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Hannah Vogt (1910-1994)
Der Glaube kann nicht schweigen. Christliche Lyrik der Gegenwart, hg. v. Anna Paulsen, Heliand Verlag Lüneburg 1948 schreibt über die Gedichte von Hannah Vogt, die in „Der zweite Reiter“ und „Der Regenbogen“ erschienen sind, dass „die Gedichte dieser damals unbekannten Studentin in geheimen Studentengruppen wegen ihres tapferen Bekennermutes und ihrer großen nüchternen Erkenntnis mit leidenschaftlicher Anteilnahme gelesen“ worden seien. Leider ist mir nur das erstgenannte Gedichtbändchen zugänglich. Aber manche Gedichte finden sich auch zerstreut in dem genannten Band und in den unten genannten Bänden.
Hannah Vogt 1910 in einer finanziell unabhängigen Familie geboren, studierte nach dem Abitur Naturwissenschaften, wechselte zu Volkswirtschaft. Trat 1930 in die KPD ein, verteilte Flyer und organisierte Parteiveranstaltungen. Gleich nach der Reichstagswahl wurde die 23 jährige wegen Verdachts des Hochverrats inhaftiert, wurde unter anderem ins KZ Moringen eingewiesen. In den Briefen vertritt sie eine martialische kommunistische Weltanschauung („Lehre des Schwertes“), in der sie auch Gandhi massiv kritisiert, weil er nicht mit Waffen gegen die Unterdrücker kämpfen will. Weihnachten 1933 wurde sie begnadigt (Briefe aus der Zeit wurden veröffentlicht: Hans Hesse [Hg.]: Hoffnung ist ein ewiges Begräbnis. Briefe von Dr. Hannah Vogt aus dem Gerichtsgefängnis Osterrode und dem KZ Moringen, Bremen 1998; zu Gandhi 21.4.1933). (*) 1937/8 ließ sie sich zur Schwesternhelferin ausbilden und trat in die Kirche ein.
Hesse schreibt dazu (148f.): „Möglicherweise sah sie gerade in der Hinwendung zum Christentum eine Möglichkeit, ihrem Protest Ausdruck zu verleihen“ – so besaß sie Predigten von Martin Niemöller, dem wichtigen Vertreter der Bekennenden Kirche, der 1938 bis 1945 im KZ Sachsenhausen inhaftiert war. Mit dieser Kommentierung wird eine Distanz zum Glauben zum Ausdruck gebracht, dem ihre Gedichte (siehe unten) widersprechen. In ihrem Buch „Schuld oder Verhängnis“ (1961) wendet sie sich auch dem kirchlichen Widerstand zu: „Es war daher kein Zufall, daß der Widerstand zuerst dort unverkennbar zu Tage trat, wo die Befehle des Staates mit einem höheren Auftrag in Widerspruch traten, wo man sich die Frage stellte, ob man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen.“ (194f.) Dann wendet sie sich dem kommunistischen Widerstand zu (196).
Zurück in die Zeit von 1933: Im 67. Brief vom 5.8.1933 weist sie auf Maleachi 3,2 hin. Zeigt diese Nennung einer sonst doch eher nicht so bekannten Stelle nicht ihre Beschäftigung mit der Bibel auf? Am 12.6. allerdings weist sie noch auf ein ehemaliges KPD-Mitglied hin, das Christ geworden sei. Sie schreibt dazu, dass er „ein Renegat (sei), der uns hier trösten und bekehren soll. Nur minderwertige und nie überzeugte Subjekte können hier ihre Gesinnung wechseln.“ Es geht allerdings im Folgenden nicht darum, dass sie ausschließt, sich dem Glauben zuzuwenden, sondern, wie auch in anderem Brief deutlich, dass sie nie unter Zwang, sondern nur in Freiheit solche Entscheidungen treffen wolle. Dass der Nationalsozialismus den christlichen Glauben nicht gefördert hatte – im Gegenteil – , hat sie in ihren jungen Jahren wohl noch nicht mitbekommen. Und ihre spätere Beschäftigung für die Promotion mit dem liberalen Christen Naumann und Winnig, der Gewerkschafter war, sich zunächst für den Nationalsozialismus engagierte, sich dann aber als konservativer Christ dem Widerstand zuwandte, dürfte ebenso nicht von ungefähr kommen. In ihrem Brief vom 28.5.1933 zitiert sie ein älteres Gedicht (von „vor 5 Jahren!“) von sich selbst. Leider schreibt sie nicht, wer mit dem „du“ gemeint ist. Es klingt sehr religiös. Ihre Mutter, so geht aus einem der Briefe hervor, würde gerne glauben, kann es aber nicht. Der Vater spricht das Thema in den Briefen nicht an.
