Emily Brontë (1818-1848)

Emily Brontë (1818-1848)

Emily hatte sechs Geschwister. Drei der Schwestern dichten zum Teil gemeinsam und phantasieren sich eine Geschichte. Mit den Gedichten hatten sie zunächst nicht viel Erfolg. Vor allem Emilys Roman „Wuthering Heights“ lässt jedoch ihren Ruhm bis in die Gegenwart erschallen. Dabei sind die Gedichte auch äußerst anregend.

Die Geschwister sind Kinder eines Pfarrerehepaares. Die Mutter starb, als Emily drei Jahre alt war. Der Tod holte sich ein Kind nach dem anderen aufgrund von Krankheiten (Typhus, Tuberkulose), im Erwachsenenalter starben dann auch vor der ebenfalls jung gestorbenen Emily der Bruder und eine Schwester. Im Wesentlichen spielte sich das Leben von Emily im Familienhaus ab – auch der Unterricht. Sie wurde in ihrer Zeit als Eigenbrötlerin angesehen. Dennoch wollte sie, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können, Lehrerin werden. Charlotte und Emily fuhren nach Brüssel, um dort entsprechend für den Beruf vorbereitet zu werden. Sie sprach französisch, konnte Griechisch und Latein. Zurückgekommen half sie jedoch lieber in der Familie, lebte viel in der Natur im Norden von Großbritannien. Sie starb wohl 1848 an Tuberkulose, verweigerte zunächst medizinische Hilfe, weil das der Natur widersprach, weigerte sich, im Bett zu liegen und sich durch die Krankheit einen anderen Alltag aufdrängen zu lassen.

Die Schwestern veröffentlichten unter Pseudonymen, so auch 1846 ihre Gedichte. Es handelt sich zum Teil um ernsthaft-spielerische Gelegenheitsgedichte, die sich um die Geschichte, die sie sich ausgedacht haben, drehen. Gleichzeitig hatte Emily aber auch ein davon zu unterscheidendes Gedichtheft angelegt. In all diesen Gedichten klingt immer mal wieder das Thema Gott an. Gott als Beschützer wird angesprochen, es wird Auferstehung unspezifisch in den Blick genommen (My only wish ist to forget / In the sleep of death). Immer wieder finden wir knappe eher allgemeine Notizen mit Blick auf Gott: rein (pure) zu Gott gehen (48), Gott weiß (49) usw.

Manchmal sind jedoch tiefgehende Sätze zu finden. So zum Beispiel im Kontext von Leiden: „Once drinking deep oft hat divinest anguish, / How could I seek the empty world again?“ Wenn man den Becher des Leids (hier geht es darum, dass ein geliebter Mensch gestorben ist), den Gott gegeben hat, trinken musste, wie kann man dann wieder die leere Welt suchen wollen? (IV [158] Remembrance) Manche Zeilen sind mit Blick auf den Glauben spannend (XIV [152]): „Ist es falsch, anzubeten, wenn weder Glaube zweifelt, noch Hoffnung verzweifelt und meine Seele mir ermöglicht zu beten?“ Womit sie ein sehr modernes Wort ausspricht: Man glaubt, wagt aber nicht zu glauben. Und dann folgt: „Sprich, Gott der Visionen, bitte für mich und sage mir, warum ich dich erwählte!“ Das Gebet spielt auch sonst eine Rolle: „My words died in a voiceless moan / When I began to pray“ (11); vgl. auch 12: „The anxious prayer was heard and power / Was given me in that silent hour„; 71: Das Gebet setzte das Herz in Flammen, aber die Zunge gefror; 97 heißt es unter anderem:

Wanderer knie nieder und bete.
Was für Zukunft wird dich erwarten?
Der Himmel wird von inbrünstigen Gebeten bewegt.
Gott ist Barmherzigkeit – leb wohl!

In 126 wird der gnädige Gott schreiend unter anderem gebeten, „meine Engel-Seele“ rein zu halten; in 131 werden schlimme Stunden angesprochen, die Macht haben, den Glauben zu zerstören, daran zu zweifeln, dass Gott beschützt, die fluchen lassen, statt zu beten. Dennoch: Die Barmherzigkeit Gottes wird häufiger angesprochen, so in 113:

Gott ist nicht wie ein Mensch.
Der Mensch kann nicht des Allmächtigen Gedanken lesen,
Doch Rache wird dich nicht ewig foltern
Und deine Seele ewig jagen
.

Darum denke nicht in der Nacht der Trauer,
In der Zeit überwältigender Furcht,
Dass Gott dich verlässt,
vergisst, verlässt, sich weigert zu hören

Der Mensch lebt in vielfältigen Spannungen, die in den Gedichten, wie gesehen, angesprochen werden. Diese Spannung, in der der Mensch lebt, wird auch in den Zeilen deutlich: „Ich stehe in der herrlichen Sonne des Himmels, und im Glanz der Hölle – mein Geist trank aus beiden.“ (XX [144] My Comforter). Spannungen gibt es auch in der Frage des Glaubens: „Und dann werde ich hingehen und überprüfen, ob Gott wahr ist.“ (71) Der Mensch ist aber auch bereit, Tugend, Glauben und Himmel wegzuwerfen. Zudem kniet der Mensch vor Gott, betet aber kriminelles Tun an und zerstört die Hilflosen. „Ich flüstere in jedem Gebet“, dass Gott es denen heimzahlen wird, die anderen die Hölle bereiten, die giftige Pfeile schießen (168). Sie spricht von den Tränen derer, die Blut vergießen, den Selbstverfluchern, die eifrig dabei sind Not zu verbreiten, die den Himmel mit unsinnigen Gebeten verspotten, indem sie für sich, die Unbarmherzigen, Barmherzigkeit erflehen (169).

