Detlev von Liliencron (1844-1909) war nach dem Realschulabschluss zunächst beim Militär – was in vielen seiner Gedichte zum Ausdruck kommt. An den Kriegen 1866 und 1870/1871 nahm er Teil. Er wurde wegen Spielschulden entlassen, wanderte für kurze Zeit nach Amerika aus, kam zurück, wurde vom Vater und von Freunden unterstützt. Er veröffentlichte 1883 seinen ersten Band Gedichte. Er bekam eine Stelle in der Verwaltung, heiratete. Weil er Spielsüchtig war und untreu, verlor er Stelle und Frau. Neue Heiraten, knüpfte Kontakte zu Dichtern. Er konnte wegen seiner Schulden nur mit deren Hilfe eine Wohnung und einen Schreibtisch bezahlen. Berühmt wurde er wegen seiner eigenwilligen, vielfältig verwendeten Formen, die seinen Schreibstil schwer einordnen lassen. Manche späteren Dichtformen hat er vorweggenommen. Er schrieb nicht allein Gedichte, sondern auch Romane, Novellen und andere Gattungen. 1909 bekam Liliencron die Ehrendoktorwürde, verliehen von der Uni Kiel – in dem Jahr starb er auch an einer Lungenentzündung. Sein letztes Buch „Gute Nacht“.
Als Quelle liegen vor einmal die unter den jeweiligen Links angegebenen Texte, aber ebenso: Detlev von Liliencron: Gesammelte Werke, Bd. 3: Gedichte, Schuster&Loeffler Berlin 1918, 6. Auflage; Biographische Hinweise aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Detlev_von_Liliencron
„Die kleine Kirche Jesusblödlein“ http://www.zeno.org/Literatur/M/Liliencron,+Detlev+von/Gedichte/Gute+Nacht/Die+kleine+Kirche+Jesusbl%C3%B6dlein In diesem Gedicht geht es darum, dass vor langer Zeit Menschen eines Dorfes bei einem Maler ein Jesusbild bestellt haben, als Buße zahlten sie viel Geld dafür. Dann wurde das Dorf mit Kirche vom Meer überspült, allein das Bild blieb heile, weil es auf dem Wasser schwamm. Dann haben die Bewohner sozusagen um das Bild eine neue Kirche gebaut. Was auch kommt an „Ebbe, Sturm und Flut“ das Bild leuchtet in voller Ruhe, von Gott beschützt. Das Gedicht endet damit, dass der Dichter am Meer voller Schwere saß, dann das Bild sah: „Und schaute auf den Heiland, / Stand tief erregt davor. // Und seiner Augen Klarheit / Sank mir ins Herz herein. / Ich bog ihm meine Stirne: / Du sollst mein Hüter sein.“ Auch im Gedicht „Golgatha“ sitzt er an einem Karfreitag am Meer, alles ist sehr, sehr still und friedlich, wie es früher eben an Karfreitag war. Er döst ein, „träumt“ er wäre in Jerusalem. Er beschreibt, was er alles sieht – und er sieht einen lachenden, tobenden, lärmenden Pöbelzug, dem ein blasser, zarter Mann vorangeht: „Und plötzlich bin ich auch mit im Gewühl, / Und höhne, lache mit…“. Und: „Wir stürzen uns auf Jesum, packen ihn; Wir schlagen ihn mit Nägeln an die Äste.“ Er beschreibt, wie es weitergeht – doch dann: kommt ein Reiter herangaloppiert und ruft: Begnadigt! Doch Jesus ist inzwischen gestorben. Der Dichter wacht auf: „Und freute mich des wundervollen Friedens.“ Das Gedicht „Armut, Einsamkeit und Freiheit“ (229) erwähnt Jesus Christus und seine Armut. „Arm wie Jesus Christus. / Wie Jesus Christus? / Den die Reichen der Erde / Als ihren Schutzpatron ausrufen / Gegen den `Pöbel´. / Und des Menschensohn hat noch immer nicht, / Wo er sein Haupt hinlegen könnte.“ Arm sein, so geht es weiter, hat seine Vorzüge, bringt Freiheit. Sonderbar das Gedicht „Das Opfer“. In diesem beschreibt er wie ein Indianerstamm eine Jungfrau dem Großen Geist als Opfer darbringen. Sie setzen sie in ein Boot, das dann wohl am Wasserfall untergeht, zerstört wird. Ihre letzten Worte: „Es ist vollbracht“. Wird hier bewusst der christliche Glaube, Jesu Sterben am Kreuz, verbunden mit dem heidnischen Glauben? Das wird angedeutet durch die Worte, die Jesus am Kreuz sprach: „Es ist vollbracht“.
