Heinrich Vogel (1902-1989)
Heinrich Vogel war Dorfpfarrer in einer Gemeinde, die heute noch seiner gedenkt (Dobbrikow). Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, trat er in die Bekennende Kirche ein, engagierte sich intensiv für diese und gegen die Deutschen Christen und deren Auslieferung des Glaubens an die nationalsozialistische Ideologie. Er wurde von 1937-1941 Leiter der illegalen Hochschule der Bekennenden Kirche in Berlin, die Theologen ausbildete. 1941 wurden Dozenten und Studenten verhaftet. Die Vorlesungen/Seminare mussten jedoch immer an unterschiedlichen Orten stattfinden, da die Räumlichkeiten der Kirchlichen Hochschule durch die Gestapo versiegelt worden waren. Denn an der normalen Universität war die Ausbildung der Theologen gleichgeschaltet. Man versuchte zu den mächtigen, Hitler treuen und in Kirchen herrschenden Deutschen Christen, eine unabhängige Parallelstruktur entgegenzustellen. Er wurde nicht nur einmal verhaftet, bekam Schreibverbot, Gehaltssperren. Die genannte Gemeinde unterstützte ihn in dieser schweren Zeit.
Nach 1945 war er als Systematischer Theologe gleichzeitig an der Kirchlichen Hochschule in Berlin (West) und an der Humboldt-Universität (Ost) tätig und engagierte sich in der Ost- wie der Westkirche. Er war, wie viele andere bekannte Theologen der damaligen Zeit Mitbegründer der Christlichen Friedenskonferenz, eine Organisation, die vom „Ostblock“ aus, zwischen Ost und West Friedens-Brücken bauen, im Auftrag Jesu Christi versöhnend wirken wollte, aber immer stärker von den kommunistischen Staaten beeinflusst wurde (wieweit Vogel das noch mitbekommen hat bzw. darauf reagiert hat, ist mir nicht bekannt). Das heißt, Kritik am kommunistischen System war in späteren Jahren nicht besonders ausgeprägt. Heinrich Vogel hielt auf der ersten Vorkonferenz der Christlichen Friedenskonferenz im Juni 1958 ein Referat über: „Die Atomgefahr und der Kampf dagegen als Aufgabe der Kirche“ (60 Thesen zu Massenvernichtungswaffen), im Jahr 1959 war sein Thema „Hiroshima“. Auf der „Allchristlichen Friedensversammlung“ 1961 predigte er im Eröffnungsgottesdienst über Lk 2,14 – die Weihnachtsbotschaft.
Heinrich Vogel hat das Thema Schönheit/Ästhetik mit dem Dichten von Kirchenliedern verbunden. Wie aber ist Ästhetik mit Jesu Tod am Kreuz zu verbinden? Die Botschaft vom Kreuz Jesu – also das Wort des Evangeliums – ruft Dankbarkeit, ruft Lob Gottes hervor. („Der Christ und das Schöne“, Werke Bd. 9, Radius Verlag Stuttgart 1983 [Erstauflage 1955]) Die christliche Kunst steht im Auftrag Gottes, Menschen mit der Botschaft zu trösten und zu stärken, und sie Gott preisen können – es geht allerdings nicht um Erbaulichkeit, da diese der Emotion des Menschen diene und nicht Gott. Allein Gott sei die Ehre – und damit kann er seine Dichtkunst im Nationalsozialismus auch politisch wenden: Gegen die Inanspruchnahme des Menschen durch eine Ideologie. Von daher betonen die Texte Basics des christlichen Glaubens, dazu gehören auch Aussagen, die von vielen Deutschen Christen abgelehnt wurden, zum Beispiel dem Tod Jesu zur Vergebung unserer Sünden. Es geht ihm um „Rühmung“ Gottes.
An seinen Gedichten kann man Geschichte erkennen: Aufruf zum Widerstand gegen den Satan (Nationalsozialismus), Aufruf zur Einheit der Glaubenden, Ermüdung angesichts des Bösen, Gefangenschaft, Krieg, Tod, Flüchtende, Überleben, nach 1945 Liebe zur Natur, zur Familie, man schaut ins Weltall, überhört dabei das Wimmern der Menschen. Und all das wird immer mit dem Glauben verbunden. Er ist einer der wenigen, die auch massives Leiden in die Gedichte mit einbringt, einschließlich das Versagen der Kirche.
