Franz Werfel (1890-1945)
In Prag geboren, war ein österreichischer Schriftsteller jüdischer Herkunft und katholischer Betreuung. Er wurde Lektor, war im ersten Weltkrieg Soldat, lebte in tiefer Freundschaft mit Alma Mahler, die er 1929 heiratete. Die Bedeutung Almas für sein Werk hebt er selbst hervor. Aufgrund der Besetzung von Österreich und Frankreich, wo er lebte, durch den nationalsozialistischen Staat, floh er 1940 in die USA. Dort ist er auch gestorben.
Werfel hat sehr aufrüttelnde Texte geschrieben, für mich ganz wesentlich ist „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ (1933). In diesem Roman prangert er den Völkermord an den Armeniern durch die Osmanen an, „spiegelt“ somit etwas, das in Deutschlands naher Zukunft liegt. In Deutschland konnte der Roman nicht wirken, da er dort erst 1947 bekannt wurde. Überhaupt hatte er ein „Gespür“ für die kommenden Umwälzungen, die das Hitlerregime und die barbarische Weltanschauung des Nationalsozialismus mit sich brachten. Sein Werk, die „Geschwister von Neapel“ (1931) schließen: „Das Zeitalter des Gesanges und des Gesetzes ist nun zu Ende. Welches Zeitalter aber hat begonnen?“ Auf der Flucht lebte er eine Weile in Lourdes – und hier begegnet er der Reinheit, und „Das Lied von Bernadette“ (1941; verfilmt 1944) entstand. Es ist Folge eines Gelübdes: Er wolle den Roman schreiben, wenn er die Küste Amerikas erreicht. Er hat sie erreicht und das wichtige Werk geschrieben. In diesem Roman geht es um die Heilige Bernadette von Lourdes, um die Verherrlichung des Geheimnisses Gottes und der Heiligkeit des Menschen. Das Thema „Reinheit“ wird unten noch vertieft werden. Seine Werke, nicht allein die, die ich genannt habe, hatten eine breite Leserschaft. Aber seine Gedichte waren ihm selbst besonders wichtig.
Nun zu seinen Gedichten. Erst ein paar Anmerkungen. Auf seiner Wanderung hörte er einen Schrei – er hielt nicht an „Mich führte die Straße mit“ und er bat „Daß Gott mir verzeih“. Das Gedicht versucht diese Schuld zu verharmlosen, zu verdrängen – die Straße war Schuld („Ballade von einer Schuld“; vgl. auch „Gedächtnis der Sünde“).
Es gibt viele Gedichte, die die Lerche als Thema haben, wir lernten schon manches kennen. Auch Werfel schrieb eines „An eine Lerche “. Das kann hier nicht ganz zitiert werden, das muss man lesen. Aber der Duktus des schönen Gedichts: „Doch dich fühlen wir / Überm Sklavennacken, / Dich Wärme klein, / Dich Gottesflämmlein Lieds.“ (In „Lied nach einem Tage“ schreibt er: „Herr, sehr wenig ist, was ich dir gab, / Deine Flamm ist klein in mir gelungen“. Das aber eher selbstanklagend und nicht, wie im Lerchengedicht, rühmend.)
Ein äußerst heftiges Gedicht ist „Das Gebet Mosis“. Moses kämpft gegen Gott und gegen Menschen, er lässt sich nicht abspeisen, er fordert Gott heraus: „Hörst du, ich bin kein Bittender, ich bin der / Alte Furchtbare, dein alter Kampfhahn bin ich, / Dein Türeinschläger, dein Gläubiger-Ungetüm!“ Aber eben nicht nur gegenüber Menschen ist er das, sondern er fordert auch Gott heraus: „Ich beiße mich an deine Brust, ich flechte mich in dein Feuer, ich hämmere mit Fäusten an deinen Mund!“ „Ich kämpfe nach oben und nach unten, / Ich tobe auf einem Berg zwischen dir und ihnen.“ Gott selbst wird vor sein eigenes Gericht gezerrt „Ich schlage dich mit deinem Namen, / Du erscheinst, du rechtfertigst dich, du wendest es denn!“ Moses stellt sich über Gott, er stürmt sozusagen in den Himmel, um ihn herauszuzerren. Er bittet nicht, wie es sich für einen Glaubenden geziemt, der sich Gott unter- und zuordnet. Er wartet nicht auf Offenbarung Gottes, dass Gott sich zeigen möge, sondern dieser Moses ist ein Moses, der der Zeit des 19. Jahrhunderts, der Kämpfe gegen Gott, entspricht. Nietzsche ist hier zu nennen, zu nennen sind all diejenigen, die den Himmel stürmen und meinen, weil sie Gott nicht herauszerren können, er sei leer, sie „morden Gott und uns“ („Lied“). Später kann er sagen: „Wort log den Himmel fort, / Die Welt fiel zu.“ bzw. „Ach, wir verrieten des Vaters Geheimnis / So blieb uns nur / Des Jahrmarkts Spiegellabyrinth. / Nun hängen wir geschäftig / An einem Lügenzunder Worts.“ („Pfingstelegie“) Wenn man weiß, wie bedeutsam Nietzsche in der Zeit war und wie sehr Nietzsche (auch George und andere) das Wort und die Kunst betonten, wird einem die Brisanz dieser Formulierungen deutlich. Noch ist sie leer die verlogene Welt. Leer. In „Das Café der Leeren“ träumt er Grausliches, Verwesung, Erstickendes, Wüste. „Doch der Erhabene seinen Blick mir blickte, / Hob an die Gnade seiner Haltung mich, / Daß ich mich wusch und endlos neu erquickte. // >Ist dir so fremde dieser Ort hier, sprich, / Daß sich das Leben quält durch deine Kehle?< / So sprach er und befahl: >Sieh nur um dich!<“ Und er sah sich selbst in diesem grauslichen Raum, mit grauslichen Menschen. Es ist im Grunde die Hölle. „Wir hören Gott nicht aus den Uhren schlagen, / Und rülpsen grinsend Wohlbehagen.“ Das heißt: „Wir sind aus Gott gefallen und vorbei.“ ( „Der Feind“) Doch wer wird im Himmel sein? „Die Leidenschaftlichen“: „Mein Gott, es werden sein zu deiner Rechten / Nicht die Wahrhaftigen allein und die Gerechten!“ Und er schildert die Verlorenen. „Es werden ruhen, Gott, in deinen Tiefen / Nicht allein die, die deinen Namen riefen, / Nein alle, die in den Nächten nicht schliefen!“ Werfels Menschensicht, die sich den Verstoßenen zuwendet, wird auch ausgesprochen: „Noch im schlammigsten Antlitz / Harret das Gott-Licht seiner Entfaltung. / Die gierigen Herzen greifen nach Kot, – / Aber in jedem / Geborenen Menschen / Ist mir die Heimkunft des Heilands verheißen.“ („Was ein jeder sogleich nachsprechen soll“) (Anmerken möchte ich noch, dass „die Leere“ bei Benn eine Rolle spielt [s. dort]. Benn war treibende Kraft darin, Werfel aus der Preußischen Akademie der Künste 1933 auszuschließen.)