Sie führte 1942 ihr Studium fort und schloss es 1944 ab und wurde 1945 zur Dr. phil. promoviert. Sie war unter anderem Journalistin und Autorin, engagierte sich in der Göttinger Nothilfe, die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (z.B. Schuld oder Verhängnis) wie die christlich-jüdische Zusammenarbeit (z.B. Die Juden und wir. Zur Woche der Brüderlichkeit 8.-15. März 1958) und das Leben in der Demokratie (z.B. Demokratie gleich Mitdenken und Mitentscheiden) beschäftigten sie. Sie trat aufgrund ihrer Beschäftigung mit dem evangelischen Theologen und liberalen Politiker Friedrich Naumann in die FDP ein, dann später, weil die FDP einen ehemaligen Nationalsozialisten zum Oberstadtdirektor wählen wollte, in die SPD. Sie war Ratsherrin. Die Wahl zur Oberbürgermeisterin von Göttingen wurde durch die FDP verhindert. Sie bekam das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und wurde Ehrenbürgerin der Stadt Göttingen.
In dem Gedicht „Berufung“ geht es um das Beten. Glaubende sind berufen, Gott zu rühmen. Aber sie stürmt auf die Festung Gott ein. Und sie fragt sich, ob Gott sich bezwingen lässt. Sie endet das Gedicht: „lehre mich das rechte `Nimm und gib!´/ Zu Deiner Ehre / Beten mich lehre!“ (35f.) In „So war es denn vor Anbeginn der Welt“ sieht sie den Menschen der Gegenwart als der „im Schlamm geborne Lurch der Grotten / in allen Sinnen gleich verkrüppelt… / und aus der Finsternis das Licht verspotten.“ (37) Denn wir kennen die Namen der großen Beter des Alten Testaments nicht mehr. Die Alten haben geseufzt: Wo ist Gott? Aber sie haben auf ihn ehrfürchtig gewartet, während die Frommen der Gegenwart ihn in die Hand bekommen wollen. Diese Spannung, in der der Mensch des Glaubens steht, wird auch in dem Gedicht: „Du rufst mich, Herr“ ausgesprochen. Sie weiß, dass Gott sie beruft, weil sie gleichzeitig „beseligt und verzagt“ ist. Sie ist ein königlicher Adler und ein ängstliches Reh. Sie weiß sich von Gott umfangen – aber gleichzeitig hat sie Angst, dass er von ihr zu tun verlangt, wozu sie zu schwach ist. Gott möchte ihr in Fülle geben, das weiß sie – aber sie begrenzt Gottes Willen. Und diese Spannung löst sich in der Bitte, vergleichbar zum ersten Gedicht: „Tu Du das Wunder, welches Glauben schafft.“ (42)
Aber sie schreibt auch Gedichte, die ein anderes Thema haben. So lässt sie in „Klage um einen Vermißten“ einen Vermissten/Toten zu seiner Mutter sprechen, dass er nicht arm, sondern reich sei, er hat überwunden, er hat die Krone, dass er ihr alles Schöne der Natur schenkt, aber auch „alle Verse, die uns die Propheten / und Dichter zugebracht, durch die volle Kraft / der Gottheit hohe Atemzüge wehten.“ (2. Reiter 18) Auch der Regenbogen ist Trost – die Tränen der Erde beginnen durch die Sonne in Farben zu funkeln. Und so solle Gott die Tränen durchfunkeln, „durchdringe mit heilendem Leuchten“ die Trübsal. (72)
