Charles Baudelaire (1821-1867)

Charles Baudelaire (1821-1867)

Er hatte eine zerrissene Kindheit. Der Vater starb, als er fünf war, die Mutter heiratete einen strengen Mann. Diesem wünschte er während der Revolution den Tod. Als Kind/Jugendlicher war er schwer zu handhaben und depressiv. Er war Dandy, hatte verschiedenste Liebschaften, bekam Syphilis, verschleuderte einen großen Teil des Erbes, wurde unter Vormundschaft gestellt, er verarmte, wurde Sozialist, verfiel dem Alkohol und anderen Drogen. Am Ende seines Lebens war er gesundheitlich stark gezeichnet, bekam einen Schlaganfall, kam in ein Pflegeheim, wurde von seiner Mutter betreut. 1867 wurde die Totenmesse gelesen. Seine Gedichte beeinflussten viele Schriftsteller nach ihm. Nicht nur in Frankreich. Nicht einordnen kann ich mit Hilfe der mir bekannten Gedichte (dazu s. unten) den Satz: „Meine Erniedrigungen waren Gnadengeschenke von Gott.“ (Enid Starkie: Das Leben des Arthur Rimbaud, Matthes&Seitz Verlag 1990, 545). An Prosatexten wird deutlich, wie wichtig Baudelaire das Gebet ist. In seinen Tagebüchern wird manches in dieser Hinsicht zu finden sein: http://www.theologie-und-kirche.de/platz-baudelaire.pdf

Pessimismus, Zerstörung, Armut, Tristesse beherrschen seine Gedichte inhaltlich. Sprachlich und emotional zum Teil meisterhaft. Er war ein zwischen dem Guten und Bösen hin und her gerissener Mensch, der seine Sprache nutzte, um die negativen, abgründigen, dunklen Seiten des Menschen zu schildern, wahrnehmen zu lassen.

Die Texte werden zitiert nach: Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen. Les Fleurs du Mal. Vollständige zweisprachige Ausgabe. Deutsch von Friedhelm Kemp, dtv Klassik München 1986.

In dem grausamen Gedicht „L´Heautontimorouménos“ („Der Selbsthenker“ / LXXXIII) beschreibt sich das Ich als gewalttätig und: „Bin ja in Gottes Symphonie / selbst nur ein falscher Ton, der kreischt, / Und bin zerfahren und zerfleischt / Von nimmersatter Ironie.“ Diese wird im Folgenden brutal geschildert – er ist zum Lachen verdammt worden, er kann nicht mehr lächeln. Er kann zumindest in seinen Gedichten kaum mehr das Schöne als schön sehen „all mein Blut ist dieses schwarze Gift“. Vielfach wird das Schöne konterkariert: Sonnenauf- und Untergänge sind dann das Blut, Menschen, vor allem Frauen sind im Blick – und die Schönheit wird ins Negative gewendet. Die Herkunft der Schönheit wird offen gelassen: kommt sie von Gott oder dem Satan? Die Herkunft ist gleichgültig, so lange sie leichter ertragen lässt („Hymnus auf die Schönheit“ / XXI)

Nachdem er in dem Gedicht „Das Aas“ die Fäulnis darstellt, sagt er der Geliebten: So werde auch sie einmal sein, wenn sie die letzten Sakramente bekommen hat. Aber, so können die folgenden Zeilen interpretiert werden: die Seele wird nicht in den Himmel kommen, sondern der göttliche Teil seiner (!) Liebe wird bewahrt werden. Der Tod ist „das Tor zum unbekannten Paradies“ – für Arme. Man weiß nicht, wohin es führt, so in den Schlussversen der Reise, auf jeden Fall ist es die neue Spur zum Unbekannten. Die Gedichte sind auch sonst gefüllt mit Gewalttätigkeiten gegen Frauen, so besonders die Mordphantasie in „An eine Madonna“ (LVII), in dem die (religiöse) Schönheit (Madonna), die bewunderte Reinheit, ermordet wird. Gold wird in Eisen verwandelt, das Paradies zur Hölle gemacht, „auf den Gestaden des Himmels errichte ich riesige Sarkophage“ (Alchimie des Schmerzes“ / LXXXI). Gleichzeitig beschreibt er in einem einfühlsamen Gedicht das Lebensleiden alter Frauen „Die alten Weiblein“ / XCI). Es endet: „Ruinen! Ihr die Meinen! O verwandte Hirne! Jeden Abend sage ich feierlich euch lebewohl! Wo werdet ihr morgen sein, ihr achtzigjährigen Even, auf denen schrecklich Gottes Pranke lastet?“ Gottes Pranke? Im vorangehenden Gedicht wird geschildert, wie sie unter Menschen zu leiden haben. Die Anthropodizee wird zur Theodizee umgemodelt. In „Die Zerstörung“ (CIX) ist es der Dämon, der ihn führt „dem Auge Gottes fern“. Aufgrund eines gelesenen Reiseberichtes, in dem davon geschrieben wurde, dass ein Gehängter gesehen wurde, beschreibt er diesen drastisch und endet mit einem Gebet: „Ah! Herr! verleih mir Kraft und Mut, mein Herz und meinen Körper ohne Ekel zu betrachten.“ (Eine Reise nach Cythera / CXVI) In den Gedichten scheint es ihm nicht zu gelingen. Auch nicht die Körper von Frauen, weil er immer wieder in die Negation eintaucht.

