Georg Heym 1887-1912
Vater und Schwester von Georg Heym waren intensiv religiös geprägt, gleichzeitig depressiv. Die religiöse Einstellung hat er nicht übernommen, aber die depressive Stimmung. Aufgrund des Berufs des Vaters musste die Familie häufig den Ort wechseln. Nach der Gymnasialzeit studierte er wohl auf Druck des Vaters Jura, schrieb eine nicht angenommene Dissertation. Er strebte die Offizierslaufbahn an, wurde jedoch zurückgewiesen. Im Januar 1912 starb er beim Schlittschuhlaufen, weil er einem Freund helfen wollte.
Die Gedichte von Heym sind kirchenfeindlich. In Absolution wendet er sich gegen die verknöcherte Kirche des Teufels, weil sie sich gegen die Liebe zweier Menschen wendet. In Allerseelen wendet er sich im Namen der Toten gegen den Friedhofsbesuch der trauernden Angehörigen. In „Die Messe“ spielen Mönche eher eine positive Rolle. Um das Thema Sterben und Tod geht es in vielen Gedichten, in Aufnahme alter Unterwelt – Mythen. Es ist ein Eingehen ins Nichts („Die Morgue“). Wegen seiner Abgrenzung zur Kirche und zum Glauben stimmt er in „Das infernalische Abendmahl“ einen Lobgesang auf den Gegengott an. Der Gegengott Dionysos wird besungen – gesagt wird auch, dass an Kirchen Feuer gelegt wird. Die christliche Intention nimmt er scheinbar in „Der Gott der Stadt“ auf, in der mit „Gott“ der Götze Baal bezeichnet wird, der von Menschen verehrt wird. Orgiastische Musik, konnotiert mit der Göttin Kybele wird ebenfalls eingebracht. Das heißt er wendet sich gegen die Gotteslästerung, einen grauslichen Gegengott zu verehren – allerdings gibt es für Heym keinen positiven Gott und der Gegengott dürfte Teil des Menschen sein. Grund der Ablehnung Gottes könnte die Theodizee sein – und die intensive Beschäftigung mit Nietzsche. Positiv wird Gott konnotiert in dem Gedicht, das Jesu Passion bedenkt. Ich verwende jetzt einmal den Begriff: Das lyrische Ich – also das lyrische Ich beschreibt in „Meine Seele“ die Seele als Schlange „Die ist schon lange tot“, die allerdings noch gewisse Lebenszüge trägt, die Vergehen spiegelt.
Heym spiegelt in den Gedichten den Menschen, der sich gegen alles wendet, was aufbaut. Er wendet sich gegen die Lebensphilosophie seiner Zeit – auch der dunkle Mensch kann seine Gefühlsebene reflektieren, Wort werden lassen. Es geht nicht darum zu bauen, aufzurichten, sondern zu destruieren, zu zersetzen. Ansätze sehen wir bei Trakl. Was andere als positiv ansehen, wird ins Negative verkehrt. Das Licht in dunkler Nacht – ein positives Bild – bedeutet in dieser zerstörerischen Weise: Wo Licht ist, wabern die Schatten. Der Mensch lotet seine Abgründe aus – und ich vermute, er empfindet das, weil es gegen die Konvention geht, als Befreiung. Die Befreiung ins Nichts.
Georg Trakl (1887-1914)
Er sah keine Heilung für sich, in Inzest (vgl. „Blutschuld„: „Wir beten: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!“ und „Der Heilige“) und Drogen verstrickt. Aber er suchte die Heilung.
Zitiert werden die Gedichte – wenn nicht anders vermerkt – nach: Geliebte Verse. Die schönsten deutschen Gedichte aus der ersten Jahrhunderthälfte, Limes Verlag Wiesbaden, 3. Auflage 1961 und: Deutsche Gedichte von 1900 bis zur Gegenwart, Hg. V. Fritz Pratz, Fischer Bücherei Frankfurt/M. 1971.
