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Pressel (1824-1898) nennt in seiner Sammlung (1863/1864) Der geistlichen Dichtung von Luther bis Klopstock ca. 300-400 Autoren. Er hat sie eingeteilt in:
„Die Dichter der Reformation“
„Dichter zwischen Reformation und dem dreißigjährigen Kriege“
„Die Dichter des dreißigjährigen Krieges“
Die Dichter zwischen dem dreißigjährigen und dem siebenjährigen Kriege“
Diese Rubriken hat er wieder jeweils unterteilt, z.B. in Geistlicher/weltlicher Stand, verschiedene Dichterkreise: Schlesier, Königsberger, Nürnberger, Württemberger, ebenso Unabhängige, Herrnhuter, Pietisten, Kirchenmänner, Reformierte usw.
Es folgt ein Anhang: „Die Anfänge der Neuzeit“. Sie beginnen mit Brockes (1680-1747) und enden mit Klopstock (1724-1803).
Die jeweiligen Dichter werden mit einer Kurzbiografie eingeleitet. Die Lebensdaten wurden hin und wieder von Wikipedia übernommen, so sie von Pressel abgewichen sind.
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In dieser Sammlung gibt es immer wieder ein paar Kostbarkeiten, Neues zu entdecken. Vieles wiederholt sich, was freilich klar ist, denn die Botschaft bleibt – es ändert sich der jeweilige Ausdruck für die eigene Gemeinde, die eigene Zeit. So verändert sich vielfach auch der Stil der Sprache, das heißt, manches ist kurz, knapp, manches ist blumig intensiv umschrieben, manches ist formelhafter, manches innovativer. Und immer ist zu beachten: Die Zeit, in der diese Gedichte geschrieben wurden, ist nicht unsere Zeit. Es gab keine sozialen Absicherungen, Menschen waren dem Wetter ausgeliefert, der Kälte, Hitze, Dürre, dem Wetter, das Menschen guttut. Die Wohnsituationen waren jeweils unterschiedlich in den Dörfern und Städten. Die Adressaten waren manchmal gehobener Schicht, manchmal dörflich. Das Weltbild unterschied sich sehr stark von dem unsrigen. Das Menschenbild auch?
Wir finden in diesen Gedichten Alltags-Erlebnisse (Morgen, Schlafen, Ehe, Natur, usw.), Abend- und Morgengebete, Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod, Auseinandersetzungen mit anders Glaubenden, politische Auseinandersetzungen weniger (aber zum Beispiel Vertreibung aus Österreich und Angriffe auf die Kirche), aber sehr viel ethische Ermahnungen mit Blick auf Sünde und Gericht und Befreiung, Vergebung, Belehrungen über christliche Sakramente (Tauf-, Beichte- und Abendmahlslieder), Aufnahmen und Schilderungen neutestamentlicher Berichte über Jesus Christus (vor allem in alter Tradition emotional nachvollziehend die Passion Jesu), Bedeutung der Bibel, Bedeutung christlicher Feiertage. Viele Ermutigungslieder für schwere Zeiten. Gotteslob und Weltbetrachtung – der Mensch in seinem weltlichen Leben in der Zuordnung zu Gott, im Licht Gottes. Dazu dominant immer wieder der Bezug zu dem Menschen, was zusammengefasst werden kann in der Frage: Was hat das alles mit mir zu tun? Und natürlich persönliche Frömmigkeit, die Gott für seine Begleitung im eigenen Leben dankt. Aber eben: der Einzelne als Teil der Gemeinde, Lieder, Gedichte für die Gemeinde.
Es werden sehr bekannte Dichter genannt – zwischen denen, die nicht weiter bekannt geworden sind, wohl lokale Bedeutung hatten. Und aus dem, was ich zitiere, ist eher meine Frömmigkeit erkennbar als die der Autoren. Vieles steht mir theologisch nicht ganz so nah. Von daher sei empfohlen, das Werk selbst zu lesen, wenn jemand einen genaueren Einblick in die Zeit, in die Theologie der Zeit und der jeweiligen Autoren bekommen will. Auch schon Pressel hat ausgewählt, sodass Eigenarbeit unbedingt notwendig ist, wenn jemand Genaueres wissen will.
In der Beschäftigung mit diesen Vorfahren sind Menschen zu entdecken, die ich gerne kennen gelernt hätte. Manche großartige Menschen sind dabei.
Es handelt sich um Gebrauchslyrik. Nicht um Lyrik, die irgendwo in Anthologien verschwindet, sondern um Texte, die Pfarrer Kranken mitgeben sollten, damit sie getröstet werden, Texte, die Menschen anregen sollten, sie als Morgen- und Abendgebet zu verwenden usw. Manchmal liegen wohl die Originalhefte nicht mehr vor, weil sie vermutlich vom Gebrauch zu abgenutzt waren, um die Zeiten zu überdauern. Es dürfen also keine hochwertigen literarischen Texte erwartet werden, sondern eben: Gebrauchslyrik, zum Teil schnell mal hingeschrieben, weil die Situation es verlangte, weil ein besonderer Mensch sie benötigte.
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Heinrich Müller (1631-1675) beginnt sein „Passionslied“ mit Wörtern, die allen christlichen Dichtern wohl zu eigen sind. „Hilf, Gott, laß mirs gelingen, / Du edler Schöpfer mein, / Die Wort in Reim zu bringen, / Zu Lob dem Namen dein; / Daß ich mag fröhlich heben an / Von deinem Wort zu singen, Herr, du wollst mir beistahn.“ Interessant ist die letzte Strophe: „Recht laß uns alle bitten / Christum für Obrigkeit, / Ob wir schon von ihr litten / Gewalt; auch für all Feind´, Daß ihn´n Gott wolle gnädig sein, / Zu Lobe seinem Namen, um Christi Tod und Pein.“ Es ist nicht eines der gelungensten Reimereien, trotz der Bitte zu Beginn. In dieser greift er die alte griechisch-antike Tradition der Gebete an die Musen auf. Ich hatte schon das Thema. Inhaltlich finde ich freilich interessant, dass besungen wird, dass die Gemeinde von der Obrigkeit Gewalt erleidet. An dem, was ich über ihn lesen konnte, ist nicht erkennbar, was für Leid ihn die Obrigkeit zugefügt hat. Er war ein bekannter Professor und Erbauungsschriftseller, der auch gegen „Kirchen-Götzen“ anging: Taufstein, Predigtstuhl, Beichtstuhl, Altar. Er trat dafür ein, dass der Glaube innerlich sein soll, nicht an Materiellem klebend. Eine Schrift über die göttliche Liebe wurde noch Jahrhunderte nachgedruckt, er veröffentlichte Kantaten – und von ihm stammt der Begriff „Übermensch“, womit er einen Menschen Gottes meinte, und bezeichnete den Glauben als Sinn, der über die fünf Sinne steht, so: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_M%C3%BCller_(Theologe,_1631)
Manche Biografien erwecken die Lust, Geschichte weiter zu betrachten, so das Leben von Johann Friedrich Mayer (1650-1712). Er hatte ein äußerst reges Leben, auch mit vielen Posten, Berufungen, Ortswechseln, persönlichen Animositäten und Verhärtungen, sowie damals nicht besonders üblichen Scheidungen verbunden. Als er mit seinem Wirkungsort in Greifswald unter schwedischer Herrschaft stand, sollte er im Großen Nordischen Krieg 1712 gegen den Schweden einen Gebetsgottesdienst abhalten und um dessen Vertreibung beten. Da bekam er einen Schlaganfall. Er quittierte den Dienst und ging nach Stettin – Pressel schreibt, dass er auf der Flucht gestorben sei https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Mayer_(Theologe) Von diesem Dichter wird in Pressel ein Lied wiedergegeben, dass eine Neuformulierung eines alten Liedes ist. Es wird überschrieben mit: „Nach dem Nachtmahl“: „Meinen Jesum lass ich nicht; / meine Seel ist nun genesen“ – es ist ein Befreiungslied, ein Lied, das sich der Abhängigkeit von Jesus vergewissert – gegen die Angriffe des Feindes, der „gräulich tobet“.
