Gabriela Mistral (1889-1957)
Sie wurde in Chile geboren und starb in New York. „Gabriela Mistral“ ist Pseudonym. Sie nannte sich nach dem Engel Gabriel und dem scharfen Wind bzw. nach anderer Interpretation übernahm sie die Namen von bewunderten Dichtern: „Gabriela“ von Gabriele d´Anunzio und „Mistral“ von Frédéric Mistral. Ihr eigentlicher Name: Lucila Godoy Alcayaga. Sie war Lehrerin (was ihr Ärger von Neidern einbrachte, weil sie nicht studiert hatte), als Pädagogin war sie Ratgeberin 1922 für das mexikanische Bildungssystem, das die indigene Bevölkerung in die Bildung einschließen sollte (1). Das von ihr, wieder nach Chile zurückgekehrt, entwickelte pädagogische Konzept ist spannend. 1927 stellte sie auch Punkte für Kinderrechte zusammen. Sie arbeitete für den Völkerbund und war Diplomatin an verschiedenen Orten – und vor allem: Dichterin. 1945 bekam sie für ihre Gedichte den Literaturnobelpreis. 1946/49 lernte sie Doris Dana kennen, die zu ihrer Assistentin wurde und Mistrals Vermächtnis verwaltete. Sie litt an Diabetes, hatte Herzprobleme und Krebs. Im Alter von 67 Jahren starb sie im Januar 1957.
Ihre Liebe zu Gedichten leitete sie von ihrem Vater ab, der selbst Gedichte schrieb, allerdings nur drei Jahre bei der Familie geblieben war. Das erste veröffentlichte Gedicht (Desolación (D) / Trostlosigkeit – so lautete auch der 1922 erste veröffentlichte Band) wurde geschrieben, um den Tod des durch Suizid umgekommenen Verlobten (der am Arbeitsplatz Geld entwendet haben soll, um einem Freund zu helfen, konnte es nicht zurückzahlen) zu verarbeiten. Weitere Gedichte zu dem Thema folgten („Sonette des Todes“). 1924 wurde der Band Ternura (Te) / Zärtlichkeit veröffentlicht, 1938 Tala (Ta) / Holzschlag, 1954 erschien Lagar / Kelter I – in dem sie unter anderem Weltkriegsthemen aufgegriffen hat.
(1) Mir ist leider nicht bekannt, ob sie ihre Frömmigkeit im Kontext der sozialistischen Revolution in Mexiko reflektiert hat. Ich kann mir vorstellen, dass es ihr um die Menschen ging. 1923 wurde ihr Lesebuch für Frauen in Mexiko veröffentlicht https://es.wikipedia.org/wiki/Lecturas_para_mujeres In diesem Lesebuch ist eine Menge an christlicher Tradition enthalten. Mexiko verließ sie, auch weil sie von Nationalisten angefeindet wurde.
Quelle für die Biographie: https://es.wikipedia.org/wiki/Gabriela_Mistral . Die Gedichte wurden anhand des Buches ausgewählt: Gabriela Mistral: Gedichte unter Mitwirkung von Heinz Müller und Gisela Pape, hg. V. Albert Theile, Luchterhand Verlag, Darmstadt u.a. 1957. Soweit nicht anders angegeben wurden die Übersetzungen diesem Band entnommen. Spanische Texte: http://www.gabrielamistral.uchile.cl/ und http://www.gabrielamistral.uchile.cl/poesiaframe.html Übersetzt mit Hilfe von Deepl.
Es ist kaum möglich in dem hier vorgegebenen Rahmen die Fülle der Glaubensaussagen intensiv darzulegen.
