sie werden hier und da auch als Jugendgedichte angesehen, die – so klingt es – keine Relevanz haben, weil er in dieser Zeit noch nicht seinen eigenen Stil gefunden hatte. Das ist freilich kein Argument, denn der Weg, den ein Mensch nimmt, der ist ebenso relevant wie sein Erwachsenenwerk. Bunin hat freilich auch in seiner Prosa die Welt mit ihrem Urgrund Gott zu verstehen versucht https://iphras.ru/uplfile/histph/yearbook/2017/193-208-frank-germ.pdf und drei Gedichte mit christlichem Bezug habe ich aus dem Jahr 1922 gefunden.

Auf dieser Seite „stihipoeta“ und vor allem „stroki.net“ sind viele Gedichte zu finden, die im Wesentlichen seine Naturverbundenheit wiedergeben (übertragen habe ich sie mit Hilfe von DeepL – und natürlich in eigener Interpretation). Es sind sehr schöne Stimmungsbilder darunter – Wortgemälde. Er beschreibt die Schönheiten der Natur – aber nicht nur. Leider sind die Gedichte auf der erstgenannten Seite nicht mit Jahresangaben versehen:

In dem Gedicht „Der Bettler des Dorfes“ (sein erstes veröffentlichtes Gedicht [?]) schildert Bunin, dass der Bettler sterben wird. Seine kleine plappernde Zunge flehte. Dann starb er mit einer Klage an Christus auf den Lippen: „um Christi willen, bitte und bitte…“ – dann schließt Bunin das Gedicht mit der Klage über Russland, auch, nachdem er auf die Not der Städter hingewiesen hatte: Wie viel Leid, Sehnsucht und Not es in diesem Land gibt! https://stihipoeta.ru/1378-derevenskiy-nischiy.html Wenn ich das Gedicht „Die Horde“ richtig verstehe, geht es darum, dass Menschen, wenn sie Gott verlassen, grausam werden.

In seinem Gedicht „Giordano Bruno“ besingt er den auf dem Scheiterhaufen Hingerichteten. Seine Sicht sei es gewesen, dass Gott Licht ist, dass jedes Atom von Gott durchdrungen, Leben und Schönheit ist. Und wenn nun seine Asche zerstreut werden wird, werden seine Gedanken im ganzen Universum zerstreut https://stihipoeta.ru/1380-dzhordano-bruno.html Die philosophische „Auseinandersetzung“ geht weiter. In einem Gedicht schreibt er, dass es nicht Gott gewesen sei, der uns erschaffen hat. Das klingt nach Feuerbach. Aber das Gedicht endet überraschend: Wir haben die Götter mit einem Sklavenherzen erschaffen. Wenn ich das richtig verstehe bedeutet das, dass wir die Götter zu unsere Diener / Sklaven machen. https://stihipoeta.ru/1398-kamennaya-baba.html

Der Glaube der Bauern, der Bunin am Herzen liegt, der alte Glaube, wird hier formuliert: Die Enkelin fragt den Großvater beim Pflücken von Beeren: Wohin gehst du, Opa? Er antwortet: Ich weiß es nicht. Ich ziehe wie die freien Wolken. Mit dem Kreuz und mit dem Glauben ist jeder Weg gut. https://stihipoeta.ru/1412-muzhichok.html Und einen Prozessionsweg schildert er in dem Gedicht „Neue Kirche“. Die Prozession geht durch den Frühlingswald, und die Gläubigen singen Lieder. Christus hört diese aus der fröhlichen Natur-Kirche und fühlt sich wieder selbst unter der Sonne Nazareths an der Werkbank. Ähnlich das schöne Auferstehungs-Lied. Stimmungsvoll wird die Morgenstunde geschildert, das Licht kommt aus der Höhe immer tiefer in die Täler. Mit jeder Stunde rückt das Licht näher. Die Natur wird sich „in begehrenswerter Schönheit erheben / Und von den Höhen des Himmels verkünden, / Dass der Tag der Verheißung gekommen ist, / Gott ist wirklich auferstanden.“ (1896; http://Gedichte klassischer und moderner Autoren – Christus ist auferstanden! Wieder im Morgengrauen (stroki.net); vgl. auch das Gedicht „Trinität“: 1893 – auch hier werden Natur-Menschen-Gott eng miteinander verknüpft https://stroki.net/content/view/15182/90/ Aber nicht allein die Schönheit der Natur kann er mit einem Bekenntnis zum Glauben verbinden. In dem Gedicht „Hoffnung in Gott“ (1916) beschreibt er eine dunkle Stimmung der Natur – selbst der Kutscher ist feindlich – und bekennt: „Und meines Herzens einzige Hoffnung ist Gott“ – er vertraut den laufenden Pferden – und hört dann die Glocke des Zieles schallen. Sie ruft ihm zu, „dass die Welt nur aus Zufall und Glück besteht“ – eben die Glocke selbst ist nun dieser Zufall und sein Glück. http://web.archive.org/web/20200106031121/http://stroki.net/content/view/15136/90/ In dem Gedicht „Das Schaukeln der Schwachen“ bietet nicht die Natur ein Gleichnis, sondern die Magnetnadel. Die Ausrichtung der Magnetnadel nach „Norden“ bedeutet: Ausrichtung der Seele nach Gott. „Er wird mich nicht verlassen auf meinen Wanderwegen, / Er wird mir sagen, was los ist.“ http://web.archive.org/web/20200106033921/http://stroki.net/content/view/15172/90/