An Ausgabe liegt mir vor: Versuchen Gott zu loben. Aus dem dichterischen Tagebuch eines alten Theologen, Gesammelte Werke Bd. 3, Radius-Verlag Stuttgart. Leider ist in dieser Ausgabe kaum mehr ersichtlich, wann die Gedichte geschrieben wurden, wieweit sie vor 1945 kursierten usw. Dieser kurzen Übersicht ist es auch nicht möglich, dem vertiefter nachzugehen. Zum Leben und zur Bedeutung Heinrich Vogels s. https://www.ekd.de/huber_020612.html (Ablesedatum Juli 2020).
Im „Ein Lied vom Kreuz Christi“ (1930) lautet die zweite Strophe: „Wie des Hasses Meute schreit! / Priester Gottes Ehre lästern; / Wehe, Seines Todes Zeit / Ist so heute noch wie gestern. / Dorngekrönet / Und verhöhnet / Läßt ohn bleiben. / Unser gottverlaßnes Treiben.“ Aber so soll Kirche nicht sein. In „Ein Lied von der Kirche unter dem Kreuz“ schreibt er zu Beginn: „Herr und Gott erbarme Dich, / Deine Kirche kreuzigt Dich. / Mache sie zu dem Ort, / Da wir hören Gottes Wort. / Da Dein Kreuz steht fest gegründet, / Deine Auferstehung kündet / Deinen Sieg.“ Kirche kann nur dort bestehen und ist da vorhanden, wo sie um das Wort Gottes, dem Heilshandeln Jesu Christi, versammelt ist. Und das ist Vogels theologische Grundlage. Auch in den „Nachdichtungen“ der Psalmen ist das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus im Blick. Biblische Texte werden reimend in die Neuzeit transferiert. Der Schwerpunkt liegt auf die Bedeutung dieses Heilshandelns für den Menschen: Vergebung durch Leiden, Kreuz, Sterben Jesu, Auferstehung Jesu und die damit verbundene Verheißung der Auferstehung des Glaubenden. Diesem Heilshandeln stellt sich der Mensch entgegen, nicht nur die Nationalsozialisten tun es, der Mensch als Sünder überhaupt. Dennoch prägt diese grausame nationalsozialistische Zeit seine Gedichte.
Es wird geschildert, was der politische Satan, was die Dämonen treiben („entmenschen Herz und Hand“ – aber immer auch mit dem Blick auf die christliche Hoffnung. So lautet es in „Ein Lied von der Herrschaft Christi…“: „Wie sich Satan auch mit Listen / Und mit Blutgewalt will brüsten / Wider die Gott auserwählt: Was er heute packt und reißet, / Gestern schon und ewig heißet / Jesus Christus zugezählt.“ Es geht nicht allein darum, sich trösten zu lassen, sich der Gemeinschaft zu versichern. Es geht um Kampf. Hier sei noch einmal aus dem Lied zitiert, das schon in Riethmüllers Liederbuch Wehr und Waffen aufgenommen wurde: „Zerschlagt das falsche Götterbild, / von Menschenwahn geschaffen, / zerschmettert mit des Glaubens Schild / des Feindes hohle Waffen! // Sie wollen ihres Herzens Wahn / mit Gottes Namen schmücken…“. Es ist davon die Rede, dass Recht gebrochen wird, dass Unrecht Recht genannt wird, dass die Feinde locken und drohen, es geht gegen Sünde und Satan, man soll nicht den Falschen trauen; es schließt:
„O lieber Herr, tritt für uns ein,
mach uns zu deinen Zeugen,
daß wir bis in den Tod allein
vor dir die Knie beugen.“
Viele der hier genannten Texte wurden erst nach 1945 veröffentlicht. Dieses genannte finden wir allerdings schon in dem Liederheft „Wehr und Waffen“ von Riethmüller im Jahr 1935 herausgegeben. Das heißt, auch manche der erst später veröffentlichten Texte kursierten.