Das Gedicht „Die drei Glaubensschiffe“ (http://www.zeno.org/Literatur/M/Liliencron,+Detlev+von/Gedichte/Gute+Nacht/Die+drei+Glaubensschiffe ) beschreibt die Brutalität von Maria Theresia (1717-1780), die ihren Katholischen Glauben im Land mit aller Gewalt durchsetzen wollte. Sie verjagte die Protestanten nach Siebenbürgen, aber bevor die Schiffe losfahren konnten, hat sie den Eltern die Kinder weggenommen, damit sie katholisch erzogen werden. Die auf die Schiffe verladenen Menschen waren wie erstarrt, ihnen blieb aber nichts anderes übrig, als sich von ihren Kindern zu verabschieden. Die Schiffe legten ab und die Erwachsenen sangen das Lutherlied: „Nehmen sie den Leib, / Gut, Ehr, Kind und Weib: / Laß fahren dahin!…“ (aus ein Feste Burg ist unser Gott). Er nimmt auch in „In Martin Luthers Sprache“ (360f) Stellung zu dem Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten. In dem Gedicht geht es darum, dass die deutsche Sprache letztlich das ist, was die Konfessionen eint. So interpretiere ich das Gedicht, das als wiederholten Satz auf das Lied zurückgreift: „Ach Gott vom Himmel sieh darein“ so schließt: „Mächtig singt es die Gemeinde, / Alle, Alle fallen ein, / Singt das ganze Lied zu Ende, / Und so wird es fürder sein, / Im deutschen Kirchenlaut, / Dem sich das Herz vertraut. / Ach Gott vom Himmel sieh darein.“ Auch die schreckliche Weihnachtsflut von 1717 wird in „Vun de erschröckliche Springflot“ dargestellt – allerdings ohne theologische Verarbeitung, sie wird in ihrer Dramatik beschrieben.
Im zweiten der drei Wappensprüche wird der Glaube intensiver angesprochen – ist aber nur ein Aspekt der drei Wappensprüche: „Vers Dieu vais“ – „Zu Gott gehe ich“ – so lautet der zweite Wappenspruch einer Adelsfamilie. Voran geht ein anderer Wappenspruch: „Rien ne m’est plus, plus ne m’est rien.“ – „Nichts ist mir mehr, das Mehr ist mir nichts.“ Und es folgt als letzter Wappenspruch: „Chacun a bien à faire du sien“ – „Jeder hat mit dem zu tun, was sein ist“. Zu dem ersten Wappenspruch schreibt Liliencron, dass das lyrische Ich alles verloren habe, nun mit einem Büßergewand im Wald Zuflucht sucht. Mit dem zweiten Wappenspruch ist verbunden, dass eine Flamme sich zum Himmel löst und das lyrische Ich als Opferlamm mit in den Himmel genommen werden möchte. Es fordert vom Feuer das Versprechen, zu Gott geführt zu werden, weg aus dem irdischen Schlamm. Der dritte Wappenspruch ist trotzig, nicht opferbereit, sondern: „Doch erst komm ich; und wer mich will verschlingen, / Ist bald, gut Nacht, ein Wrack, an mir zerschellt. / Und, Gott, verdamm mich, niemals solls gelingen, / Daß einer mich um meine Chancen prellt.“ Kurz: Die Wappensprüche werden als Ausgangspunkt verwendet, die eigene Situation zu beschreiben: Alles ist verloren – es geht nur um Buß-Flucht in den Wald – um religiöse Flucht hin zu Gott, eine der Läuterung, des Selbstopfers, eben, was im ersten Wappenspruch angesprochen wurde: der Büßer – nach dem Wunsch geläutert zu werden, zu Gott geführt zu werden, fühlt sich das lyrische Ich stark: es geht um Selbstbehauptung, Widerstand, betont mit dem „Gott verdamm mich“.