Die Würde des Menschen besteht im – das sagt er, indem er Gott (Seigneur) anspricht – Weinen durch die Zeiten hindurch, das dann am „Gestade deiner Ewigkeit erstirbt“ (Die Leuchtfeuer/VI.). Religiöse Sprache blitzt hier und da auf, so in „De profundis clamavi“ (XXX): „Dein Erbarmen ruf ich an… aus der Tiefe des dunklen Abgrunds, in den mein Herz gestürzt ist“ – aber dieser Ruf gilt der „einzig Geliebten“. Geschildert wird danach das Grauen der Welt. (Vgl. auch die Gedichte „Die lebendige Fackel“ / XLVIII) Aber auch in „Stellvertretung“ (XLIV): Dieses Gedicht schrieb er einer Frau, da er wohl Geld benötigte. Er schrieb vom Engel voll Frohsinn, Güte, Gesundheit, Schönheit, Glück und fragt jedes Mal, ob diese(r) Engel auch das Negative kennt. Diesem Gedicht folgt, wie der Herausgeber anmerkt, „An jene, die allzu fröhlich ist“ (Verurteilte Gedichte V), in der eben auf der Textoberfläche (soll anders gemeint gewesen sein) auch das erkennbar wird: Der Wunsch der Zerstörung der Frohen, Gütigen – kurz des Schönen, Reinen. Die Frau, die ihm helfen soll, ist verbal zu zerstören. Nachdem diese Frau seinem „Werben“ im realen Leben nachgab, warf er ihr vor, ihm keine Inspirationsquelle mehr zu sein.

In dem Teil der Gedichte „Aufruhr“ heißt es in „Abel und Kain“ (CXIX): „Kains Stamm, zum Himmel steige und auf die Erde schleudre Gott!“ Diesem Aufruf folgt eine „Satanslitanei“ (CXX) die vor dem Satans-Gebet darin endet: „Wahlvater jener, die in seinem schwarzen Zorn Gottvater aus dem irdischen Paradies verjagt hat“ – er ist also, um das weiter zu führen, der Wahlvater derer, die Jesus sammeln wollte, damit sie Gott als wahren Vater erkennen.

Die Rolle, die Jesus spielt, ist ambivalent. In „Züchtigung der Hoffahrt“ (XVI) schreibt er von einem Theologen, der in einer Uminterpretation durch Baudelaire meine, Jesus wäre eine Spottgeburt, wenn er all das sagen würde, was zur Schande Jesu zu sagen wäre. Danach wurde er wahnsinnig. Nichts destotrotz trennt er in „Verleugnung des Heiligen Petrus“ (CXVIII) Jesus von Gott. Während Christus wie die Menschen durch Menschen leiden, sitzt Gott wie ein Tyrann beim Schmausen. Auch hier wieder: Die Anthropodizee wird in die Theodizee überführt. Ein leidender Jesus ist nicht sein Ding, er ist naiv, Opfer – es ist gegen die menschliche Natur. Aber: In der „Gewissensprüfung um Mitternacht“ heißt es: „Wir haben Jesus gelästert, der Götter unbestreitbarsten. Wie ein Schmarotzer an der Tafel eines widerlichen Krösus haben wir der Gemeinheit… zu Gefallen das, was wir lieben, mit Schmähungen und, was uns ekelt, mit Liebkosungen bedacht“. In „Der Empörer“ weist ein Engel den Menschen auf das hin, was wirklich wichtig ist. Doch „der Verdammte hat nur eine Antwort stets: `Ich will nicht!´“

In einem Entwurf zum Vorwort schreibt er: „Es ist schwieriger, Gott zu lieben als an ihn zu glauben. Hingegen ist es für Leute dieses Jahrhunderts schwieriger, an den Teufel zu glauben als ihn zu lieben. Alle Welt dient ihm, und keiner glaubt an ihn.“ Baudelaire kommt nicht zu Gott – da er alles Gute und Schöne, das Reine ablehnt, zerstören möchte. Wie das irdische, so das Himmlische. Kommt er nicht zu Gott? In dem Prosagedicht („Kleine Gedichte in Prosa XLVIII), das posthum herausgegeben wurde, „Überall außerhalb der Welt“ macht er seiner Seele Vorschläge, wo er überall hingehen könnte. Aber: „Meine Seele reagiert nicht.“… „Meine Seele bleibt stumm.“… „Kein Wort. – ist meine Seele tot?“… Meine Seele explodiert und schreit: „Überall! Irgendwo! Solange es nicht von dieser Welt ist!“

Was meinte Verlaine, wenn er schreibt in dem Gedicht an Baudelaire (1892: „Geheime Gebete“): „Du stürztest, betetest wie ich, wie die Beseelten, / die hungernd, dürstend. Lüsternd ihren Weg verfehlten, / bis sie der Hoffnung Schönheiten zum Kreuzweg stießen. // Zum wahren Kreuzweg, den sie zweifelnd nie verließen: Im Hin und Her!“ (Ü.: Däubler)