Ganz anders die Mitternachtstexte. Bunin liebt nicht die Mitternacht. Und das wird auch deutlich an dem Gedicht „Saturn“: Der Anblick aufleuchtender Sterne bringt den Menschen dazu, das ewige und unbegreifliche Werk des Schöpfers zu loben. Aber dann, um Mitternacht, klagt der Mensch: finster und grausam sind Deine Taten, Schöpfer. Es geht natürlich nicht nur um die Mitternacht, sondern um den Menschen in seiner Spannung: geht es ihm gut, staunt und lobt er Gott. Geht es ihm schlecht, klagt er Gott an.

In diesen Gedichten wird tiefer Glaube erkennbar: In dem Band von Etkind (Russische Lyrik) sind sieben Gedichte von Bunin abgedruckt worden. Zwei davon sprechen den christlichen Glauben an. In dem Gedicht „Nachtlager“ werden Abend und Morgen beschrieben und es wird der Seele gesagt: „flieg auf und tauche in des Himmels Reine – / dort ist die Heimat, Seele, dort!“ (1911) In dem Gedicht „All die Blumen“ (1918) heißt es, das Gleichnis von Jesus, der Verlorene Sohn, aufgreifend, dass Gott den verlorenen Sohn fragen wird, ob er glücklich auf der Welt gelebt habe. Dann erinnert er sich noch froh an die Wiesen – und er hat keine Zeit zu antworten, sondern umfasst tränenreich die Füße Jesu, birgt an dessen Knien sein Gesicht. Dieser Glaube wird auch in dem Band: Ivan Bunin: Gedankenspiele, Gedichte Russisch-Deutsch, übersetzt von Christine Fischer, Pano-Verlag, Zürich 2003 (in dem Nachwort wird darauf eingegangen, warum die Gedichte anders als die Prosa in den Hintergrund geraten sind) deutlich. In dem Gedicht „Nacht und Tag“ (1901) wird sein Bibellesen beschrieben. In der Nacht brennt still die Kerze, vergänglich sind Leiden, Freuden – ewig ist allein Gott. Am Morgen legt er die Bibel (das zeitlose Buch) beiseite – und er hört die Vögel den Ewigen preisen. Auch in dem Gedicht „Der Bettler“ bestimmt Lob das Thema: „Brüder, lobt den neuen Tag des Herrn!“ (1907)

Wenig romantisch – um zum Beginn der Darlegung zurückzukommen, in dem die politische Situation angesprochen wurde – wird es in dem Gedicht „Vorabend“ (1916). Es spricht die schwere politische Situation an. „Der Hund ist los, er fordert Fraß“, „Wahnsinn martert Russland schwer“. Es endet, nachdem einmal Christus angerufen wurde: „Bewahr uns, Jesu Christ, vor Hass“, „Die Erde leer – kein Schutz nur Zorn: / Wer hält Gericht? Gott ist nicht mehr.“

