Georg Thurmair (1909-1984)

Georg Thurmair (1909-1984)

(In Bearbeitung!)

Georg Thurmair hatte eine kaufmännische Ausbildung. Er wirkte in seinen jungen Jahren vor allem in der katholischen Jugend, so in München und als Sekretär des katholischen Jungmännerverbandes in Düsseldorf. Dazu muss man wissen, dass der Nationalsozialismus aktiv die Jugendarbeit außerhalb der Hitler-Jugend behinderte und bekämpfte, zudem wurde der Nationalsozialismus vom Jungmännerverband Düsseldorf als „Bolschewismus … unter nationalem Vorzeichen“ bezeichnet, was den Nationalsozialisten nicht besonders gefiel. Schon 1933 wurde die Geschäftsstelle des „Reichsausschusses deutscher Jugendverbände“ von den Nationalsozialisten übernommen – das heißt: Die Nationalsozialisten hatten alle Adressen – und die evangelische Jugend wurde der HJ zugeordnet. Wer in der katholischen Jugend blieb, musste mit Einschränkungen rechnen: zum Beispiel Verlust der Lehrstelle. Öffentliche – auch mediale – Denunziationen und Diskriminierungen waren, je nach Gebiet, an der Tagesordnung. Der Präses Ludwig Wolker und 57 Mitarbeiter wurden 1936 verhaftet, aber wieder freigelassen (schon Juli 1934 wurde der Mitarbeiter Adalbert Probst verhaftet und ermordet); 1939 wurde das Haus geschlossen. Das muss man wissen, wenn man Thurmair einordnen möchte. Ungeachtet dessen dichtete er eine große Anzahl an Liedern für die Jugend und die Kirche und gab gemeinsam mit anderen Liederbücher heraus. 1940 bis 1945 war er Soldat. Er war nach 1945 Chefredakteur verschiedener Zeitschriften und Bildungsreferent. 1941 heirateten Georg Thurmair und Maria Luise Thurmair (*), die nach 1945 auch sehr viel für das Kirchenlied gewirkt hat.

Georg Thurmair war mit seinen Zeitschriften und Liedern ein wesentlicher Aktivist der katholischen Jugend gegen den Nationalsozialismus. Die Zeitschrift „Junge Front“, an der Thurmaier mitarbeitete, musste umbenannt werden – und der Herausgeber Johannes Maaßen nannte sie „Michael“ – der Erzengel, der gegen den Satan kämpft, er gilt als der Schutzpatron Deutschlands (Deutscher Michel) – wer der Satan ist, war klar. Es sind christliche Code-Worte (christlicher Soziolekt), die hier verwendet werden und darum in der Interpretation der Texte berücksichtigt werden müssen. Diese Zeitschrift wurde 1936 verboten. Thurmair brachte mit Adolf Lohmann (1907-1983), auch einer, der sich nicht hat unterkriegen lassen und viele der Thurmair-Texte vertonte, ein Schulgesangbuch heraus: Verboten. Weiteres wurde verboten, so der Gedichtband von Georg Thurmair: Die ersten Gedichte an die Freunde, Verlag Jugendhaus e.V. Düsseldorf 1938 – Walter Bauer schrieb dazu die Einleitung. Dieser Band liegt mir vor – wie auch: Mein Gott, wie schön ist deine Welt. Die ersten Gedichte (1933-1943), Neuauflage, Aventinus-Verlag Elisabeth Thurmair GmbH, 1979. Zudem liegt mir vor: „Kirchenlied. Eine Auslese geistlicher Lieder für die Jugend“, Düsseldorf 1938, das Josef Diewald und Georg Thurmair (nicht genannt: Adolf Lohmann) herausgegeben haben. Die im Untertitel genannte „Jugend“ musste gestrichen werden, weil allein die Nationalsozialisten den Anspruch erhoben, etwas für die Jugend zu tun. Die Neuauflage 1939 musste also ohne den Hinweis „für die Jugend“ auskommen. Dazu s. https://www.hf.uni-koeln.de/data/musikeume/File/Oppositionelles%20Lied/Thurmair%20Lohmann.pdf (gelesen 20.06.2020) und zum Widerstand der Katholischen Jugend (24.6.2020).