Das letzte Gedicht dieses Bandes „Nebel und Sonne“ wird mit dem Gedicht „Die Königin Vernunft“ (181ff) beendet. In ihm geben Vernunft und Klugheit kalte, eisige, asoziale Ratschläge; auch die Philosophie, die Einsamkeit wird als Heilanstalt bezeichnet. Doch später wird die Einsamkeit als Vampir dargestellt, die nur das Blut aussaugt. Dagegen das soziale Leben: und da lauten die letzten Zeilen eines Aufrufs zum Lebenskampf mit den Worten: „Dein heißester in all dem Kampf: / Den täglichen, endlichen Frieden zu finden, / Den großen Frieden, / Den Frieden in Gott.“ In dem Gedicht „Der Friedensengel“ (266) begrüßt er den ewigen Kampf mit einem „Willkommen“, weil er in einer „Vision“ sah, dass der Friedensengel „In einem Meer von Blut und Schleim und Schmutz“ watet, die sind „des ewigen Friedens Basis“.
Und auch dieser Mensch hat seinen Frieden in Gott gefunden: In einem Gedicht „Das alte Steinkreuz am Neuen Markt“ erklärt er, wie es zu dem Steinkreuz kam. Ein Musikant lästert Gott in seinem Suff mit „Teufelsglossen“. Im Suff klettert er auf die Kirchturmspitze. Die Menschen denken, er fällt herunter und stirbt, er fiel auch, aber er starb nicht, denn Gott denkt: „Du bist ein liederliches Vieh, / Doch bist und bleibst du ein Genie, / Das ist das Amüsante.“ Danach war der Musikus dann ein veränderter Mensch, soff nicht mehr und lobte mit seinem Genie Gott. An der Stelle, an der der Musikant auf den Erdboden auftraf, wurde ein Kreuz errichtet. In vielen Gedichten wird der Glaube thematisiert, so in „Die heilige Flamme“, in dem er an den treu an den Heiland glaubenden Vater denkt, in der „Kartäusermönch“ beschreibt er die Mönche mit ihrem „Das Gott nahe bringende Schweigen / Das große, das erlösende Schweigen.“
Insgesamt ist jedoch zu sehen, dass Liliencron in seinen Gedichten nur selten den Glauben anspricht, wenn auch besonders intensiv in „Die Königin Vernunft“. Er thematisiert in „Mach es auch so“ (217ff) Menschen, die ihn aus ihrem Glauben heraus von seinem Lebensstil abbringen wollen. Er holt sich Rat bei einem alten Oheim, der ihm im Grunde rät, was oben von Vernunft/Klugheit gesagt wurde. Und diejenigen, die gute Ratschläge geben wollen, sollen vor die Tür gesetzt und mit einem „gesegneten Tritt“ verabschiedet werden. Allerdings ist „Selbstzucht“ der akzeptierte Rat – mit dem Liliencron allerdings im realen leben wohl seine Probleme hatte. Mit Tugenden hadert er auch in anderen Gedichten und beklagt in vielen das Sterben, den Tod als Ziel des Lebens, pessimistische Weltsicht bestimmt viele Gedichte. In „Unsterblichkeit?“ (400) deutet er nur an, dass angesichts des Todes sich „Bang eine überirdische Empfindung“ breitmache, ein Erinnern von anderen Sternen oder „Ein geistig Schauen von zukünftigen Fernen“. In dem Gedicht „Das taubstumme Kind“ greift er Volksglauben auf: „Das Mädchen starb. Mit reinem herzen / Sank oben sie an Gottes Brust.“ Die Mutter war voller Schmerzen. Als die Mutter starb, schritt sie auf Himmelswegen „Bei Gottes Thron am heiligen Ort, / Trat ihr das Töchterchen entgegen, / Und – `Mutter´ jauchzt ihr erstes Wort.“ (Vgl. „Ein Bauerngrab“) Was bedeutet in dem Gedicht: „Auf dem Kirchhofe“ das letzte Wort „Genesen“? Genesen – weil tot, Genesen, weil Gott lebendig macht?: „Auf allen Gräbern fror das Wort: „Gewesen. / Wie sturmestot die Särge schlummerten, / Auf allen Gräbern taute still: Genesen.“ Letztlich aber sind die Abschieds-Todesgedichte von todgeprägter Melancholie bestimmt. Spannend freilich ist, dass er sein Gedicht „Begräbnis“ (417) den folgenden Hinweis voranstellte: „Laudat alauda Deum, tirili tirilique canendo“: Die Lerche lobt Gott, indem sie tirili und tirili singt.