Politische Passage finden wir auch bei Johann Ernst Greding (1676-1748), der ab 1700 in Hanau Rektor einer evangelischen Schule wurde und ab 1718 eine Predigerstelle bei Darmstadt bekleidete. Er hat in seinem „Passionslied“ den Hinweis: „Der am Kreuz ist meine Liebe! / Drum, Tyranne! Foltre, stoß! / Hunger, Blöße Henkershiebe, / Nichts macht mich von Jesu los. / Nicht Gewalt, nicht Gold, nicht Ruhm, / Engel nicht, kein Fürstenthum. / Der am Kreuz ist meine Liebe, / Weil ich mich im Glauben übe.“ Es ist mir nicht ersichtlich, dass hier biografische Gründe für die politische Wortwahl eine Rolle spielen. Deutlich wird das Echo des Briefes des Apostels Paulus an die Römer, Kapitel 8,33-38. Das zeigt die Bedeutung dieser Römerbriefpassage mit Blick auf die Freiheit auch gegenüber Tyrannen. Allerdings werden Tyrannen von Paulus nicht direkt erwähnt, sondern er nennt Gewalten, Mächte, Schwert usw. Die Tyrannen dürften auch aufgrund der Passionsgeschichte naheliegend gewesen sein.
Joseph Schaitberger (1658-1733) musste aus Salzburg fliehen. Er besingt: „Ob mir der Satan und die Welt / All mein Vermögen rauben, / Wenn ich nur diesen Schatz behalt: / Gott und den rechten Glauben.“ Mit Satan können diejenigen gemeint sein, die ihn vertreiben. Es kann aber auch der Satan gemeint sein – das heißt, die Menschen sind nicht so sehr als Schuldige im Blick, wenngleich sie als Handlanger des Satans agieren. Zu dem Lied „Ich bin ein armer Exulant“ gibt es sogar einen Wikipedia-Artikel. https://de.wikipedia.org/wiki/Ich_bin_ein_armer_Exulant
Leicht hatten es manche nicht, weil der Neid anderer groß war. So der Neid der Professoren in Leipzig, die dem Theologen und Philosophen Johann Kaspar Schade (1666-1698) das Leben wegen dessen Erfolg bei Studenten schwer machten und ihn abwiesen. Zudem war er ihnen zu fromm, sodass er wegen Ketzerei Ärger bekam. Es konnte ihm jedoch nichts nachgewiesen werden, aber dennoch wurden Vorlesungen verboten: Er wurde als „Nebenbuhler“ empfunden, es kam zum akademischen Konkurrenzneid: https://www.deutsche-biographie.de/sfz77886.html#adbcontent In dieser Lebensphase dichtete er laut Pressel: „Meine Seel ist stille / Zu Gott, dessen Wille / Mir zu helfen steht: / Mein Herz ist vergnüget / mit dem, wie´s Gott füget, / Nimmt an, wie es geht“. Er fand durch Spener eine Gemeinde in Berlin, kümmerte sich um Arme und Kranke, hatte Gesprächskreise mit Handwerkern und weiteren Bürgern, sorgte für preiswerte Verteilbibeln, hielt intensive Bußpredigten (mit Blick auf Volk, Obrigkeit, Staat, Kirche): „Gott selbsten hat dies Wort / Der Wahrheit fest versiegelt, / Bewährt durch seinen Geist, / Und in der Seel verriegelt: / Recht muss doch bleiben Recht. / Hälts gleich die Welt für Scherz / So fället ihm doch zu / Ein jedes gläubig Herz.“ Er kämpfte gegen die Privatbeichte, weil laut Gesetz jedem, der sich gesetzlich nichts zu Schulden kommen ließ, die Absolution gegeben werden musste. Was für ihn eine Farce war. Er trat für die Allgemeine Beichte ein. Er wurde zum Mittelpunkt eines erbitterten Prinzipienstreites. In der zweiten Strophe des zuletzt genannten Textes geht er darauf ein: „Ihr Menschen dräuet mir / Mit viel und manchen Plagen, / Wo ich nach eurer Lust / Euch nicht bald will behagen: / Ihr wollt mir, wie ihr sagt, / Benehmen Amt und Ehr / Und machen, daß kein Kind / Mich nicht soll achten mehr. // Doch dies bewegt mich nicht: / Wie? Sollt ich denn betrachten, / Was mir ein Mensch gebeut, / Und unterdeß verachten / Des Herren sein Gebot?“ In dem weiteren Text wird beschrieben, was Menschen ihm antun oder anzutun gedenken und dass er weiterhin Gott vertraut – bis in den Tod. Schade bekam Fieber und starb. Der christliche Pöbel wollte seinen Leichnam schänden: „Der aufgeregte Pöbel gönnte ihm nicht einmal die Ruhe des Todes; nach seinem Begräbniß sammelte sich eine große Volksmenge auf dem Kirchhofe, die den Leichnam aus dem Grabe zu reißen versuchte und unter gotteslästerlichen Aeußerungen den größten Unfug verübte.“ Und so können wir zusammenfassen: Neid und aufgebrachten Pöbel gab es wohl zu aller Zeit. Schöne Strophen hat auch sein Gedicht „Des Christen Glück“: „O wie richtig und wie wichtig / Ist der Christen Freude! / Freude, die in Gott gegründet, / Und den Geist mit ihm verbindet, / Freude, die kein Ende find.“ Mit diesem Eingangssatz „O wie richtig und wie wichtig“ führt er aus: Schönheit, Glück, Ehre, Richten, Wissen, Schätze, Herrschen usw. In seinem Gedicht „Ruhe“ beschreibt er die Ruhe des Christen, die in Gott ihren Grund hat. In einer Strophe heißt es: „Ruhe den erst recht ergötzt, / Der ein Schüler ist / Und sich zu den Füßen setzt / Seines Herren Christ, / Und lernt die Ruh.“ Es folgt der Refrain: „Hier und dort ist keine Ruh, / Als bei Gott; zu ihme zu! / Gott ist die Ruh.