Thurmair hat manche Gedichte unter einem Pseudonym herausgegeben. Wegen eines Textes wurde sein Haus durchsucht („Hausdurchsuchung“) und er wurde verhört. Wie unter dem gegebenen Link gezeigt wird, hat Thurmair das Lied „Sankt Georg“ gedichtet: „Wir stehn im Kampfe und im Streit“. In diesem Lied heißt es: „Die Lüge ist gar frech und schreit / und hat ein Maul so höllenweit / die Wahrheit zu verschlingen“ (s. Kirchenlied 126f.). Diese Strophe soll allgemein als „Goebbels-Strophe“ bezeichnet worden sein und auch parodiert worden sein: „Jupp Goebbels ist so klein und schreit…“

Von Georg Thurmair sind im Gotteslob noch 9 Lieder vorhanden, davon nur zwei aus der Zeit von vor 1945. Das bedeutet, dass die Erfahrungen dieser schlimmen Zeit, in der Christen im Widerstand standen, gegenwärtig kaum mehr rezipiert werden. Das ist eine Verarmung – man fühlt sich in unserem Land sicher und passt sich an. Aber wer weiß: Es kommen vielleicht wieder Zeiten, in denen man glücklich wäre, wenn man auf solche Erfahrungen zurückgreifen könnte. Freilich: Manche Lieder sind heute sehr missverständlich, vor allem, wenn sie aus dem zeitlichen Kontext gelöst werden.

Viele dieser Gedichte von Thurmair sind stark kämpferisch ausgerichtet. – es sind „christliche Kampflieder“ – dazu siehe den Beitrag zu Riethmüller. Wer den biblischen Text von der Waffenrüstung Gottes nicht kennt, und weiß, dass von den Waffen metaphorisch geredet wird, wer die martialische Sprache der Zeit nicht kennt, die viele Gruppen verwendet haben, nicht nur Kommunisten und Nationalsozialisten – auch Christen haben schmissige Lieder gesungen, bevorzugt beim Wandern, bei Zusammenkünften, zur Identitätsfindung und Gemeinschaft… (Eine Sammlung kommunistischer Kampflieder: http://library.fes.de/pdf-files/bibliothek/bestand/a98-02607.pdf Ablesedatum 10.07.2020) Wer also das alles nicht kennt, wird sich von manchen dieser Texte vor dem Kopf gestoßen fühlen. Die Texte dienen dem Zusammenhalt in den Zeiten, in denen die christliche Jugend angegriffen wurde: „Nun stehet alle Mann für Mann / und ziehet Gottes Waffen an, / das Böse zu bekriegen… / dann nehmt den bösen Geist der Welt, / der über Land und Völker fällt, / zum Dienst für Gott gefangen.“ Aber all das Martialische fließt in das Gedicht ein: „Wir standen alle Mann für Mann, / von Gottes Zorn getrieben“ aber Gott blieb fern, Gott hat die Kämpfer weggejagt: „Weil man für Gott nicht kämpfen kann, / für Ihn kann man nur lieben.“ Das bedeutet jedoch keine liebende Leisetreterei. Den Nationalsozialisten wird entgegengerufen: „Ich grüße euch, ihr schönen Lügen“ – voller Ironie: „ihr bunten Masken und Gesichter, / die Weisheit hat euch hell gemacht“.

Es heißt: standzuhalten. So der bekannte Text „Fahnentreue“. In diesem geht es darum, dass die katholische Jugend ihre Fahnen nicht mehr zeigen darf, es war verboten. Das Gedicht ruft dazu auf, die Fahnen zusammenzurollen, denn „Die Macht ist über unsre Kraft“. Man gibt „die Straße frei“, vom nationalsozialistischen Lärm geht man weg – in die Stille (der oben genannte Link weist darauf hin, dass hier ein Zitat des Horst Wessel-Liedes verwendet wird). Aber der Wille bleibt: „Wir wollen Deutschland, und wir mahnen / das Volk an seine Kraft. / Nun sind Gesichter unsre Fahnen / und Leiber unser Schaft.“ Man gibt nach, aber nicht auf, man wirkt im Untergrund weiter. Die Gesichter der Christen bekennen. Die Gedichte waren im Untergrund wirksam. Man hat sie heimlich gesungen, man hat sie abgeschrieben und weiter gegeben. Man siehe auch den Text, der im Singeschiff (1934, 122) abgedruckt ist „Wir kommen aus den Städten“. Sie gehen aus die Stadt hinaus – aber: „Dann ziehn wir in die Städte wie in eine große Schlacht / und schaffen viele Tage bis unser Werk vollbracht. / Dann glüht in allen Städten die Gnade hell herauf, / dann bauen wir die Völker mit neuen Menschen auf.“ (Beachte auch – ich nenne sie, weil sie wohl nur in dem genannten Liederbuch zu finden sind: „Unsre Fahne ist die Treue“ [124], Jungscharlied“ [125], „Schwertlied der Buben“ [126], „Bannerweihe“ [127], „Fahnenspruch“ [128], „Christi Heerbann“ [129]).