In „Das letzte Wort“ wird schon etwas deutlich, was den späten Werfel ausmachen wird: „Doch wenn uns Gott nicht verstößt, / Werden wir einst aus Ratschen, Reimen und Reden / Zum Wort erlöst“. In „Trägheit des Herzens“ beklagt er: „Mein Gott, wie viel Liebe ließ ich aus“ „So Tag für Tag das feige Herz zersprechend / Und elend mit Almosen Gott bestechend.“ In „Verheißung“ wird er deutlicher: „Vom Grabe ist der Felsen weggewälzt, / … // Der Gott ist fort. Im Hinterhalt der Welt / Wird er Musik. Schon stampft er auf und schnellt / In unser Herz den Schlag von seinen Zeiten, / In unsere Schritte spannt er ein sein Schreiten.“
Und die Bezüge auf Gott nehmen in den Gedichten zu. Wenn der Morgen anbricht, der Morgen der neuen Welt: „Auf allem Munde kniet das Eine Wort. / Gott selber wirft von seinem Gnadenort / Sich uns, gehüllt in Strahlenstaat, ans Leben.“ („Geistige Freude“) Aber noch ist es nicht soweit. Die Leere, die oben angesprochen wurde, aufgreifend, zum Menschen gesprochen: „Die Welt ist leer, weil sie von dir so voll ist! / So lebst du ohne Gnade. / Doch willst du wissen / Geheimnis der Größe, Geheimnis der Genien:? / Lebe aus Gottes Hand!“ („Der Fluch“) „So tief bist du Wunder, / Als du tiefe Wunder siehst!“ („Geheimnis“) Aber: Das Gebet gilt diesem Wunder: „Aus meiner Tiefe rief ich dich an, / Denn hier rettet kein Wille mehr, hier rettet nur Wunder. / Tu Wunder!“ („Aus meiner Tiefe“)
Das wunderbare Wirken Gottes hat Auswirkungen auf den Menschen: „Wenn ein reiner Mensch deinen Raum betritt, / Läßt sich Gottes Gegenwart nieder auf Stuhl und Tisch. / Der Sonnenstrahl zittert vor Andacht.“ Spiegel erblinden, das Böse wird müd, dem Teufel wird übel, es kommt die Verheißung und Liebe aus dem Herzen hervor: „Wenn ein reiner Mensch deinen Raum betritt, / Oh Gegenwart Gottes!“ Und so bittet er im „Gebet um Reinheit“ um diese. In diesem Gebet bringt er den Zwiespalt des Menschen zur Sprache, den Feind in sich selbst: „Warum nicht gabst du mir Einheit und Reinheit? Reinige, einige mich, oh du Gewässer!“ Es geht auch im „Gebet gegen Worte“ um Lügenworte: „Du hast die Welt entweltet, du hast sie verwortet. / Dahin! Und unsere Lüge lugt uns aus Worten an…. / Verschließe, blende, verstumme mich! Mach mich wachsen zu deinem Wort!“ Und im „Gebet“ bittet er darum, dass Gott sein Wort leite. „Gott fiel in unsre Tasten, und wir waren Psalm.“ (Bekenntnis VII)
Als Bekenntnis (III) formuliert er:
Selig die zweifelten, – sie werden glauben,
Selig die irrten, – sie werden erkennen.
Selig die Narren, sie werden rein entbrennen,
…
Unselig nur, die ohne Liebe waren…“
Mit den Seligpreisungen greift er auf die Seligpreisungen Jesu zurück. In dem Gedicht „Geburt“ besingt er die Geburt Jesu, besingt den Heiland, „Der uns mit seinem Schrei aus der Vernichtung hebt, / Drum beten wir zu diesem Herzensschlag.“
Es gibt weitere Gedichte, in denen Werfel das Geheimnis Gottes verherrlicht. Damit möchte ich es aber belassen. Man muss sie lesen.
Es sei noch angemerkt, dass Werfel öffentlich nicht zu einer Kirche konvertierte, aber seine Jesus-Bekenntnisse in seinem jüdischen Volk Irritationen hervorrief (so sein Drama von 1926: „Paulus unter den Juden“).
Franz Werfel: Gedichte aus den Jahren 1908-1945. S Fischer, Frankfurt/M. 1967 (GW Hg.v. Knut Beck)