Hermann Claudius (1878-1980)
war Lehrer, war als Soldat im ersten Weltkrieg, dichtete viele Texte unterschiedlichster Weltanschauung – und viele davon wurden vertont: nationale Gedichte, als SPD-Mitglied gewerkschaftlich orientierte Lieder bzw. Lieder der Jugendbewegung (so zum Beispiel das berühmte bis in die linke Gegenwart gesungene Lied: „Wann wir schreiten Seit´ an Seit´“, hat viele plattdeutsche Gedichte geschrieben; in Zeiten des Nationalsozialismus engagierte er sich schon früh sehr konservativ, beeinflusst von dem rassisch-völkisch orientierten Hans Grimm. Nach 1945 lebte er wohl weiter in dessen Fahrwasser. Massiv kritisiert wird er zum Beispiel von Bergengruen. Wegen seiner Volkstümlichen Dichtungen haben manche seiner christlichen Texte hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Im gegenwärtigen Evangelischen Gesangbuch hat das Lied „Wisst ihr noch, wie es geschehen?“ (52) Eingang gefunden. Weit verbreitet ist auch das schöne Morgenlied: „Jeden Morgen geht die Sonne auf“. Diese Texte haben nichts mit nationalsozialistischer Ideologie zu tun. Hingegen andere schon, so das Gebet: „Herr Gott, steh dem Führer bei“. Auf dieser Seite: http://www.hermann-claudius.de/index.php?menuid=9&reporeid=43&getlang=de wird die Nähe zum Nationalsozialismus mit der schweren finanziellen Lage in Zusammenhang gebracht, und zudem wird dargestellt, dass Claudius im Kontext eines Gedichtbandes Hitlers Absolutheitsanspruch mit Blick auf Gott relativieren wollte – was auch die letzte Zeile des genannten Gedichts aussagt: „Herrgott, steh uns allen bei.“ Interessant ist in diesem Zusammenhang die „Deutsche Hymne“ (1928). In ihr lauten die letzten Strophen: „Land vom großen Bruderglauben / an die Menschheit noch erfüllt: / Deutschland, laß ihn dir nicht rauben! / Wahre deinen Menschheitsglauben / klar und fest in deinem Schild!“ Nach 1933 wurde, so die Anmerkung der oben genannten Seite, diese Strophe in Liederbüchern weggelassen, sie passte nicht mehr in die Ideologie. Aber Claudius hat daran, wie unten zu sehen sein wird, festgehalten. Gott wir im Gedicht „Deutschland“ (1936) mit den Völkern verbunden: „Doch immer, wo ein Volk den einen Ton / Des Ewigen fand… Hat es dem Geiste Gottes sich verbunden“ – und er stellt die Frage, ob Deutschland unter den Völkern „eine reine / Herzoffene und klare Antwort fand?“
Wie auch immer die Vita zu interpretieren ist – denn Anpassung an nationalsozialistische Zeit betrifft auch andere hier vorgestellte Viten, von Benn über Seidel, hin zu Weinheber – es geht mir an dieser Stelle in erster Linie um die Aussagen zu Gott. Die folgenden Texte werden nach der genannten Seite zitiert.