Interessant ist, dass das Gedicht: „Nun Brüder sind wir frohgemut“, das auch unter dem ersten Link genannt wird, in unterschiedlichen Versionen kursierte. In „Die ersten Gedichte“ lauten ein paar Zeilen der zweiten Strophe: „Wir aber kommen aus der Zeit / ganz arm in deine Helle“ – ebenso in der mir vorliegenden 1. Auflage des Kirchenlieds. Diese zweite Strophe wurde aber auch so veröffentlicht: „Wir aber kommen aus der Zeit / wie aus dem Reich des Bösen“ – also das so genannte „Dritte“ Reich. Es geht weiter: „Wir zünden froh die Kerzen an, / daß sie sich still verbrennen, / und lösen diesen dunklen Bann; / daß wir dein Bild erkennen.“ Die vierte Strophe beginnt: „Laß deine Lichter hell und gut an allen Straßen brennen!“ – es wird deutlich, dass im Glauben der dunkle Bann der Ideologie gebrochen wird und an der Stelle der in allen Straßen sichtbaren nationalsozialistischen Ideologie das christliche Licht aufleuchten soll.

Dennoch, im Gedicht „Verrat“ wird ein anderer Klang deutlich. Man wurde verraten, die Schlacht ist verloren – und der Text schließt: „Erhebet die Hände: / Allmächtiger Gott, / o sende die himmlischen Heere! / Zerbrich alle Feinde, zerbrich ihren Spott, / und gib deinem Banner die Ehre!“ In „Eingesperrt“ heißt es, dass Gott siegen wird: „sein Name wird euch zum Gericht. / Noch lebt ein Gott im Lande!“ – und der heißt nicht Hitler, Hitler wird der von Gott Gerichtete sein. Es ist ein Kampf gegen diejenigen, die Gott bekämpfen. Es tobt ein heftiger Kampf, ein Kampf um Leben und Tod – nicht nur eine Metapher – es gab zahlreiche Christen, die in diesem Kampf ermordet wurden. Entsprechend finden wir einige Gebete um Gottes Hilfe: „Gebete in schwerer Zeit“, für die Zeit der Gefährdung – aber auch die eigene Schuld wird benannt. Dennoch: Es wird weiter gesungen, was auch immer an Schlimmem begegnet, so heißt es im „Gesang“: „So trägt das junge Volk durch Städte und Fabriken / in seinem Munde das jahrtausendalte Lied / und kündet seinem Volk die Herrlichkeit des Herrn.“

In der Welt, die Gott bestimmt, ist alles anders, unter anderem: „In dieser Welt hat Leid und Lust / gar sonderbaren Sinn: / da ist Verlieren kein Verlust / und Sieg ist kein Gewinn.“ (“Wir spielen Schach auf buntem Feld“) Selbst dann: „Ein Blitz hat mir das Herz erschlagen / und läßt mich wie die Flamme sein.

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Man muss den christlichen Soziolekt kennen, wenn man verstehen will. Es sind Lieder, die dazu aufrufen, dass man als Christ angesichts der Propaganda und Gewalt standhaft bleiben soll. Dazu kommen Texte, die dem spezifisch christlichen Leben Orientierung bieten in unterschiedlichen Lebenslagen (Familie), sie helfen zu klagen und zu bitten – und trotz allem die Schönheit der Welt zu sehen („Mein Gott, wie schön ist Deine Welt“). Sie zeigen die Gemeinschaft der Christen – einschließlich der Toten („Wir rufen euch, ihr großen Toten“). Zudem helfen sie, die wahre Dimension der Politik zu sehen: Die Welt ist „unendlich klein“ – Gott hat sie erschaffen „so klein zu sein und doch so groß“ („Weit ist das Meer, unendlich weit“).

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Es sei nur angemerkt, dass die EU-Flagge im Blick steht: „Und die Fahne steht inmitten, / ein Symbol in Gold und Blau: / Um den Himmel wird gestritten / unterm Sternbild einer Frau!“ Die Europafahne steht wohl in der Tradition der Apokalypse des Johannes, in der es heißt, dass eine Frau – Maria – das Kind – Jesus – vor dem Drachen rettet. Und um ihr Haupt die zwölf Sterne. Dieses Bild wurde häufig in der Kunst aufgegriffen und gemalt. Vielfach wird kurioserweise bestritten, dass die Europa-Flagge mit dieser sehr bekannten christlichen Tradition, die uns auch immer wieder einmal in den Gedichten begegnete, zusammen hängt. Bestritten wird das, um die EU-Flagge als säkular zu begründen.

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Wer die Texte von Thurmair kennt, die sehr deutlich Kritik an der Macht des Nationalsozialismus übten, liest auch die hier genannten alten Kirchenlieder neu, auch wenn sie überwiegend von Adolf Lohmann ausgewählt wurden.

Allein schon das Lied „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ – das sonntäglich in Gottesdiensten gesungen wird, bezeugt (nicht nur) 1938: „Allein Gott!“ – keiner Partei, keinem so genannten Führer sei Ehr. Es geht in dem Lied um Frieden: die christliche Gemeinde will Frieden – in der Zeit wollte der „(Ver-)Führer“ schon den Krieg. In dem Lied wird auch gebeten, dass Gott vor des Teufels Gewalt behüten möge. Das heißt mit Blick auf den christlichen Code, dass der Teufel in Form von bestimmten Politikern und deren Gesetzen 1938 vor Augen stehen.