In der Zeit, in der alles durch die Bomben zerstört wurde, ermutigt sie die Menschen, dass sie nicht an den zu Staub zerfallenen Domen und Kathedralen hängen sollen. Dass sie zerstört werden, ist Gottes Tat. Darum sollen die Glaubenden nicht klagen. Und weil Gott es ist, können sie sich aus dem Staub erheben, denn die Glaubenden haben „das Wort, den Geist. Euch blieb: der Glaube.“ Und sie haben noch etwas; sie haben seinen Wein – womit sie auf das Leiden, das Blutvergießen Jesu hinweist. Damit wendet sie den Blick der Glaubenden wieder zurück in die neutestamentliche Zeit, in der der Apostel Paulus sagte: Ihr seid Tempel des Geistes Gottes, ihr leidet mit Christus. Aber es kann auch politisch intensiv unter Berücksichtigung der deutschen Schuld gesprochen werden, so in „Das Urteil“: „Die Sieger sind nur Schwert in Gottes Hand“ und die Deutschen sollen das Urteil annehmen. Menschen gelüstet es nach Rache, doch Gott gebietet „die Herzen abzurüsten“. Die Gier, die Erde mit Gewalt zu knechten, hat das Volk zerfressen. Die Knechtschaft, die man anderen antat, muss das Volk nun selbst erleiden. Aber: Das Volk soll auch nicht mit Gott rechten, denn er erbarmt sich der leeren, unbewaffneten Händen. Er gibt Nahrung, er gibt Trank „wirst du nur endlich Ihn zum Herrn begehren.“ Indem sie Gott als Blitzableiter einbaut, versucht sie sozusagen die Herzen, die Menschen schaden wollen, zu befrieden. (in: Lob aus der Tiefe. Junge geistliche Dichtung, Hg.v. Friedrich Samuel Rothenberg, Göttingen 1946). In Giottos Fresko: „Der Judaskuss“ erkennt sie den Menschen und sich selbst wieder. Sie sieht darin den Menschen, der sich seit Ewigkeit gegen Gött empört, „Dies ist der Mensch, der auch in mir und Dir / ausbrechen kann, wenn ihn der Wahn betöret, / Gott gleich zu sein mit seiner armen Gier.“ (Licht der Welt. Eine Gedichtsammlung, hg.v. Otto Freiherr von Taube, Christian Kaiser Verlag München 1946, 254) Und ganz konkret: „Wir“ hatten kein Mitleid, als Deutschland Not gebracht hat, als Städte in Schutt und Asche gelegt wurden, Menschen geschändet wurden – doch nun trifft es „uns“ selber: „Jetzt gib uns Tränen, Herr, die fremde Not / mit unserer eignen liebend zu beweinen.“ Die Schuld des Menschen spielt dann auch in weiteren Werken – wie etwa in Schuld oder Verhängnis? Zwölf Fragen an Deutschlands jüngste Vergangenheit, Diesterweg Frankfurt 1961 (Staat und Gesellschaft 11) – eine Rolle, aber außerhalb von Gedichten. Diese Untaten der Menschen bekämpft Gott – sichtbar in der Niederlage des Volkes. Und so bittet sie Gott darum, damit komme ich wieder auf den Anfang zurück, dass er helfe, die Herzen zu verwandeln, dass sie wie das Weizenkorn, das gestorben ist, wieder aufgehen und dem Willen Gottes entsprechend handeln. Dass auch die, die das Leben verhöhnten, das Glück des Seins (Sälde), des Lebens ahnen können (2. Reiter 9). Menschen opfern andere: „Vom Dämon Besessne, / tief in die Hölle Verdammte wüten wir fort. / Wann vernimmt unser Ohr das lange vergessne, / kettenaufsprengende heilsame göttliche Wort?“ (2. Reiter 12) Im Sterben führt Gott den Menschen „von dem schwanken Grund / des Werdens in das Sein“ und vollendet des Menschen Stückwerk (20).