Claudius besingt Gott mit einer großen Leichtigkeit. Das wird in „Kleines Lied“ (1927) sehr schön deutlich, von dem zwei Strophen zitiert werden sollen: „Den Blumenstrauß vom Felde / hab´ ich für dich gepflückt. / Und du magst fröhlich glauben / Gott hat ihn dir geschickt. // Er war in jeder Blüte. / Er war in jedem Duft. / Ich hab ihn eingesogen / mit jedem Zug der Luft.“
Inhaltlich kann er auch in Gedichten „die Götter“ erwähnen, aber auch das „Nichts“, das uns zum Beispiel bei Benn begegnet. „An Heinrich Wolgasts Bahre“ (1920) erkennt er es: „Da stand es ohne worteschöne Lüge, / das furchtbare Hinunter in das Nichts.“ Und als er sich von der Bahre losgerissen hatte: „schlug sich wie kaltes Totentuch das Wissen / der grenzenlosen Einsamkeit des Ich.“ Noch 1940 kann er in „Sonnenwende“ schreiben: „Was will das arme Wort: ich bin? / Und: Gott! – was will dies andre Wort? / Es ist, als stürze alles fort. // Ein Abgrund reißt sich auf, ein Schrei! / Und alle Schöpfung ist vorbei.“ Entsprechend schreibt er in „Finale“ (Ende 1940), dass er nicht in diese Zeit passe, dass er angesichts des Applauses weinen könne, „Denn immer fühl ich mehr und immer mehr, / daß diese Zeit im letzten Grunde leer.“ Und er wünscht sich den Rückzug in die Familie. 1944 gibt es viele Liebesgedichte – in diesem Jahr heiratete er.
Es kommt die Frage auf: Ihm wird der Abgrund und die Leere der Zeit erst 1940 bewusst? (Dazu siehe auch unten.) Interessant, dass in diesem Zeitraum auch Ina Seidel bemerkt hat, dass sie irrgelaufen ist. Das will, das kann man nicht verstehen: Wenige Kilometer von einem entfernt leiden Menschen unsägliche Qualen, nicht einfach Qualen durch Krankheit und Tod, sondern verübt von grausamen Menschen, Menschen, die Menschlichkeit mit Füßen treten, die sich einer grausamen Ideologie ausgeliefert haben. Die denunzieren, die dazu Menschen zwingen, dahin zu vegetieren, Menschenversuche, Menschen werden vom Alltagsleben und ihren Lieben getrennt. Kinder, Alte, Männer, Frauen werden erniedrigt, und Länder werden in Schutt und Asche gelegt… – ich will das nicht alles beschreiben. Dann solche Gedichte, die kaum ahnen lassen, dass der Autor diese barbarischen Taten wahrgenommen hat? Gedichte sind eine eigene Gattung, vielleicht lassen andere Texte von Claudius mehr erkennen. Aber dann in Zeiten der Globalisierung denkt man: Wie lange dauert es, dass man mit dem Flugzeug auch bei Menschen sein könnte, denen aufgrund des Leidens an Unrechtsstrukturen das Dichten schöner Gedichte wie ein Hohn sein muss? Es liegt an uns Menschen, verflochten mit der Zeit, Freiräume schaffen zu können. Das soll niemanden entschuldigen – auch uns nicht. Es ist eine Feststellung, die man verarbeiten muss.
In den Folgejahren entstehen weitere Gedichte, die Tränenschwer sind – aber auch idyllisch. Und in beide Kontexte hinein wird Gott verwoben. http://www.hermann-claudius.de/index.php?menuid=57
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Mir liegt das Bändchen: „Und weiter wachsen Gott und Welt“ vor, das 1936 im Verlag Albert Langen und Georg Müller in München erschien. In „Irgendwann“ heißt es: „Der Dämon mir im Blute / ist tausend Jahre alt. / Ich fühl ihn in mir kauern, / weiß seine Urgestalt. // Ich sah ihn oft im Dämmern, / eh noch der Tag verrann, / den Bösen in mir selber, / den ich nicht bannen kann.“ Diesen Dämon hat er zwar in sich gefesselt, wird aber in nachfolgenden Generationen ausbrechen. Dieses Gedicht ist spannend, weil es manche Aspekte der Zeit aufnimmt. „Blut“, Tausend Jahre – also die Ahnen, „weiß“ die Frage der Rasse. Hat er das bewusst gemacht? Das Blut kommt häufig in den Gedichten vor. „Unruh-Gestalten“ die sich von seinem Blute nähren, der Sommer blutet sich tot, die Ebereschen bluten, „Man gibt sich wider Willen seinem Blute“; in „Ihm!“ heißt es: „was heißt das: Blut? Und das, was heißt das: Erde? / Und was ist Zeit? —- Ich seh den alten Gott / auf seine kluge Erde niederlächeln. / Immer war ER. Und wo´s geschah, war ER.“ „Blut“ wird also in einem anderen als der Zeit gewohnten Kontext verwendet. Und all das ideologische Auftrumpfen (Tausendjährige Reich) ist im Grunde eine von Gott belächelte Zeiterscheinung.