“ Wegen der hohen, fordernden christlichen Ethik hat laut Pressel auch der Pfarrer Bartholomäus Crasselius (1677/67-1724) Ärger bekommen – von seinen Amtsbrüdern. Er war ihnen zu fromm. Er schreibt unter anderem in „Vom göttlichen Frieden“: „Weislich und fleißig mußt du dich entschlagen / Der bösen Gesellschaft und sündlichen Rott, / Welche den sündlichen Lüsten nachjagen, / Nicht fürchten noch lieben den heiligen Gott: / Denn die sich zu solchen Gottlosen gesellen, / Die fahren mit ihnen hinunter zur Höllen.“ Er hätte heute auch einen schweren Stand. Im Artikel von Wikipedia zu der Person wird darauf hingewiesen, dass er ein Lied dichtete, das begann: „Dir, dir, Jehova, will ich singen“ – das man im neuen Gesangbuch EG 328 verändert hat, zu: „Dir, dir, Höchster, will ich singen.“ In der Auflage des Gesangbuches von 1962 hieß es noch wie im ursprünglichen Text – ist also kein Überbleibsel der nationalsozialistischen Gesinnung Deutscher Christen zwischen 1933-1945. Selbst in dem Gesangbuch „Ein neues Lied“ von 1941 (6. Auflage; hg. v. Riethmüller 1933) heißt es noch: Jehova (Lied 266).
Der Dichter Zacharias Hermann (1643-1716) hat die Strophen seines „Sterbeliedes“ mit den Buchstaben seines Namens begonnen. So beginnt die erste Strophe mit einem Z: „Zu dir, O Fürst des Lebens, Herr Jesu ruft mein Herz…“. Die zweite Strophe beginnt mit „Ach“: „Ach Niemand kann mich retten, / Als du mit deinem Blut…“, die dritte beginnt mit einem „A“: Allein in denen Wunden / Erblick ich Schutz und Trost“ usw. Und endet mit einem „N“ (Hermann): „Nun will ich gerne sterben, / Mein Jesus geht voran…“. Das heißt, dass der Name in den Glauben eingebunden wird. (Hinweisen möchte ich auch auf den „Sterbenswunsch“ von Johann Adam Lehmus [1707-1788] – vermutlich Texte, die helfen sollen, das Sterben und den Tod nicht zu fürchten.) Zinzendorf (1700-1760) spricht im „Grabgesang“ vom Tod als eine Umarmung der Seele durch Gott, indem er das Bild vom Weizenkorn, das in die Erde fällt, aufgreift. Die Erde dürfte Gottes Umarmung sein, das Weizenkorn die Seele. Der Prediger und Militärpfarrer / Feldgeistliche Johann Joseph Winkler (1670-1722) fragt sich in einem Gedicht, warum er Angst vor dem Tod habe, obgleich Jesus ihm lieber sei als die Welt. Er versucht sich diese Angst mit Hilfe des Erinnerns an Jesu Taten weg zu argumentieren und bittet Christus: „Bewahre deinen Sinn in mir, / Auch wenn ich meinen Sinn und alle Kraft verlier.“ Wie in seinen und vieler anderer Texte: Das irdische Leben ist Durchgang zu dem ewigen Leben bei Gott, das mit vielen Bildern beschrieben wird. Das irdische Leben als Durchgang zu Gott muss Gott gemäß gestaltet werden, das heißt Moral spielt eine große Rolle, Selbstbeherrschung, Vergebung, Durchhaltevermögen – und natürlich Glaube als Nachfolge Jesu Christi. Wenn dieses Leben überwunden wurde, so Winkler in „Ergebung“, „Bin ich gleich ein stilles Meer, / Voll von Gottes Preis und Ehr.“
Immer wieder gibt es auch Gedichte, die eine Perspektive außerhalb des „Weltgetümmels“ bietet. Menschen nehmen sich eine „Stille Zeit“ mit Gott, gehen über die Grenzen, die das alltägliche Leben bieten, hinaus. Als Beispiel Martin Günther (biografische Daten unbekannt), der „Die Freuden der Andacht“ beschreibt: „Wie lieblich ist es in der Stille, / Wo Gott allein zugegen ist, / Wo unser Herz in seiner Fülle / Der süßen Einsamkeit genießt! / Da schmeckt man in Zufriedenheit / Des Höchsten Güt´ und Freundlichkeit.“ Jonathan Krause (1701-1741/1762[?]) schrieb ein Gedicht „Sonntagsweihe“, in dem auch die Ruhe eine Rolle spielt. Dort heißt es: „Ruh´t nur, meine Weltgeschäfte! / Heute hab´ich sonst zu thun. / Denn ich brauche alle Kräfte, / In dem höchsten Gott zu ruhn. / Heut´ schickt keine Arbeit sich, / Als nur Gottes Werk für mich.“ Ein sehr reger Kämpfer für die Orthodoxie (gegen Pietismus, Aufklärung, Katholizismus, Absolutismus), ein Gelehrter, der die erste theologische Zeitschrift herausgegeben hat, der in Dresden dazu beigetragen hat, dass die Frauenkirche gebaut wurde, ist Valentin Ernst Löscher (1673-1749). Pressel veröffentlicht von ihm ein „Trostlied“ in dem es beschwörend heißt: „Gott kanns nicht böse meinen.“ Er war sehr intensiv mit dem Bibelstudium beschäftigt und schrieb ein Abendmahlslied „Nachtmahlslied“, in dem er den am Kreuz hingerichteten Jesus Christus anspricht und erwähnt, was dieser gewaltsame Tod für ihn, Löscher bzw. für sie, die Gemeinde, bedeutet: Kraft, Heilung, Leben … – „ach lass mich an dir kleben“ – also ganz enge Verbindung zu Gott. Hingewiesen sei auf sein Lied „Stille!“. In diesem fordert er sein Herz auf, alles, was die Stille stören könnte, loszulassen (Sünde, Kummer usw.): „Sei stille, Welt, und lasse mich / Jetzt meinen Gott verehren“. „Mein Vater, gib, daß stets in mir / Die stille Andacht bleibe…“.