In seinem Gedicht „Menschheit“ heißt es : „Gewölk, das Licht durchbricht, das Abendmahl. / Es wohnt in Brot und Wein ein sanftes Schweigen / Und jene sind versammelt zwölf an Zahl. / Nachts schrein im Schlaf sie unter Ölbaumzweigen; / Sankt Thomas taucht die Hand ins Wundenmal.“ In seinem Gedicht „Am Winterabend“ wird seine Sehnsucht deutlich: „Wanderer tritt still herein; / Schmerz versteinerte die Schwelle. / Da ergänzt in reiner Helle / Auf dem Tische Brot und Wein.“ – wenn damit an das Abendmahl gedacht wird. Das liegt nahe, denn auch im „Gesang des Abgeschiedenen“ wird es verdeutlicht: „Und es leuchtet ein Lämpchen, das Gute, in seinem Herzen / Und der Friede des Mahls; denn geheiligt ist Brot und Wein / Von Gottes Händen…“. Abendmahl – so nah kommen sich Jesus Christus und der Mensch sonst kaum. Die Kirche empfindet er als tot – und in dem Todesgrauen ruft eine Stimme: „Erbarm dich unser – Herr!“ (Die tote Kirche“)
Es gibt bei Trakl viele Anspielungen und Nennungen Gottes, aber eher melancholisch, anklagend, suchend. Er sah seine Gedichte als Spiegel eines gottlosen, verfluchten Jahrhunderts an. Er selbst suchte Gott, litt an der Gottesferne. Er selbst zeigt in „Trübsinn“, dass er alles ins Negative zieht. Während andere das Licht in der Nacht feiern, sieht er: „Ein Licht ruft Schatten in den Zimmern wach.“ (vgl. auch „Confiteor“, die negative Sicht wird so beschrieben: „Mich ekelt dieses wüste Traumgesicht“). Entsprechend kann auch das Gottesbild unnahbar formuliert werden („Grodek“). Statt das Abendrot zu bewundern, lesen wir: „Doch Stille sammelt im Weidengrund / Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt, / Das vergossene Blut sich, mondne Kühle; / Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.“ Im „Gesang zur Nacht“ ergibt er sich: „Ich wehr´ euch nicht, ihr feindlich dunklen Mächte“. Zu sehen ist die steigernde lyrische Verfinsterung an den drei Fassungen des Gedichts „An Luzifer„. Dennoch: Er ringt um Gott. Im „Abendländischen Lied„ schreibt er: „…Ruh des Abends, / Da in seiner Kammer der Mensch Gerechtes sann, / In stummem Gebet um Gottes lebendiges Haupt rang.“ Im „Das tiefe Lied“ hören wir einen frohen Klang: „Aus tiefer Nacht ward ich befreit. / Meine Seele staunt in Unsterblichkeit, / Meine Seele lauscht über Raum und Zeit / Der Melodie der Ewigkeit!“ Die Erfahrung, dass die Grenzen des in sich verkrümmten Menschen aufgebrochen werden, kann auch er besingen. Der Mensch ist auf der Suche, gerade auch durch die Finsternisse: „Wir gehen durch die Tode neugestaltet / Zu tiefern Foltern ein und tiefen Wonnen, / Darin die unbekannte Gottheit waltet – / Und uns vollenden ewig neue Sonnen.“ („Einklang„)
Um zu verstehen, was Else Lasker-Schüler über „GeorgTrakl“ schreibt, muss man ihn wohl sehr gut persönlich gekannt haben, denn aus den Gedichten, die mir zugänglich waren, geht das so deutlich nicht hervor: „Seine Augen standen ganz fern. / Er war als Knabe einmal schon im Himmel. / Darum kamen seine Worte hervor / Auf blauen und weißen Wolken…/ …/ Des Dichters Herz, eine feste Burg, / Seine Gedichte: Singende Thesen. / Er war wohl Martin Luther. / Seine dreifaltige Seele trug er in der Hand, / Als er in den heiligen Krieg zog.“