Es begegnen in seinen Gedichten die Sehnsucht nach Stille, Tränen in der Seele, Sterblichkeit trotz des Schönen: „Zehrt unser Lachen nicht heimlich von Traurigsein?“ („Schöne des Sommers“), am liebsten möchte er mit den Vögeln ziehen, doch: „Daß ich nicht flüchtig werde / der Fernen, Herr, ich bitt´. / Laß mich der deutschen Erde, / für die ich litt und stritt. // Wenn deine Stürme wehen / in Winternacht und -not, / laß mich verwurzelt stehen / mit meinem Lande, Gott.“ Und so fordert er in „Du mußt an Deutschland glauben“ eben dazu auf und dazu, mit Deutschland zu ringen bis in das Morgenrot – wie Jakob mit Gott bzw. dem Engel am Jabokk rang. In der letzten Strophe heißt es: „Du mußt an Deutschland glauben, / daß es das Deine sei / und daß es nicht vergessen, / was Gott ihm zugemessen / daß es das Eine sei.“ Aber dieses Glauben an Deutschland steht nicht autark in dem Bändchen. Im nächsten Gedicht („Um Mitternacht“) schon heißt es: „Gott ist die ewige Größe. / Gott ist die ewige Macht.“ Wenig weiter heißt es in „Schlichter Psalm“: „Ich bin ein Christ. / Ich weiß, / daß über Erde und Himmel / der eine Gott nur ist. // Ich bin ein Christ. / Ich weiß, / daß über alle Erde / jeder mein Bruder ist.“ Das ist eine Aussage, die in dieser Zeit nicht allgemein akzeptiert worden sein dürfte. In der letzten Strophe wird etwas ausgesprochen, was bislang noch nicht vertieft wurde: Die Einheit von allem, die Einheit von Mensch und Natur – und die Einheit wird vollendet: „Ich bin ein Christ. / Ich weiß, / daß Erd und Himmel / und alles Leben und Sterben / in Gott beschlossen ist.“ Gott ist die Größe – und so schreibt er in „Hinterm Pflug“: „Sie loben mich heuer gern, die Herren. Ich lächle nur, … Leben ist Leben. Und Reden ist Reden und Trug.“
Das Gedicht „Musika“ denkt über Musik nach. Sie ist „Gottes allerbeste Gabe“. Und wie kam es dazu, dass der Mensch Musik wahrnahm? „Es stand der Mensch in Morgenstille / (ein erster Vogel schlug im Ried), / Da rührte ihn der heilige Wille – / und horch: sein Lallen ward zum Lied. // Da schwieg der Mensch, in sich erschrocken. / … / als wollt´ ihm Gott das Lied entlocken… // Da sang der Mensch“ und seine Seele verband sich mit der Gottheit. Und Gott segnete die Musik.