Eingeflochten wird der Glaube in die Liebe und das Sterben des Geliebten. „Gott will nicht, dass dir die Sonne scheine, / es sei, du gehst an meiner Seite“, heißt es in „Gott will es / Dios lo quierre“ (D). Das Gedicht „Extase / Extasis“ (D) – ist ein einziges Flehen zu Christus, er möge sie sterben lassen. Ebenso in „Nocturno“ (D) – in Aufnahme des Gebetes Jesu am Kreuz, ruft sie Gott an, in der Nacht, in der sie ermattet, ganz zerstört ist. Die Liebe zu diesem Menschen ist eine Wunde, in die Gott sie gekleidet hat. Und sie sagt ihm, was ihre Liebe ist („Intima“ [D]): „Ein Kuss ist nicht nur Lippe, / was die Stimme bricht, ist nicht nur die Zunge. / (Liebe ist) Gottes stürmender Wind, der durch mich hindurchweht, / die Wunde meines Fleisches spaltet.“ (eigene Ü.) Und der Wind und die Wunde spielen auch in anderen Gedichten eine besondere Rolle. So in „La Obsesion“ (D), in dem wieder eine Bezugnahme auf die Bibel zu finden ist – sie nimmt den Verstorbenen wahr: „Wie Thomas bei Christus / sinkt meine blasse Hand, / damit ich nicht vergesse, / in seine frische Wunde.“ (eigene Ü.) Es sind schmerzhafte Gedichte, Gedichte schmerzhafter Erfahrungen. Und so lautet es auch in „Drangsal / Tribulacion“ (D): Sie wendet sich an Gott, ihr Halt in bitterer Zeit, auf dem Weg voller Schatten und dem Schrei des Schreckens – aber sie hatte ihn verlassen, nun sucht sie ihn und Gott solle nicht sein Zelt vor ihr, der Wandernden verschließen, denn sie ist müde, bitter, durchfroren. Alle Menschen, die sie begleiteten, die auf sie schauten, sind vergangen, nur Gottes Augen blicken noch auf sie. „Aber sie füllen sich, Köcher voller Eispfeile / Schwall aus Eis“ (?) (eigene Ü.; vgl.: Patagonische Landschaften: Verzweiflung / Desolación, letzte Strophe). Sie hat, weil die Erfahrungen der Liebe durch den Tod des Geliebten schrecklich wurden, die Liebe zum Nichts gefunden, sie will Erde bleiben, weil sie Gottes, des Vaters („Padre“), weil sie (des himmlischen) Jerusalems beraubt wurde. („Nocturno der Vollendung / Nocturno de la consumacion“ [Ta])
Der Schmerz ist in diesen Gedichten wichtig – der Schmerz in Verbindungen mit dem christlichen Glauben. Es ist geteilter Schmerz: Jesu Schmerz ist ihrer – und vielleicht: ihr Schmerz ist der Schmerz Jesu. So geht sie in dem vielfach zitierten Gedicht zu „Gebet an den Christus von Golgatha / Oración al Cristo del Calvario“, um Jesus ihre Schmerzen zu bringen. Und sie erkennt, dass Jesus viel größere Schmerzen erträgt als sie. Das Gebet schließt damit, dass sie nicht mehr bitten möchte, neben dem Bild des gekreuzigten Jesus, sondern lernen möchte, „dass der Schmerz nur / der heilige Schlüssel zu deiner heiligen Tür ist.“ (Eigene Ü.) Es geht also nicht mehr nur um das Bild des Gekreuzigten. Es geht um den Zugang zum Gekreuzigten im Schmerz, durch den Schmerz. In einem weiteren eindrücklichen Gedicht „Nocturno von der Kreuzesabnahme / Nocturno del Descendimiento“ (Ta) schildert sie, wie sie unter dem Kreuz steht, und der körperliche Verfall des hingerichteten Jesus sie betrifft. Und sie bittet ihn, in einer mystischen Erfahrung, vom Kreuz in ihre Arme herabzusteigen. Und sie erfährt den Schmerz und sieht, was niemand sonst sieht. Sie sieht, dass Jesu Menschenkinder ihren eigenen Absturz nicht verhindern, da sie das rettende Blut Christi ablehnen. Und so ist der Berg Golgatha „völlige Einsamkeit“ und das Licht, das auf diesen Berg fällt, bleibt namenlos, unbedeutend. Die Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi selbst scheint ihr nicht so bedeutsam zu sein. Freilich weiß sie um die Auferstehung. So schreibt sie in „Poema del Hijo“ betend, dass sie – biblische Sprache – die Scheunen mit Weizen gefüllt habe und: „Nur auf Dich, Vater, der Du bist im Himmel, warte ich! Nimm / Du mich (meinen flehenden Kopf) hinein, wenn ich heute Nacht sterbe.“ (Eigene Ü.) Oder in dem Gedicht „Locas Letanías“, in dem es um ihre Mutter geht, erinnert sie Jesus an seine eigene Mutter, die ihn gesäugt hat und schreibt sie am Schluss mit wunderbaren Worten, die die Gewissheit der Auferstehung wiedergeben: „Empfange meine Mutter, Christus, / (Du) Meister des Weges und der Reise, / (Du) Name, den sie sagen wird, / (Du) Sesam, den sie schreien wird, / öffne unsere Himmel, / (Du) offenbarer Albatros, / (Du) Freude, die die Tiefen rufen! / Auferstanden, Auferstanden!“ („¡Resucitado, Resucitado!“) Dem verstorbenen Dichter sagt sie „A Joselín Robles“, dass er nun wissend ist und von Gott Rede und Lied hat, während sie selbst sich am Abend Verse abringt.