Diese enge Verbindung mit dem leidenden und sterbenden Jesus Christus wird in vielen Gedichten unterschiedlicher Autoren angesprochen – und zwar in Form eines Gebetes.
Das ebenso in Osterliedern. Den auferstandenen und herrschenden Jesus Christus besingt Johann Christian Lange (1669-1756). Er war zu seiner Zeit erst einmal nicht so gerne gesehen und flog als Student wegen chiliastischer Frömmigkeit und seiner Predigt über wiedergeborene Christen von der Universität. Dann jedoch wurde er Professor für Philosophie, Theologie, wurde Generalsuperintendent (also hatte ein hohes kirchliches Amt) über weite Bereiche des Saarlandes und Nassaus. Er war Lehrer und schrieb gemeinsam mit der Fürstin Charlotta Amalia von Nassau-Usingen eine „Summarische Schul- und Confirmationsordnung“, die laut Wikipedia fast 100 Jahre in Kraft war (1730-1815). Ich nenne den Autor hier, weil Pressel einen Text von ihm abdruckt, der dem Autor selbst so sehr gefiel, dass er ihn noch auf dem Sterbebett zitierte. In diesem beschreibt er „Mein Herzens-Jesu, meine Lust“ in 18 Strophen, was er alles an Jesus hat. Jesus ist für ihn: Licht, Himmelsweg, Wahrheit, Leben, Himmelsbrot, Trank, Kleid, Schloss, Seelenhirt, Bräutigam, Freund, Held, Leitstern, Garten, Trost und vieles mehr, eben „Mein einig Alles“.
Auch Benjamnin Schmolck (1672-1737) schreibt Jesus zentrierte Gedichte. Das Morgenlied beginnt: „Tag und Nacht hat sich geschieden / Scheide, Jesu, nicht von mir.“ Das Abendlied beginnt: „Abend heller als der Morgen, / Weil mein Jesus bei mir ist!“ Sein Lied „Ach, sagt mir nichts von eitlen Schätzen“ nennt in der letzten Zeile das Wort „vergnügt“ und kann mit der letzten Zeile der vierten Strophe zusammengefasst werden: „Wer Jesum hat, der ist vergnügt.“ Oder im Gesangbuch (EG 62): „Jesus soll die Losung sein, / Da ein neues Jahr erschienen“. Das schöne Lied, das auch im Gesangbuch zu finden ist, „Schmückt das Fest mit Maien“ (EG 135; gekürzt und hier und da verändert) besingt den Geist Jesu. Schmolck war ein sehr produktiver und wenn man Pressel glaubt, trotz schwerer Schläge und Auseinandersetzungen mit Jesuiten ein frischer und geistesstarker Dichter. (Sieben Jahre vor seinem Tod bekam er einen Schlaganfall, war einseitig gelähmt, erblindete, konnte nicht mehr richtig sprechen, verlor zeitweise das Gedächtnis – war aber noch als Bettlägriger für seine Gemeinde da bzw. ließ sich in die Kirche tragen, und als er nicht mehr mit den Händen segnen konnte, neigte er segnend sein Haupt. In der Deutschen Biographie heißt es, dass der Geist ungeschwächt, der Muth ungebrochen, und sein Herz munter und fröhlich geblieben seien.) Er besingt die Taufe (auch EG 206) und Beerdigung („Selig, wer mit Christo stirbt, / Dessen Tod wird gar zum Leben“), das Kleeblatt (Glaube – Hoffnung – Liebe [*]), bekennt sein Sünderdasein, bekennt, dass von Gott alles kommt („Erweck in mir ein gut Gewissen, / Das weder Welt noch Teufel scheut“) – und das Lied EG 423 („Herr, höre, Herr, erhöre“) ist ein Gebet für die Gesellschaft – ein Lyrisches Fürbittgebet – : „Laß alle, die regieren, / Ihr Amt getreulich führen, / Schaff jedermann sein recht, / Dass Fried und Treu sich müssen / In unserm Lande küssen, / Und segne beide, Herr und Knecht.“ Er bittet auch um Frieden, um gesunde Luft, gegen Inflation, gegen Hunger. Er hat auch ein Gedicht „Ein Prediger“ geschrieben, nachdem ein bekannter Pfarrer nach der Predigt auf der Kanzel gestorben ist. „Was ist ein Prediger? Ein hell beflammtes Licht, / Das selbsten sich verzehrt, indem es andern leuchtet; / Die Lippen sind ein Brunn, der Vieler Herz befeuchtet, / Indessen auf sein Haupt des Kreuzes Sonne sticht.“ … Das Leiden der Prediger wird auch betont: „Ein Brunn wird zwar getrübt, doch wieder aufgeklärt; / Sie werden wohl gedrückt, doch ihnen widerfährt / Dies Leiden nur zum Ruhm, daß sie durch Kreuz und Plagen / Dem Herren ähnlich sind und seine Zeichen tragen.“ In der Deutschen Biographie steht über Schmolcks Ausbildung an der Universität Leipzig: „Sein aus dem Elternhause in das Schul- und|Universitätsleben mitgenommener frommer Sinn und kindlicher Glaube blieb ihm unangetastet und ungefährdet unter allen Versuchungen, die sich in Leipzig auch an ihn herandrängten.“ https://www.deutsche-biographie.de/gnd118759965.html#adbcontent Er hatte auch große Neigung, Medizin zu studieren, aber sein Vater hatte – grob gesagt – ein Gelübde über ihn ausgesprochen, dass er Pfarrer werden solle.