Angeblich habe sie sich von den religiösen Gedichten später distanziert, so heißt es hier (8) – leider ohne Quellenangabe: https://publicus.info/userfiles/Recherche/Hannah_Vogt.pdf (**) Wie dem auch sei, wie die Distanzierung auch ausgesehen haben mag, die eingangs genannte Aussage zeigt, dass sie Menschen in einer ganz bestimmten Situation mit ihren Glaubens-Gedichten geholfen hat.
(*) Sie arbeitete nach der Entlassung in der „Einwandererzentrale des Reichssicherheitshauptamtes“ (zur Aufgabe des Amtes: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichssicherheitshauptamt ) / hier heißt es, sie sei Laborantin gewesen (https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Bildung/Bibliotheken-Archive/Stadtbibliothek-Hannover/Wir-%C3%BCber-uns/Provenienzforschung-in-der-Stadtbibliothek-Hannover/Restitutionen/Dr.-Hannah-Vogt ), an anderer Stelle heißt es nur, ihr sei nicht erlaubt worden zu studieren, erst ab 1942, hier heißt es, sie sei Laborantin und im Kriegseinsatz als Schwesternhelferin tätig gewesen https://spd-goettingen.de/2014/10/29/historischesgoettinger-lebenslaeufehannah-vogt/ Dass sie unter anderem in den Osram-Werken gearbeitet hat, erfahren wir hier: https://gedenkstaette-moringen.de/website/fileadmin/gedenktstaette/Dokumente/Briefe_aus_dem_Nachlass_von_Hannah_Vogt_Dokumente_2006.pdf Hier heißt es, dass sie Angst hatte und in innerer Emigration lebte und eine Ausbildung als Krankenschwester begann und 1942 nach einem Gnadengesuch wieder studieren konnte https://www.demokratie-goettingen.de/blog/ein-ruheloses-leben Sie sei Laborantin bei den Osram-Werken gewesen und ließ sich parallel beim Roten Kreuz zur Schwesternhelferin ausbilden, dann wurde sie bei Kriegsbeginn in Polen bei der „Einwanderungsstelle der SS“, dann im Lazarett eingesetzt. Danach pflegte sie 1941/42 ihre Mutter heißt es hier: https://publicus.info/userfiles/Recherche/Hannah_Vogt.pdf In dem eingangs genannten Band von Hesse wird gesagt, dass sie sechs Monate nach der Haftentlassung bei Osram gearbeitet habe,; 1937/38 sei sie in die Kirche eingetreten und habe sich als DRK-Schwesternhelferin ausbilden lassen. Sie habe sich dann in der Einwandererzentrale der SS gemeldet. wobei sie wohl nicht gewusst habe, „woran sie sich da beteiligte“ (149) 1942 durfte sie das Studium fortsetzen.
(**) In ihrem Brief vom 19.4.1933 distanziert sie sich von aller Kunst (Zeichnen, Verse, Singen), weil sie sich lieber als Rädchen des Kommunismus für etwas Großes einsetzen möchte, statt ein „selbstzufriedenes Ich“ zu sein. Sie beginnt aber wieder Gedichte zu schreiben (25.5.1933), zu zeichnen und zu singen. So zeichnet sie im KZ Mitinhaftierte, die ihre Portraits nach Hause schicken wollten, sie sang, was allgemein erfreute, wie wir den Briefen entnehmen. In dem Konfirmationsbrief – noch ziemlich am Anfang der Haft – vom 7.4.1933 geht sie von Jesu Wort aus, das sie „besonders lieb gewonnen“ habe: „Wer da sucht, seine Seele zu halten, der wird sie verlieren, aber wer sie verliert, der wird ihr zum Leben verhelfen“. Sie möchte die Seele im Dienst an den leidenden Menschen verlieren. Die religiöse Intention lässt sie dabei allerdings weg und schreibt, dass sie nicht an das tröstende himmlische Paradies glaube, sondern es um das Paradies auf Erden gehe.