Manches, was soeben gesagt wurde, begegnet auch im „Gesang der Gerechten / Canto del justo“ (D). Sie beschreibt, wie das Bild des gekreuzigten Jesus ihr Leben verändert, Sie möchte erst wieder singen, wenn Christus vom Kreuz genommen wird. Und die letzte Strophe lautet: „Wann wird es geschehen? Wann? / Seit zweitausend Jahren / warte ich zu deinen Füßen, / warte weinend ich!“ Sie bzw. die Menschheit wartet auf die Auferstehung. Der Schmerz Christi dauert in ihr an. In diesem Zusammenhang ist auch das Gedicht „Das Kreuz von Bistolfi / La cruz de Bistolfi“ (D) zu nennen. In dem Gedicht „Interrogaciones“ fragt sie Gott viel mit Blick auf den Verstorbenen. Wird Gott ihn annehmen? Die Kirche hat bekanntlich Menschen, die sich das Leben genommen haben, vor dem Friedhof begraben. Wird Gott ihn also annehmen? Sie hat von Gott, den Wein, getrunken – während andere die Gerechtigkeit betonen, wird sie Gott also Liebe nennen; als Mensch ist sie hart – aber Gott ist das Glas gefüllt mit Nektar. Während sie hier die Liebe Gottes betont, verhandelt sie in „El Ruego“ mit Gott, er möge dem Verstorbenen vergeben. Warum? Weil sie ihn liebt! Und dann fügt sie die wunderbarten Worte an:
Sag: „Ich vergebe“, sag es endlich! Es wird sich im Winde verbreiten
dieses Wort, ein Wohlgeruch von hundert Duftknospen,
wenn es ausströmt; alles Wasser wird schillern;
die Wüste wird blühen und der Kiesel glänzen,
die dunklen Augen der wilden Tiere werden feucht sein,
und, verstehend wird der Berg, den du aus Stein gebildet hast,
weinen aus den weißen Augenlidern seiner Gletscher:
Deine ganze Erde wird wissen: Du hast vergeben! (Eigene Ü.)
Als es in Polen zu Pogromen gegen Juden kam, schrieb sie das Gedicht „Dem Volk der Hebräer / Al pueblo Hebreo“, das, so der Untertitel, eine Reaktion auf ein Juden-Pogrom in Polen ist. In ihm wird im Grunde mit dem Volk Israel das genannt, was ihr selbst Schmerz bereitet. Ebenso wird die enge Verbundenheit mit Maria und vor allem Christus genannt: „trägst auf deinem Antlitz Christi Züge“.
Ist die folgende Interpretation richtig? Dimas wird der genannt, der mit Jesus gekreuzigt worden ist und der seine Sünden bekannt hat. Jesus sagte dann zu ihm „jenes ungeheure Wort“ (Mistral): „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Und in diesem Dimas hat der Schmerz der Juden Jesus angeschaut und dieser dann das genannte Wort zugesprochen. Der neutestamentliche Bezug wechselt dann in der Strophe, indem der Blick auf Maria Magdalena gelenkt wird: „Um die Füße sich zu salben, suchte Er die Flechte / Magdalenas. Und er fand sie blutbefleckt.“ Im Neuen Testament heißt es, dass Maria Magdalena Jesu Füße, die sie mit Tränen benetzte, mit ihrem Haar getrocknet habe. Ebenso war Maria Magdalena bei Jesus am Kreuz, als dieser starb. Zudem wird in der Tradition gesagt, dass Maria Magdalena diejenige war, die Jesu Haupt salbte, was als Zeichen für den Tod Jesu interpretiert wird. Diese Aspekte werden im Gedicht zusammengeführt. Wie das mit dem Thema zusammenpasst, ist mir nicht ersichtlich. Bedeutet das, dass beide, Dimas und Maria, leidend Rettung erfahren?
In dem Gedicht „Karfreitag / Viernes Santo“ (D) spricht sie den Landmann an, dass er nicht arbeiten solle, weil Jesus leidet – und auch ihr fasten: „Ich hasse mein Brot, mein Lied, meine Freude, / denn Jesus leidet.“ Wenn der Herr leidet, dann gibt der Mensch sich dem Leiden hin. Beide verschmelzen. Es ist die Gleichzeitigkeit: Vergangenheit und Gegenwart fallen im Glauben zusammen, wie in manchen Gedichten Christus und Glaubende. Die Mystik ist auch ausgesprochen worden in dem Gedicht „Poeta“. Zeichen um Zeichen kommen dem Dichter zu von Christus – dem er sich ganz und gar hingibt, „der mich trägt / wie ein Wind oder Fluss. / Mehr als eine Umarmung. / Er trägt mich umgürtet, / in einem Wettlauf / in dem wir zueinander sagen / nichts als >Vater!< / und nichts als >Sohn!<“ (Eigene Ü.; ich denke bei diesen Aussagen an Worte des Apostels Paulus, die vielleicht im Hintergrund stehen.) Dichten ist Inspiration, ist getragen von dem vertrauensvollen Zusammensein zwischen Gott und Mensch.