[*] In der Deutschen Biographie steht: „Und Hoffmann v. Fallersleben sagt von ihm: „Der Inhalt seiner Lieder ist Lob und Preis Gottes, Betrachtung über das Leben und Leiden Jesu, Ermahnung und Tröstung, — alles geschöpft aus den Lehren der Bibel und in Beziehung gebracht auf das menschliche Leben, überhaupt das Christenthum mit allen seinen Verheißungen und Segnungen. Das eigentliche Feld seiner Poesie, auf das er die ganze Innigkeit und Wärme seiner frommen Begeisterung wendet, ist die Dreiheit der christlichen Cardinaltugenden Glaube, Liebe. Hoffnung. In der Darstellung und Verherrlichung dieser Grundideen des Christenthums erscheint sein dichterischer Werth am reinsten und schönsten.“ (Dazu s. auch: https://www.sonntagsblatt.de/artikel/kultur/wie-der-pietistische-liederdichter-benjamin-schmolck-es-beinahe-zu-den-oscars )
Den Liedern der Herrnhuter Brüdergemeine ist die sehr enge Verbindung mit Jesus Christus ein wesentliches Thema. Es ist viel von Jesus als „Lamm“ die Rede, wie in anderen Liedern auch vom Blut und den Wunden Jesu – aber es ist nicht die Passion, die im Zentrum steht, sondern der Auferstandene als Lamm, die Wunden des Auferstandenen, in denen sich die Autoren bergen – in aller „Einfalt“. So dichtete der Missionar (tätig in Lappland, England, Irland, im asiatischen Teil Russlands) Johann Nitschmann (1712-1783) als Bitte an Jesus: „Hebe auf die durchgegrabnen Hände / Ueber die Gemeine, und vollende / Alle die Segen, Die sich in dein´m Herzen für uns regen! // Dein Blut heilge unsern ganzen Wandel, / Und besprenge uns in allem Handel! …“. (vgl. auch nur ein weiteres Beispiel: Susanna/e Katharina von Klettenberg [1723-1774, verschwägert mit der Mutter von Goethe, sie hat Eingang gefunden in Wilhelm Meisters Lehrjahre: Bekenntnisse einer schönen Seele]: „Dorthin!“)
Christen sind nicht gefesselt von der Gegenwart, ihrer Zeit, der Welt, ihren Annehmlichkeiten. Glaubenswelt und Menschenwelt werden von Georg Michael Pfefferkorn (1645/6-1731/2) einander entgegengestellt. So sei die dritte Strophe von „Nur Jesus“ zitiert: „Die Welt sucht Ehr und Ruhm bei hocherhabnen Leuten, / Und denkt nicht einmal drauf, wie bald doch diese gleiten: / Das aber, was mein Herz vor andern rühmlich hält, / Ist Jesus nur allein; was frag´ ich nach der Welt?“ Biografisch ist in dieser Hinsicht interessant, dass er als Hauslehrer für die Kinder seines Landesherrn eingestellt war – auch sonst war er ein angesehener Mensch, bis er wegen Begünstigung von Verwandten durch sein Amt ein wenig an Ansehen verlor. Er war ein angesehener Dichter und Rhetoriker. Er behauptete, ein Lied gedichtet zu haben, was Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt ebenfalls von sich behauptete. Dieses oben genannte Lied „Nur Jesus“, ist vermutlich auch nicht von ihm. Georg Michael Pfefferkorn – Wikipedia Es wird hieran die Zwiegespaltenheit von uns Menschen deutlich. Mit Bezug auf Johann Hermann Schrader (1684-1737) schreibt Pressel, dass sich dieser „in ungebührlichem Maaße Aenderungen mit den alten Liedern“ in dem von ihm herausgegebenen Gesangbuch 1731 erlaubte. (Das Gesangbuch: https://rosdok.uni-rostock.de/resolve/id/rosdok_document_0000009573 ) Wenn wir das erste Lied dieses Gesangbuches „Auf, auf ihr Reichsgenossen“ ansehen, erkennen wir, dass dieses in unserem Gesangbuch nach 1993 nicht mehr zu finden ist, und in dem von 1950 massiv verändert aufgenommen wurde, wenn wir es mit dem ursprünglichen Lied von Rist (Seite 299) vergleichen. Das heißt: Massive Eingriffe in die Texte sind auch bei unseren Zeitgenossen erkennbar. Schrader hat auch eigene Lieder gedichtet. Pressel nennt: „Des Glaubens Kraft“. Oder nehmen wir das berühmte Lied „Jesu, hilf siegen“ von dem Pfarrer Johann Heinrich Schröder (1666-1728 [oder: 1699?], das letzte Worte seiner sterbenden Frau verarbeitet. Das ursprüngliche Lied zu vergleichen mit dem Lied im Gesangbuch (EG 373) ist spannend: Was wird alles weggelassen, was lassen die Herausgeber des Gesangbuches noch gelten? Das kann ich nur ansprechen aber hier nicht vertiefen. Eine Strophe, die im Gesangbuch nicht aufgenommen wurde: „Jesu, hilf siegen! Wer mag sonst bestehen / Wider den listig verschmitzeten Feind? / Wer mag noch dessen Versuchung entgehen, / Der wie ein Engel des Lichtes erscheint? / Ach, Herr! Wo du weichst, so muß ich ja irren. / Wenn mich der Schlangen List sucht zu verwirren.“
Biographisch ist auch das folgende Gedicht von Lampertus (Lambert) Gedicke (1683-1735/6) spannend. In „Gottergebenheit“ besingt er: „Wie Gott mich führt, so will ich gehen / Ohn alles Eigenwählen; / Geschieht, was er mir ausersehn, / Wird mirs an Keinem fehlen; Wie er mich führt, so geh ich mit / Und folge willig Schritt vor Schritt / In kindlichem Vertrauen.“ In der letzten Strophe heißt es, nachdem geschrieben wurde, dass ich dieses und jenes nicht verstehe und auch nicht mag: „Wie Gott mich führt, so will ich gehen, / Es geh durch Dorn und Hecken; / Von vornen lässt sich Gott nicht sehn (1) / / Doch letzt wird ers aufdecken, / Wie er nach seinem Vaterrath / Mich treu und wohl geführet hat: / Dies sei mein Glaubensanker.“ Das ist auch meine GlaubensIntention – für mein Leben. Ich weiß nicht, in welcher Lebensphase er den Text geschrieben hat. Er war bis 1709 Lehrer am Franckeschen Waisenhaus, dann aber ab 1709 im preußischen Heer ein wichtiger Prediger und Inspektor. Für Waise kann es eine große Hilfe sein, wenn sie das wissen, wenn sie es sich sagen lassen. Aber in einem Heer, in das Menschen gepresst werden konnten, wenn nicht genügend Männer freiwillig gekommen waren, ist das ein übler Text. Damit sei nicht der Dichter kritisiert, es sei nur angemerkt, dass ein und derselbe Text in unterschiedlichen Lebensbereichen positiv und negativ sein konnte. Negativ insofern, als er in Zwangsmaßnahmen befreit – aber nichts dazu tut, die Zwangsmaßnahmen zu verändern. Warum allerdings das Lied aus dem neusten Gesangbuch (1993/4) herausgeworfen wurde, weiß ich nicht, in dem ab 1950 war es noch vorhanden. Wurde es herausgenommen, weil er Militär war? Weil es dem aktivistischen Zeitgeist widersprach? Gedicke hat übrigens das erste Gesangbuch für Soldaten herausgegeben.