Inzwischen ist Bunin nicht mehr in Russland, sondern lebt im Exil. Seine letzte Zeit in Odessa beschreibt er in dem „Tagebuch“: “Verfluchte Tage“. Im Exil verwendet er auch religiöse Themen: „Der Regenbogen ist wie Gottes Segen“ – ein Wunderwerk. Und denjenigen, den Gott mit seinen Gaben bereichert, den ermöglicht er, als Regenbogen zu strahlen – er wird vor dem Verlöschen brennen. Also auch hier: Die Beobachtung in der Schöpfung führt hinüber zu religiöser Reflexion. Dieses Gedicht ist wie weitere 1922 gedichtet worden – und so sieht er in „Der Wetterhahn auf dem Kirchenkreuz“, dass Gottes Kirche und Kreuz ewig währen – eben auch den bolschewistischen Bilderstürmern zum Trotz. In dem Gedicht „Warum fesselt das alte Grab“ spricht er von der Auferstehung. In „Flüstere einen Zauberspruch im Schein“ sieht er eine Sternschnuppe, wünscht sich was. Und selbst wenn Gott in seiner Macht den Wunsch für Russland Wirklichkeit werden ließe, es gibt kein Zurück zu dem früheren Leben. Er denkt an alle, die für Christus getötet wurden und schließt das Gedicht: „Wir können das Kommende Neue nicht annehmen / In seiner abscheulichen Nacktheit.“ (1922) In seinem Gedicht für Petersburg beweint er das Üble, das „Satans Reich“ – also der Kommunismus – in der Stadt angerichtet hat. Satan zerstört alles und erhebt sich gegen Gottes Ordnung und Harmonie. Aber Bunin hat Hoffnung: „Und doch wird die Zeit kommen, die Zeit wird kommen. / Und die Auferstehung und die Taten, / Und die Zeit der Erleuchtung und der Reue.“ http://web.archive.org/web/20200106031632/http://stroki.net/content/view/15192/90/ Heute wissen wir mehr. Der Kommunismus ist verschwunden, Sankt Petersburg heißt wieder so und nicht mehr Petrograd. Aber schon 1916 spricht er in „Du wirst dich nie wieder erheben“ eine Art Fluch über die Sklaven der Gier, der Bosheit, der Wut, Rache, Angst, Lust und Lügen: Sie werden immer in ihren verrotteten Särgen bleiben und Gottes Angesicht nicht sehen. http://web.archive.org/web/20200106034006/http://stroki.net/content/view/15215/90/ Menschen sind Vertreter der Hölle auf Erden – das zeigt Bunin in dem Gedicht „Hosianna“ (1922): Jesus wird begrüßt von einem dämonischen Menschen. Jesus reitet hinein durch das Tor in die Verdammnis. So das Gedicht. Ich denke, es spielt an auf den Glauben, dass Jesus in die Hölle hinabgestiegen ist, um die Menschen zu retten. http://web.archive.org/web/20200106031206/http://stroki.net/content/view/15188/90/

In einem Gedicht „Nacht“ von 1952 – ein Jahr vor seinem Tod geschrieben (eines seiner letzten Gedichte?) – beschreibt er eine eiskalte Mondnacht, der Mond scheint golden auf das Bett – „nur noch ich und Gott“, Gott, der allein seine tote Traurigkeit kennt. „Tote Traurigkeit“? Wenn die Traurigkeit tot ist – was haben wir dann? Freude? Dieses: Nur Gott und der einsame Bunin allein finden wir auch in einem Dankgebet. Gedichte klassischer und moderner Autoren – Danke für alles, Herr! (stroki.net)

Bunin hat in seinen Gedichten von Anfang bis zum Ende auch seinen Glauben reflektiert. Er war ein roter Faden in seinem Leben. Ob sich der Glauben verändert hat, kann anhand der wenigen mir vorliegenden Texte nicht gesagt werden (außer vielleicht, dass soziale Aspekte in den Hintergrund getreten sind). Der Glaube wird mit der Schönheit der Natur verbunden, mit den Klagen der Menschen, der Freiheit. Interessant ist zu sehen, dass in der Zeit der Revolution die Natur für die Revolutionäre keine Rolle spielt. Sie wollen nur Fabriken. Es ist eine städtische Revolution – eine Revolution der Städter. Die alte Bauerntradition, für die die Natur so wichtig ist, ist dann kein Platz mehr. Die Bauern und ihre Tradition werden den Städtern ausgeliefert. Die Natur wird ausgebeutet, sie ist nicht mehr die Größe, der der Mensch zugeordnet ist. Der Städter steht über der Natur. Bunin und auch Jessenin wie Kljuljew stehen noch in der alten Tradition des Bauerntums.