In den „Poemas Exstasis II“ (D) sinnt sie über Gott nach. Dieses Nachdenken wird durchzogen vom Thema Liebe. Es mündet ein in den Ruf: „Göttliche Gewissheit: der Tod ist Lüge. / Ja, jetzt begreife ich Gott.“
Die körperliche Erfahrbarkeit Gottes im Schmerz wurde schon deutlich. Aber auch auf anderen Ebenen ist er zu spüren. In den Wiegenliedern ist es Gott, der das Kind wie die Welten wiegt („Me tuviste“; „Meciendo“ [Te]). Spannend finde ich eines der Tanzlieder, das sie mit „Jesús“ (Te) überschrieben hat. Es sei an die Tanzlieder der ersten christlichen Jahrhunderte erinnert (s. https://gedichte.wolfgangfenske.de/1-4-jahrhundert/). In dem Tanzlied von Mistral tanzen sie in den Abend hinein, und auf einmal kam Jesus, tritt in den Kreis, „Leise öffnet Er der Hände Kette. / Aus der Mitte leuchtet sein Glanz“. Sie tanzen weiter, Ihn umkreisend, obgleich das Lied verstummt. Nur noch der Herzschlag ist zu hören. „Sein brennend Antlitz schauend, / trifft uns der dämmernde Morgen!“ (¡Y mirando Su rostro arder, nos va a hallar el amanecer! – handelt es sich um ein Volksfest?) Im Kontext eines Reigens singt sie in „Kordillere / Cordillera“ (Ta) die Bitte, dass die Völker zusammengeschweißt und mit Eis und Feuer gereinigt werden mögen. „Dir erschalle unser Ruf, Alleluja und verzückter Lobgesang: Ewiges, hehres Wesen, / Hochragende Stadt – Goldene Türme, / Österliche Ankunft deines Volkes, / Tempel unsere Bundes.“ (Ü: Theile; im Text kursiv gedruckt) In diesem Gedicht wird deutlich, dass ihr Bestreben danach aus war, ganz Lateinamerika und Mittelamerika zu einen. Damit nimmt sie den Ansatz des Ministers Vasconcelos auf, der sie nach Mexiko geholt hat. Auch ein Reigen-Kinderlied („Los que no danzan“) bringt Gott in Gedanken, auf eine sehr nette Weise auf die Erde: „Gott sprach in der Höhe: / Wie komme ich vom Himmel herunter? / Wir rufen ihm zu: Komm herunter im Licht / tanz mit uns den Tanz!“ https://www.poemas-del-alma.com/los-que-no-danzan.htm Der „Größte“, der Schöpfer des Himmels und der Erde – er kommt herunter in den Alltag, ist anwesend beim Wiegen der Kinder, beim Reigentanz. Nicht nur im Schmerz.
In einem weiteren Gedicht über Jesus heißt es, dass er nicht in Statuen zu finden ist, sondern in den Armen, die sein Bild, sein Fleisch und Blut sind. https://es.aleteia.org/2020/04/10/el-hermoso-poema-de-gabriela-mistral-sobre-la-pasion-de-cristo Und so setzt sie sich ein für Menschen, die bedürftig sind. Und in ihrem Lesebuch für Frauen schreibt sie, Juan Maragall zitierend: „Das ist wahre Frömmigkeit, und wenn jeder Mensch sie praktizieren würde, nur im Rahmen seiner Kräfte, mit den Alten und mit den Kindern und mit den Kranken und Hilflosen, … und alles tun würde, was in seinem eigenen Haus angemessen ist, frage ich: Wozu bräuchte man dann so viele Heime und Krankenhäuser und Klöster?“ (https://www.memoriachilena.gob.cl/archivos2/pdfs/MC0003267.pdf 218; eigene Ü.) Sie war sozial sehr engagiert. Das Gedicht „Ruth“ (D) hat in diesem Zusammenhang einen spannenden Vers: „Gott, denkt sie, ist Herr der Auen, / Ährenlesend bin ich Gast auf seiner Flur.“ Das heißt: Weil Gott der Besitzer des Feldes ist, ist sie Gottes Gast und darf vom Felde nehmen. Diese soziale Sicht würde das gesamte System unserer Zeit durcheinanderwirbeln. Gott ist Besitzer des Wassers, der Luft, der Erde – darum darf ich als Gottes Gast nehmen. Spannender ist aber etwas anderes, etwas, das mit dem christlichen Glauben zu tun hat: Ruth und Boas sind Vorfahren von Jesus. Und in diesem Gedicht geschieht etwas Geheimnisvolles. Beide kommen auf eine mystische, geheimnisvolle Art in Freiheit zusammen. Was passiert hier mit den beiden Menschen?