- Nimmt Bezug auf eine Mosesgeschichte, laut der er Gottes Herrlichkeit, sein Angesicht sehen wollte, aber nur den vorübergehenden Gott von hinten sah (Ex 33,18-23).
Von Joachim Weickhmann (1662-1736) wurde nur ein „Geburtstagslied“ aufgenommen. In diesem Lied bedankt er sich bei Gott: „Durch deine Macht bin ich geboren, / Bin Mensch, ich, der ein Nichts sonst war; / Duch deine Huld ward ich erkoren / Zu der erlösten Christenschaar.“ Dann erkennt er, dass er zu schwach ist, wirklich danken zu können und es folgen Bitten, dass Gott ihn in diesem „Prüfungsleben“ weiterhin versorgen möge. Das Folgende hat zwar mit dem Gedicht nichts zu tun, finde ich aber interessant, weil sich manches wiederholt: Spannend an Weickhmann ist, dass sein Name mit einer heftigen Diskussion verbunden wurde: In seiner Zeit vertraten manche die Aussage, dass Polygamie laut Bibel nicht verboten sei. Sie wollten sie nicht unbedingt fördern, aber die Obrigkeit solle Ausnahmen von der Monogamie machen können. Weickhmann wendet sich mit biblischer Begründung heftig dagegen – und der Streit eskalierte und ergriff staatliche wie kirchliche Stellen. Dieser Artikel zeigt, was für ein Mensch Weickhmann gewesen sein soll: „Ein Mann von grossem Geist und Gaben, der viel Gelehrsamkeit, Friedfertigkeit, einen Lobwürdigen Eifer in seinem Amte, und sonst solche Eigenschaften besaß, welche ihn, nach Verdienst, beliebt machten.“ https://books.google.de/books?id=WflfAAAAcAAJ&pg=PA215#v=onepage&q&f=false
Ein ebenso großer Geist scheint auch der Jurist Just(us) Henning Böhmer (1674-1743/9) gewesen zu sein. Während Pressel nur die Lebensdaten angibt, gibt es auf Wikipedia einen langen Artikel über seine Lebensleistung. In dem von Pressel überlieferten Gedicht heißt es unter anderem: „Dein Jesus reicht die Arme dir / Und legt dir Ruh und Leben für, / Die Krone der Gerechtigkeit, / Den Zugang, der uns ist bereit´t / Zur Seligkeit.“ In dem Gedicht des Juristen ist viel von Gnade die Rede.
Johann Friedrich Star(c)k (1680-1756) war einer der Autoren, die in seiner Zeit am meisten gelesen wurde (https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Starck ). Er stand auch in starker Auseinandersetzung als Pietist nicht mit den Orthodoxen, sondern wurde von radikalen Pietisten angegriffen. Als Leser seines Taufliedes fragt man sich: Hatten die normalen Gemeindeglieder so viele Feinde? Aber es ist wohl eine Anmerkung auf sein eigenes Leben: „Ich bin getauft; ihr Feinde weichet! / ich stehe unter Gottes Schutz, / Der seinem Kind die Hände reichet, / Was acht´ ich eure Macht und Trutz? / Greift ihr ein Gotteskind nur an, / So glaubt, daß Gott es schützen kann.“ Das aber steht nur in der 7. Strophe. Die anderen vergewissern die Liebe Gottes in vielen Lebenslagen und dem Tod: „Ich bin getauft; ob ich gleich sterbe, / Was schadet mir das kühle Grab? / ich weiß mein Vaterland und Erbe, / Das ich bei Gott im Himmel hab´“. In dem Gedicht „Preis des Worts“ beschreibt er, was er alles am Wort Gottes hat. Und wenn sein Mund einmal das Wort nicht mehr aussprechen kann, auch keine Speise mehr aufnehmen kann, so soll Gottes Wort selbst die Speise für seine Seele sein.
Im Zusammenhang mit dem Text des Pfarrers und Schriftstellers Johann Andreas Rothe (1688-1758) „Vom Heimgang der Kinder“ ist zu erkennen, wie wichtig als Trost die Taufe der Kleinen, die gestorben sind, für die Hinterbliebenen sein kann: „Wenn kleine Himmelserben, / In ihrer Unschuld sterben, / So büßt man sie nicht ein, / Sie werden nur dort oben / Vom Vater aufgehoben, / Damit sie unverloren sein.“ In der ganzen Diskussion darum, ob Kinder getauft werden sollen oder nicht, ist möglicherweise die seelsorgerliche Frage nicht zu unterschätzen.
Christian Scriver (1629-1693) war in seiner Zeit als Schriftsteller und Theologe einflussreich. Als er geboren wurde, starben sein Vater und drei Geschwister an der Pest. Seine Mutter heiratete wieder. Der Stiefvater starb ebenfalls, die Mutter zog zu ihrem Vater. Er selbst hatte viermal geheiratet, 15 Kinder – allerdings überlebten ihn nur ein Sohn und eine Tochter. Er gehörte der Orthodoxie an, war jedoch auch mit dem Pietismus vertraut – und kritisierte Missstände und manch anderes an seiner Kirche. Pressel spricht in höchsten Tönen von ihm. Und die Texte, die er wiedergibt, haben auch Besonderes an sich. So vor allem das „Abendlied“ und das Gedicht, das die schlimme Zeit anspricht: „Die verschmähte Eitelkeit. Die verlangte Ewigkeit.“ Er war ab 1667 zum Beispiel Pfarrer in Magdeburg, das 2 Jahre nach seiner Geburt, Mai 1631, vollkommen zerstört wurde. In Stendahl, wo er vorher wirkte, brach 1682 die Pest aus und 1205 Menschen sind gestorben. Kurz, der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) hatte auch ihn geprägt, so vermute ich, weil er gegen Not, Verrohrungen, Kriegstraumata angeht.
Johann Jakob Spreng (1699-1768) war ein Professor für Griechisch, Rhetorik und deutsche Poesie, wurde von Kaiser VI. zum kaiserlichen Poeten erhoben, war Pfarrer. Er hat unter anderem ein 20-bändiges historisch-kritisches Wörterbuch der deutschen Sprache verfasst, das zu seiner Zeit nicht veröffentlicht wurde und 2021 nur in Auswahl. Er schrieb das Gedicht „Lob des heiligen Geistes“ – ein Thema, das ich bislang in den Gedichten nicht so häufig gefunden habe. In diesem besingt er das Wirken des Geistes von Beginn an: „Soweit der Himmel uns umringet, / Soweit das Licht der Sterne dringet, / Ist alles deiner Ehre voll. / Durch dich bestehet und entspringet, / Was jemals ward und werden soll.“ Er beschreibt das Wirken Jesu, das durch den Geist von Menschen verstanden wird, und beschreibt die Geistwirkung in der Verkündigung bis in die Gegenwart: „Du salbst und ordnest ihre Lehrer / Des Welt- und Höllenreichs Zerstörer, / Die Engel in der Sterblichkeit, / Und zeuchst die Herzen ihrer Hörer / Durch Worte, die die Gnade leiht.“ Wie in vielen Liedern geht der Blick dann am Ende über das irdische Leben hinaus.