Oder „Großer Gott, wir loben dich“ – dort lautet die letzte Strophe: „Sieh dein Volk in Gnaden an, hilf uns, segne, Herr, dein Erbe, leit es auf der rechten Bahn, daß der Feind es nicht verderbe!…“. Wer der Feind ist, ist allen klar gewesen: die nationalsozialistische Partei und ihre Protagonisten.

Während die Deutschen Christen, also die Hitler-Fans unter den Christen, die Jerusalem/Zions-Lieder abgelehnt und umgedichtet haben, ebenso Halleluja usw. neuformuliert wurde, finden wir in diesem Büchlein zahlreiche dieser Lieder. Was die deutschen Christen machten, bedeutet nicht allein ein Umdichten – sondern ein Entfernen. Wie Juden aus dem Volk entfernt wurden, werden auch Texte aus dieser ideologischen Perspektive „gereinigt“. Der Umgang mit den Texten spiegelt die ideologische Menschenverachtung wider. Zudem klingt im Sinne der Deutschen Christen die letzte erweiterte Strophe von „Großer Gott wir loben dich“ so, um ja keine anderen Interpretationen aufkommen zu lassen: „Dort, wo unsre Fahnen wehen, / Seis zu Lande, seis zu Meere, / Lass die treue Schildwach stehn. / Sei uns selber Waff´ und Wehre. / Losungswort sei allzugleich / Treu zu Führer, Volk und Reich!“ (s. https://eal.terbuyken.net/Lied_NS-Zeit.pdf ). Es gibt Zeiten, da scheinen viele die Gotteslästerungen nicht zu bemerken und das schöne Lied, das zu einem garstigen Lied wurde, mitzuschmettern.

Natürlich – aber mutig – finden wir auch das Lied darin, das Thurmair selbst geschrieben hat: Sankt Georg, das ganz deutlich die schwere Zeit anspricht. Die genannte „Goebbelsstrophe“ finden wir hier auch: „Die Lüge ist gar frech und schreit und hat ein Maul so höllenweit, die Wahrheit zu verschlingen“.

Zahlreiche weitere Gesangbuch-Lieder aus der Perspektive dieser Zeit gelesen bekommen einen ganz anderen Klang. Und in der Aufnahme alter – auch evangelischer Lieder – hat man versucht, die Zensur zu unterlaufen.

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In dem Liederbuch: Das Singeschiff (1934), das auch von Adolf Lohmann und Josef Diewald zusammengestellt wurde, wird ein Lied von Ernst Moritz Arndt genannt, das Lohmann mit einer Melodie versehen hat: „Auf, bleibet treu und haltet fest“. Dieses Lied begegnet auch im Internet im Duktus der Deutschen Christen: Während es in dem DC Lied heißt: „Der alte Gott, der deutsche Gott“, heißt es in dem Lohmann-Lied weiterhin: „Der alte Gott, der treue Gott“. (So auch in dem Liederbuch „Auf bleibet treu und haltet fest. Ein Liederbuch für deutsche evangelische Männer“ [1935]) Aber auch dieses Lied hat aus Sicht der Hitler-Gegner massive Anspielungen auf das Hitlerregime: Gott „macht des Teufels List zum Spott und seinen Stolz zu Grauen“, „haltet aus, wie Lug und Trug auch schnauben“, „Glaube, daß wie Sand verweht, was um die Lüge ranket“, „Die Freiheit und das Himmelreich gewinnen keine Halben!“ Die Strophen, in dem das kursiv Gedruckte vorkommt, wird in dem Evangelischen Gesangbuch für Rheinland und Westfalen aus diesen Jahren weggelassen. In dem Gesangbuch gibt es keine Jahresangaben. Zu erschließen ist, dass es ab 1930 entstanden sein muss. Weggelassen werden sie auch von dem genannten Liederbuch für evangelische Männer bzw. dem von Riethmüller herausgegebenen Buch „Ein neues Lied“.

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Das bedeutet für unser Thema: Gott wird auf vielfache Weise als der besungen, der einer bedrängten Gruppe beisteht, er wird um Hilfe gebeten, er stabilisiert die Menschen, die sich in dem genannten Sinn in die Gemeinschaft einfinden. Er hilft ihnen im Kampf gegen alles Unrecht.

(*) Von Maria Luise Thurmair liegen mir bislang aus der Zeit von vor 1945 drei Lieder vor: Der Geist des Herrn erfüllt das All (Gotteslob 347 und weitere: 540 [beide 1941], 354 [1943])