Streiten heißt leiden: „Leide dich mit Jesus Christ, / Weil du Gottes Streiter bist / Leide dich in Gottes Krieg, / Denn sein Leiden ward dein Sieg.“ („2. Timotheus 2,3“) Diese Bereitschaft zu leiden, wird vom Gebet begleitet. So heißt es „Johannes 6,66-69“: „Gib uns des Glaubens Freudenmut, / Zu widerstehen bis aufs Blut; / Von Menschenfurcht, Herr, mach uns frei, / Du bist uns ewig gut und treu.“ Und spricht die Zuversicht aus: „Das Hohngeschrei der Feinde, / Ihr Lug, Gewalt und List, / Schafft nichts bei der Gemeinde, / In der Du bist, Herr Christ“ („Zephanja 3,12“). An diesen Beispielen wird deutlich, wie sehr er die Bibel als Basis auch von Gedichten nehmen kann, besonders deutlich an den vielen Neudichtungen von Psalmen, die hier nicht aufgegriffen wird.
Weitere Gedichte sprechen die Ohnmacht aus, der sich die Menschen ausgeliefert wissen, und es wird massiv ausgesprochen in „Das jüngste Gericht“ IV.: „O Welt, du geiles Ungeheuer, / Dein Maul säuft Blut, / In immer neuer / Wollüst´ger Wut / Saugst du der Beute ohn´ Erbarmung / Die Seele aus in der Umarmung / Und wirfst die leeren Hülsen weg, / zerstampfst den Rest in Blut und Dreck. / Du badest dich in Blut und Tränen, / Du jauchzst bei deiner Opfer Qual“. Und die leidenden Menschen beten diesen Götzen auch noch an. In „Der Freispruch“ wird geschildert, wie einer erpresst wird, seine Freunde zu verraten. Er verrät sie, weil er hofft, befreit zu werden, und wird dann umgebracht. Dieser Gewalt steht man ohnmächtig gegenüber, aber der Glaube schaut auf den, der kommt, der sein Reich errichten wird. In den Gedichten wird weiter die Ohnmacht deutlich – und die Flucht zu Gott, der alles wenden wird. Es handelt sich auch um Gedichte in der Tradition der Apokalyptik. 1941 heißt es in „Die Prüfung“: „Mitten in dem Rachen / Sitze ich und singe, / Darf des Todes lachen / Und bin guter Dinge; / Denn mein Gott / Macht zu Spott, / Was der Feind vollbringe.“ Aber die folgenden zum Teil eindrücklichen Elegien stellen viel Elend dar. Dennoch: „Frei ist, wer Gott ein Loblied singt!“ Und Loblied kann gesungen werden, weil Gott den Menschen empfängt.
Nach 1945, in der Zeit, in der Menschen den Weltraum entdeckten, schreibt er in „Wir rechnen in Millionen“: „Des Weltenraumes Flimmern / Ekstasen in uns weckt, / doch nebenan das Wimmern / hat uns noch kaum erschreckt.“ Gott warnt den Menschen beständig. Doch der Mensch hört nicht. „Das schwingt und saust, / das kreist und saust / in ungestillter Kehre; / und unbehaust, weh´, unbehaust / saugt mich die Angst in´s Leere.“ Aber Christus nimmt die Angst der Welt in seine Arme. („Schwarz ist der Raum“) Wohl mit Blick auch auf Benn formuliert: „In wenigen Buchstaben / ist Wort und Schrift bestellt, / wenn wir zerstört sie haben, / ist Sprache uns zerschellt. // So laßt das eitle Kritzeln / Und Witzeln mit dem Nichts, / schon langt nach all den Schnitzeln / die Flamme des Gerichts!“ Menschen kokettieren mit dem Nichts und zerstören die von Gott geprägte Sprache. Der Mensch hört nicht auf Gottes Warnung – es folgt das Gottesgericht, das darin sich auswirkt, dass Menschen, wie oben gesehen, über einander herfallen: „Der Auferstandene bittet / für diese arge Welt, / daß sie, vom Haß zerrüttet / noch nicht dem Zorn verfällt.“ Es gibt noch Menschen, die „in Gottes Gnadenlicht“ wirken („Noch liegt die Welt im Argen“) Man denke in diesem Zusammenhang auch an das Engagement von Heinrich Vogel gegen die Atomwaffen. Gottes Zorn gegen die Menschen fällt in der Theologie der Zeit häufig mit dem schlimmen Handeln der Menschen zusammen. Aber der Mensch kann ihn abwenden, wenn er sich menschlich, das heißt Gottes Willen entsprechend verhält. Auch als Beter. In „Mit einer Hand voll Betern“ (GW 3,88) lautet die letzte Strophe:
„So laß dich nur nicht grämen
der Klugen Hohn und Spott,
brauchst dich nicht selbst zu schämen,
denn hinter dir steht Gott!“
Mit Heinrich Vogel haben wir Gedichte eines sehr engagierten Christen vorliegen. Er versucht die Glaubenden in Jesus Christus zu verankern, damit sie menschlich auf allen Ebenen wirken. Das bedeutet auch, Leiden in Kauf zu nehmen, das bedeutet, sich in allen Lebenslagen in Gottes Arme eingebettet zu wissen. Er spricht in den Gedichten nicht einzelne Gruppen an, nicht Juden und Sinti/Roma. In diesen Gedichten wird nicht differenziert, leidende Flüchtlinge – eben alle Flüchtlinge werden angesprochen -, unter dem blindwütigen Wüten der Sünder leiden alle. Angesichts des Leidens in den KZ dürften auch seine Gedichte scheitern. Leider weiß ich jedoch nicht, ob ich ihn damit richtig interpretiere. Es wird nur deutlich, dass er in einem Gedicht („Charfreitag“) von Jesus bekennt, dass er als der „Judenkönig“ hingerichtet wird, zudem finden wir in vielen Texten die Begriffe, die die Deutschen Christen gemieden haben (z.B. Halleluja). Er selbst trat (in Übereinstimmung mit dem Betheler Bekenntnis von 1933) für die Taufe von Juden ein (was aus rassischen Gründen von Deutschen Christen und anderen abgelehnt worden war), zudem wollte er bei einem Referat über das Liebesgebot eingehen, das auch gegenüber Juden angewendet werden muss, was ihm jedoch verboten wurde. https://www.markus-gemeinde.de/index.php?id=155
Vogel schreibt „Kirchenlieder“ – also Lieder, die als Gemeinschaft gesungen werden können. Davon zu unterscheiden sind geistliche Gedichte, das sind Gedichte, in denen wie auch sonst in Gedichten ein lyrisches Ich den Glauben thematisiert. Zwei Texte wurden im EG aufgenommen: „Dass ist mir lieb, dass du mich hörst“ (292) und „Gott ruft dich, priesterliche Schar“. So manches andere Gedicht müsste im Gesangbuch aufgenommen werden. Ich sehe neben das oben genannte Gedicht „Mit einer Hand voll Betern“ das Gedicht „Auf dem Sterbebett“ (S. 111) als ein solches an: „Laß mich in dir entschlafen, / Herr nimm zu Dir mich ein“. Es endet:
„Laß mich vor Dir erwachen,
vor Deinem Angesicht
lobsingen Dir und lachen,
mein Gott, in Deinem Licht!“
Sehr schön ist auch aus der Perspektive der Kirchenlieder „Das Danken ist mein liebstes“ (S. 90) die dritte und letzte Strophe lautet:
„Das Danken ist mein liebstes,
das Beste, das ich kann,
Du gibst es, Du vergibst es,
Herr, nimm es gnädig an!“
Heinrich Vogel stellt sich mir als einer dar, der allem Schönen gegenüber fröhlich aufgeschlossen ist – selbst Spatzen werden bedichtet („Du Spatz in meinen Trauben“) – weil sein Glaube Schönheit fröhlich wahrnehmen lässt. Aber gleichzeitig ist dieser Glaube die Basis dafür, seine Stimme gegen Unrecht und Ungerechtigkeit zu erheben und auch gegen ein solches zu handeln. Das bedeutet nicht, dass nicht auch er schuldig geworden ist – wie er es auch selbst sieht, schuldig geworden ist und auf die Vergebung angewiesen ist.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass es von Heinrich Vogel auch Hefte mit Liedern gibt. Mir liegt vor: „Lob aus der Stille. Neue geistliche Lieder in Wort, Weise und Satz“, Verlag Merseburger Berlin, o.J. (Edition Merseburger 770)