Was bei Kaspar Zolligkofer (1707-1779) besonders ist, ist seine positive Darstellung des Körpers: „Wenn ich auf meinen Körper sehe, / den du so kunstvoll ausgebild´t, / So wird, o Vater in der Höhe, / Mein Herz mit Ehrfurcht ganz erfüllt. / Ein jedes Glied, ein jeder Sinn / Reißt mich zu deinem Lobe hin.“ Freilich erkennt auch er, dass er seine Glieder zu „Sündengliedern oft gemacht“, bittet jedoch darum, dass er „Geist, Leib und Glieder“ hingeben kann “Zu Waffen der Gerechtigkeit“. Dennoch – der Leib, das Fleisch ist vergänglich. Das betont auch er. Die Zerrissenheit der Glaubenden beschreibt Henriette Catharina Freifrau von Gersdorf (1648-1726), Zinzendorfs Großmutter, in eindringlicher Form: der Mensch kennt sich selbst nicht und weiß nicht, ob er es ehrlich meint. Sie bittet Gott unter anderem: „Kann ich dich nicht feste halten, / desto fester halt du mich; / Laß mein Herz nicht ganz erkalten, / Bis mein Glaub erholet sich.“ Das empfinde ich als erstaunlich, weil manche heutzutage (vielleicht auch damals?) meinen, wenn sie sich von Gott abwenden, an ihn zweifeln, dass es ihn nicht geben würde. Sie aber bittet (unter Aufnahme einer Aussage des Apostels Paulus im Philipperbrief): „Ach! Stärke, Herr, das Wollen und das Können, / Und gib mir den gewissen Geist, / Daß ich mich wieder freudig dein kann nennen, / Und glauben, wie dein Wort michs heißt.“ Gersdorf stand in Kontakt mit Theologen, Wissenschaftlern, Philosophen, so mit Leibniz. Sie war offen für Spener, förderte die Übersetzung der Bibel ins Sorbische, kümmerte sich um Mädchenbildung, förderte die Herrnhuter, nahm Flüchtlinge auf.
Der Theologe Heinrich Elmenhorst (1632-1704) war für die Oper in Hamburg bedeutsam. Er hat unter anderem Liedpredigten verfasst – und auch ein „Morgenlied“. In diesem heißt es: „Was ich denke, dichte, sinne, / Was ich wünsche, was ich will, / Was ich rede, was beginne, / Was ich in der That erfüll, / Müss´ in deinem Licht geschehn, / Aller Welt vor Augen stehn, / Daß ich nicht, was finster, suche, / Fern von Wahrheit, nah dem Fluche.“ Johann Lassenius (1636-1692) hat ein ähnliches Anliegen: „Mein Herz sei dir ein Tempel, / Ein Haus der Herrlichkeit, / Mein Leben ein Exempel / Für alle frommen Leut“. Nett formuliert ist aus dem „Abendlied“ des Juristen Johann Friedrich Hertzog (1647-1699) die 8. Strophe: „Drauf tu ich meine Augen zu / Und schlafe fröhlich ein; / Mein Gott wacht jetzt in meiner Ruh, / Wer wollte traurig sein?“ Dieses soll er als Parodie auf ein weltliches Lied als Jugendlicher gedichtet haben. Von Krieger wurde vermutlich die erste Strophe übernommen – weitere Strophen sind ein Liebeslied („Der Liebe Macht herrscht Tag und Nacht“ https://www.lieder.net/lieder/get_text.html?TextId=32900 ) (https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Hertzog ). Ist Parodie wirklich ein richtiges Wort? Er hat aus einem eher lustigen Lied, das an die Liebste in der Nacht denkt, ein geistliches Lied gemacht. Parodie?
Johann Adam Haßlocher (1645-1726) fragt in 16 Strophen: „Wer ist ein Christ?“ „Du sagst: ich bin ein Christ. / Wohlan! Wenn Werk und Leben / Dir dessen, was du sagst; / Beweis und Zeugnis geben, / So steht es wohl um dich.“ Und er nennt viele Punkte, in denen sich so mancher Christ ertappt fühlen dürfte, denn „Ach! Du bleibst nach wie vor; / Dein´ Worte, Werk und Sinnen / Wird oftmals ärger noch: / Dein Vorsatz und Beginnen / Geht nach dem alten Trieb; / Und was noch gut soll sein, / Ist, wenn mans recht besieht, / Nur lauter Heuchelschein.“ Christliche Ethik wird hier gut zusammengefasst. Am 31.5.1689 wurde Speyer, die Stadt, in der er Pfarrer war, im Pfälzischen Erbfolgekrieg durch Truppen von Ludwig XIV. – dem Vertreter des Absolutismus und Gottgnadentums – zerstört. Auch sein gesamter besitz verbrannte. Ich vermute einmal dass er spätestens in diesem Zusammenhang auch viele Christen kennen gelernt hat, die nicht als Christen handelten. Auch an den Gegnern des zitierten Liedes ist zu erkennen: Ideologie kann auch unter Theologen an Universitäten giftige Pflanzen hervorbringen. https://www.deutsche-biographie.de/gnd120805413.html#adbcontent In dem Lied, das nicht bei Pressel zu finden ist, sondern im Gesangbuch für Rheinland und Westfalen 1901 (404), heißt es: „Höchster Gott wir danken dir, / Daß du uns dein Wort gegeben / Gib uns Gnade, dass auch wir / Nach demselben heilig Leben. / Und den Glauben also stärke, / Daß er tätig sei durch Werke.“ (Den Text durch Verse als Gedicht angepasst.) Das heißt, auch wenn Theologen das zuvor genannte Lied heftig ablehnten, so war dann doch der Autor nicht „verbrannt“. Manche Texte beschwören auch die Liebe der Glaubenden, so Christian Andreas Bernstein (1672-1699; Angaben: https://blog.erweckungsprediger.de/geistliche-lieder/liederdichter/christian-andreas-bernstein-1672-1712/ ) in seinem „Bruderlied“: „Singt ihm (sc: Gott) mit vereinigtem Herzen und Munde, / Ohn loben und lieben vergeh keine Stunde / Wir stehn vor dem Herrn als Einer im Bunde.“ Diese Hinweise finde ich besonders ansprechend, denn ich vermute einmal, dass Glaubende nur miteinander singen können, wenn sie wirklich ein Herz sind und sich als Einheit vor Gott wissen. Er starb sehr jung – und auch die Einheit mit Gott ist sein Thema, wahrscheinlich soll die Einheit der Glaubenden untereinander diese Einheit mit Gott widerspiegeln. In „Gebet zum Herrn“ schreibt er in der letzten Strophe: „Mein Ein und Alles! Laß mit dir mich Eins hier werden, / So wird mir Alles nichts, du aber Alles sein. / Und nimmet deine Güt´ mich endlich von der Erden, / So geh ich Frieden-voll in deine Freude ein.“