Ganz eng verbindet sie sich bzw. die Menschen mit Jesus Christus. Und das wird besonders deutlich in ihrem „Credo“ (D). Sie schreibt: Ich glaube an mein Herz. Traditionell beginnt das Glaubensbekenntnis damit, dass der Glaube an Gott bekannt wird. Sie bekennt den Glauben an ihr Herz. Aber: In jeder Strophe begegnet Gott, er bewegt das Herz, dass es Duft auf die Welt ausströmen kann, sie kann die Schöpfung umarmen, weil Gott die Schöpfung umarmt, also in ihr, durch sie umarmt Gott die Schöpfung, Gott ist der Brunnen, aus dem das erneuerte Herz aufsteigt. In jeder weiteren Strophe nimmt sie Bezug zu biblischen Themen, die dann in der Strophe mündet:
„Ich glaube an mein Herz, das der Wurm
nicht beißen wird, denn es wird den Tod besiegen;
ich glaube an mein Herz, das sich lehnt
an die Brust des schrecklichen und starken Gottes.“ (eigene Ü).
Auch hier nimmt sie Bezug auf ein Wort Jesu Markus 9,43ff., in dem davon die Rede ist, dass in der Hölle Menschen das Leiden ertragen müssen. Sie weiß, dass ihr das nicht passieren wird, weil sich ihr Herz an Gott anlehnt. Es ist nicht nur das harmlose Gottesbild, es ist auch eines, das mit negativen Erfahrungen verbunden wird.
Hinweisen möchte ich auf eine weitere Strophe, die ich hervorheben möchte:
Ich glaube an mein Herz, das ich auspresse,
um die Leinwand des Lebens
mit Röte oder Schmerz zu färben, und das Ihm
gebracht hat ein leuchtendes Gewand. (Eigene Ü.)
Sonderbar ist das Gedicht „El Dios triste“. In diesem geht sie melancholisch durch den Herbstwald, fühlt Gott auf der Wange, den Gott des Herbstes, den Gott der Vergänglichkeit. Und sie fragt sich, ob dieser Gott des Herbstes, der Gott der Vergänglichkeit Gott ist, oder der, den sie im „berauschtem Wahnsinn sang“. Existiert der Vater? Ist er müde und schlaff? Und sie spricht ein Gebet, das sich nicht aus dem Staub der Erde erheben kann, ein Gebet, das nichts erbitten kann, denn dieser Herbstvater ist – anders als der wahre Gott – verwundet.
Sie lebt ein Leben, in dem sie es mit „viel Herzblut“, also Hingabe, lebt. Das Leben ist ein Kleid, das mit dem Herzblut gefärbt wird. Dieses Leben ist für Gott gelebt, dieses Kleid wird mit dem Leben für Gott „Ihm“ gefärbt. Es ist freilich nicht mehr das Blutgewand, sondern wird zu einem leuchtenden Gewand. In christlicher Tradition gesprochen: Glaubende werden mit einem himmlischen, herrlichen Kleid überkleidet. (Creo en mi corazón, el que yo exprimo / para teñir el lienzo de la vida / de rojez o palor, y que le ha hecho / veste encendida.). Dass das Leben Hingabe ist, wird auch an „Das Gebet der Lehrerin / La oración de la maestra“ und „Die Landschullehrerin / La maestra rural“ deutlich. es zeigt sich, wie sehr sie in der biblischen Sprache beheimatet ist.
Übrigens betete sie, als sie 1945 vom Literaturnobelpreis gehört hatte: „Jesus Christus, mach diese einfache Tochter einer so hohen Auszeichnung würdig!“ (¡Jesucristo, haz merecedora de tan alto lauro a esta humilde hija! a.a.O.) Oben wurde deutlich, dass sie den Schmerz mit Christus verbunden hat. Dieses Wort lässt erkennen, dass Jesus Christus auch für sie der Auferstandene ist.