Das Thema Sterben wird immer wieder angesprochen: „I know our souls are all divine / I know that when we die / What seems the vilest, even like thine / A part of God himself shall shine / In perfect purity – „ (138)

Eines ihrer Gedichte sei nun besonders hervorgehoben (167):

No coward soul is mine
No trembler in the world´s storm-troubled sphere
I see heaven´s glories shine
And Faith shines equal arming me from Fear

O God within my breast
Almighty ever-present Deity
Life, that in me hast rest
As I Undying Life, have power in thee

Vain are the thousend creeds
That move men´s hearts, unutterably vain,
Worthless as withered weeds
Or idlest froth amid the boundless main

To waken doubt in one
Holding so fast by thy infinity
So surely anchored on
The steadfast rock of Immortality

With wide-embracing love
Thy spirit animates eternal years
Pervades and broods above,
Changes, sustains, dissolves, creates and rears

Though Earth and moon were gone
And suns and universes ceased to be
And thou wert left alone
Every Existance would exist in thee

There is not room for Death
Nor atom that his might could render void
Since thou art Being and Breath
And what thou art may never be destroyed

Versuch einer Übersetzung:

Keine feige Seele gehört mir
Kein Zittern im Weltensturm
Ich sehe die Herrlichkeiten des Himmels strahlen
Und der Glaube strahlt und bewaffnet mich gegen Furcht

O Gott, in meiner Brust
Allmächtiger, immer anwesender Gott
Leben ruht in mir
Wie Ich – Unsterbliches Leben – habe Kraft in Dir

Eitel sind die tausend Bekenntnisse
Die der Menschen Herzen bewegen, unsäglich eitel
Wertlos wie vergehendes Gras
Nutzloser Schaum inmitten grenzenlosen Meeres (sinngemäße Übersetzung)

Die Zweifel in einem wecken
Festgehalten von Deiner Unendlichkeit
So sicher verankert auf
Dem festen Felsen der Unsterblichkeit

Weit umarmt von Liebe
Dein Geist belebt ewige Zeit
Durchdringt sie und brütet über sie
Verändert, erhält, löst sie auf, erschafft und macht rückgängig (sinngemäße Übersetzung)

Wenn Erde und Mond vergangen sind
Und Sonnen und Universen aufhörten
Und nur noch Du alleine bist
Alles, was ist, würde in Dir sein

Da ist weder Raum mehr für den Tod
Noch für das Atom, dessen Macht ungültig macht
Seit Du bist Sein und Atem
Und was Du bist, möge niemals zerstört werden

Dieses Gedicht sei ganz zitiert, weil es noch eine andere Emily begeistert hat: Emily Dickinson. Diese große amerikanische Dichterin, die in ihren eigenen Gedichten so unsicher ist, was den Glauben betrifft, wollte es auf ihrem Grabstein geschrieben haben – es wurde als ihr Lieblingsgedicht auch bei der Trauerfeier vorgelesen.

Dieses Gedicht – ein Gebet – geht auf die Basis des christlichen Glaubens zurück: Gott allein. Wie Paulus schreibt: Gott wird sein alles in Allem. In diesem Zusammenhang werden auch biblische Texte zitiert und auf sich bzw. auf ihren Glauben bezogen. Sie hat sich, wohl aufgrund ihrer Erfahrungen mit Todesverlusten, viele Gedanken um den Glauben und das Sterben gemacht. Sie hat keine Angst vor nichts und niemandem – auch nicht vor den Tod. Denn Gott ist ihre Lebenskraft und wird sie auch nach dem Sterben sein. Aber – die letzte Zeile weist dann doch auf ihre kleine Unsicherheit hin: Kann Gott auch zerstört werden? Überhaupt oder nur für sie und ihren Glauben? Deutlich wird, dass sie sehr stark Gott mit „Leben“ verknüpft – ihn aber als ein „Du“ ansieht, also nicht einfach mit „Leben“ identifiziert. Und wenn Whitman und andere davon sprechen, dass nur der atomisierte Mensch, nur noch die Atome vereinzelt überleben werden, so sieht sie hinter diese Atome. Diese sind nicht aus sich heraus, sie sind, weil Gott ihnen ermöglicht zu sein.  

Aus dem gefällten Baum sprießen neue Pflanzen – die Leiche des Baumes spendet ihre Kraft, die er aus der Ewigkeit hat (XVI [159] Death). Dieses Bild finde ich auch mit Blick auf ihr Schreiben erwähnenswert: Sie ist der gefällte Baum – und ihre Gedichte wirken aus der Ewigkeit weiter. Um mir diese Bemerkung zu erlauben.

Gedichte zitiert nach: Emily Brontë. The Complete Poems. Edited and with an Introduction by Janet Gezari, Penguin Classics 1992. Biographische Angaben: Claire O´Callaghan: Das andere Gesicht der Emily Brontë. Eine Biographie aus der Sicht des 21. Jahrhunderts. Übersetzt von Marion Ahl, ePub-e-Book, Dryas Verlag Hamburg 2020 (engl. 2018). Die Übersetzungen sind eigene Arbeitsübertragungen.