Es gibt zahlreiche Passion- und Osterlieder. In einem „Osterlied“, das Heinrich Ammersbach (1632-1691) zugeschrieben wird, wird besungen, dass der im Frühling erklingende Vogelgesang wie die Blumen zeigen, „daß ihr Schöpfer Sieger sei./ Triumph, Triumph, Triumph, Triumph, Viktoria! / Und ewiges Halleluja!“ Heinrich Ammersbach kämpfte in Schriften gegen ein verweltlichtes Christentum und gegen lutherisch-orthodoxe Pfarrer, was zur Folge hatte, dass diese darüber nicht amüsiert waren und eine förmliche Verurteilung erwirkten. Das Loblied (O dass ich tausend Zungen hätte; EG 330) des Theologen Johann Mentzer (1658-1734), der viel Leid erfahren hat, fordert alles auf, mit ihm Gott zu loben: „Ihr grünen Blätter in den Wäldern, / Bewegt und regt euch doch mit mir! / Ihr schwanken Gräschen in den Feldern, / Ihr Blumen laßt doch eure Zier / In Gottes Ruhm belebet sein, / Und stimmet lieblich mit mir ein.“ Gotteslob – und Wahrnehmung der Natur hängen sehr eng zusammen. Es sind 15 Strophen (EG nur 7) – und wie üblich laufen sie auf das Sterben und den Tod bzw. das ewige Leben zu. Und in der vorletzten Strophe heißt es: „Ja, wenn mein Mund wird kraftlos sein, / So stimm ich doch mit Seufzen ein.“ In seinem Lied „Der Lauf um das Kleinod“ bittet er Jesus, ihm zu helfen, denn der Satan versucht, ihn mürbe zu machen: „Wo mir deine treue Kraft / Nicht gewünschte Hilfe schafft.“
Der Arzt und Theologe Christian Friederich Richter (1676-1711) ist im Grunde der pietistische Dichter des Leidens. Er selbst war krank und hat die Krankheit in seine Texte eingebracht. So schreibt er in „Der Krankheit“ unter anderem: „Leiden ist jetzt mein geschäfte, / Anders kann ich jetzt nicht thun, / Als nur in dem Leiden ruhn; / Leiden müssen meine Kräfte, / Leiden ist jetzt mein gewinnst, / Das ist jetzt des Vaters Wille, / Den verehr ich sanft und stille; / Leiden ist mein Gottesdienst.“ In „Vom verborgenen Leben“ stellt er die Diskrepanz dar, dass Christen äußerlich ganz normale Menschen sind, eben auch leiden wie alle anderen, aber doch innerlich ganz anders sind, weil sie von Gott verändert wurden. Das Leiden bekommt durch den Glauben einen Sinn: „Der Jammer hängt mir nur noch an, / Der mir in Christo doch nicht schädlich werden kann.“ („Gottes Menschwerdung“) Der Professor für Philosophie, für orientalische Sprachen und Theologe Johann Tribbechov/w (1677-1712) war sehr fromm, war in Großbritannien mit Flüchtlingen aus der Pfalz beschäftigt. Bei ihm brach eine „Gemüthskrankheit“ aus und er erlebte Finsternisse und zog sich zurück. In lichten Momenten schrieb er sein Gedicht „Gebetskampf“ (Pressel) / O du Hüter Israel / Thou, our Light, our guiding Star, in dem er bekennt, dass er Gott nicht finden kann, sowie andere Lieder, die einst in Gesangbüchern aufgenommen worden waren. In diesem genannten Lied heißt es: „Du bist ja mein Licht und Stern, / Der mir bald ist aufgegangen, / Der umfangen / Meinen ganzen Lebenslauf“ – und er greift diese 2. Strophe in der letzten, der 14. Strophe, wieder auf: „Führe aus dem Streit zum Sieg, / Daß ich wiederum mag sehen / Bald aufgehen / Licht und Stern in finstrer Nacht: / Wenn erwacht / Mein Seel am frohen Morgen, / Frei und los von Qual und Sorgen, / Ist sie auf dein Lob bedacht.“
Wie schon zu Beginn dieser Darlegung genannt, gibt es sehr viele Passionslieder, die das Leiden von Jesus nachvollziehen und das eigene Leiden hineinzeichnen. Das Gedicht von Michael Hunold (1621-1672) hat einen entsprechenden Klang, ist allerdings ein Echo auf die Worte Jesu am Kreuz. Diese mögen, so wünscht er es sich, auch seine letzten Worte sein. In diesen kommt er wie Jesus auch auf die Feinde zu sprechen: „Vergib, o Vater, denen, die mich hassen, / Die wider mich Neid, Eifer ausgelassen; / Vergib doch, weil die Feinde nicht verstehen, / Was sie begehen.“ Hunold war Lehrer und Diakon und starb nach langer und schwerer Krankheit. Das genannte Gedicht schließt: „Ich gebe dir den Geist zu sichern Handen, / Lös´ ihn, oh Jesus, von des Leibes Banden, / ich sterbe dir, ich lebe deinem Namen. / Ach Herr, sprich Amen.“
Eingangs schrieb ich: „Und natürlich persönliche Frömmigkeit, die Gott für seine Begleitung im eigenen Leben dankt“ finden wir in den Gedichten. Aber warum werden solche persönlichen Gedichte veröffentlicht? Ich vermute, weil Gedichte immer auch versuchen, anderen zur Sprache zu verhelfen, nicht nur mit Klagen oder Sündenerkenntnis. Dazu zähle ich zum Beispiel das Gedicht von Johann Gottfried Hermann (1707-1791): „Gottes erbarmende Liebe“ (867f.) Glaubende sind Teil der Gemeinde. Ihre Worte sollen anderen helfen.
Ich meine im Zusammenhang von Gryphius habe ich geschrieben, dass viele Dichter die Liebe Gottes thematisieren. Sie ist der Rote Faden in allen Auseinandersetzungen. Und das ist auch hier zu erkennen. Die Liebe Gottes wird in vielen Gedichten reflektiert – und es bleibt zu hoffen, auch im Leben.