Allein in diesem Band könnten weitere Gedichte mit Gott genannt werden. Es schließt auch mit einem Gedicht „Fuge“, in der er feststellt, dass sich Gott verborgen hält – dennoch: „Ich will und muß auf Seine Weisheit bauen, / die sich mit unserer so sehr entzweit, / als wäre Seine Zeit nie unsre Zeit.“ Das Gedicht schließt: „Und ob wir rückwärts, ob wir vorwärts schauen, / und ob uns Freude schüttelt oder Grauen: / Er war und ist. Und Er wird ewig sein. / Wir aber schreiten durch Ihn aus und ein.“ Es wird deutlich, dass der Dichter wahrnimmt, dass die Weisheit seiner Zeit nicht mit der Weisheit Gottes übereinstimmt. Dann jedoch führt er diese Spannung versöhnlich zusammen. Statt sie auszuhalten. Statt sie wirklich wahrzunehmen und im Namen Gottes gegen das anzugehen, was diese Spannung ausmacht. So kann Glauben, so kann Theologie missbraucht werden. Das zeigt das Harmoniebedürfnis des Verfassers, es zeigt, dass er Leser und sich selbst trösten will. Das kann auch leichtsinnig sein, wie der Prophet Jeremia, sagt: Sie trösten mein Volk in seinem Unglück und sagen: Friede, Friede! Doch es ist kein Friede (6,14).
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Der Band „Aldebaran“ von 1944 enthält neben Gedichten bekannter Art auch zahlreiche Gedichte, die als Kritik an seine Zeitgenossen und sich selbst interpretiert werden können. In „Die sieben Echternacher Sonette“ (1941) schreibt er (VII): „Vermöcht´ ich doch der Welt zu helfen – ach! – / Sie wird von Tod und Teufel umgetrieben / … / Und welcher Gottheit stürzen jäh wir nach?“ Im „Tagebuch“ (1942) sagt er auf seine Art: „O bliebe unsere Seele doch so rein / und kindhaft offen allen Gottesgnaden! / Und keiner trachte nach des andern Schaden / und wolle Bruder ihm und Schwester sein.“ (VIII) Er schämt sich vor Gott wegen seiner Schuld (XV). Die Blume belehrt ihn – „Wir müssen – deucht mich – ganz von vorn beginnen.“ (XVII) Er möchte am liebsten weg sein von der Erde, er zieht sich zurück in sein Refugium. An dieser Stelle wären noch viele Gedichte zu nennen. Eines sei noch zitiert, weil es verdeutlicht, wie er die Übel der Zeit wahrnimmt – und mit ihnen umgeht. „Oft in der Nacht dann packt mich jäh ein Bangen, / daß rund umher die Welt irrläufig sei. / Es bleibt gleich einem unterdrückten Schrei / in meiner aufgetanen Seele hangen.“ Er fragt sich, warum der Weg so verkehrt ist, und erkennt: „Binnen drinnen / in unserer Seele wuchs das Falschbeginnen / und losch mit harter Hand das Gotteslicht.“ Aber sofort wird die Schwere genommen und: „Der Morgen dämmert auf mit leisem Beben, / als wollte er die Schwere von uns heben—“ (XVIII) Und ein Weiteres: Warum das Leiden? Kann man etwas dagegen tun? Nein, denn: „Doch können wir den Weltenlauf nicht wenden, / wie er vom Weltenschöpfer eingeschworen. / Wir bleiben unserm Schicksal eingeboren, / und müssen stillehalten seinen Bränden.“ Nationalsozialistische Propaganda ist in diesem Bändchen nicht zu finden – im Gegenteil. Nur ein lobender Hinweis auf Gedichte von Erna Blaas.
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Gott sprengt Grenzen, der Glaube an Gott sprengt Grenzen. Das wird auch an Claudius deutlich. Was auch deutlich wird: Er erkennt aufgrund seines Glaubens, dass etwas nicht stimmt mit seiner Zeit, er setzt ihr – er wagt es – auch freundlich den Glauben entgegen. Doch: Welche Konsequenzen zieht er letztlich daraus? Der Mensch hat geirrt, er hat sich gegen Gott vergangen – nun kann der Mensch nichts mehr machen, er muss die Reaktion Gottes leidend ertragen. An dieser Stelle sei gefragt: Was würde Jesus dazu sagen?
Wir wollen ja, von dem, was wir als Fehler anderer ansehen, lernen. Versuchen es zumindest.