Arthur Rimbaud (1854-1891) (In Bearbeitung)
Der Vater verließ die Familie, ließ die Mutter mit vier Kindern allein. Sie versuchte ihn religiös zu erziehen, aber er mochte es – zumindest in Erinnerung (s.u.) – nicht. Denn zwischen Kindheit und dem Gedicht wurde er von kirchenkritischen und antibürgerlichen Menschen, unter anderem Baudelaire beeinflusst. Er riss als 16jähriger von zu Hause aus, ging nach Paris, wurde festgenommen, zurück gebracht, aber wenig später lief er wieder davon… Mit Verlaine hatte er wohl ab 1871 sexuelle Kontakte – und verletzte Verlaine mit dem Messer an der Hand, gewisser Weise, weil er Spaß daran hatte? 1873 unterzog er sein Leben einer kritischen Prüfung – auch seinen Drogenkonsum. Eines seiner letzten Gedichte war „Adieu“ 1873 – nach 1874 textete er wohl nicht mehr. Er reiste viel herum, war unter anderem Söldner, wurde Händler – auch Waffen- und wohl Sklavenhändler – in Ostafrika, war dort gleichermaßen von Afrikanern wohl hoch angesehen, lebte mit Afrikanerinnen zusammen, fuhr wegen gesundheitlicher Probleme nach Hause. Verlaine kümmerte sich um Veröffentlichung weiterer Texte. (Zu Rimbaud und Verlaine s. bei Verlaine.) Er, der unstetig Herumgetriebene, ihm wurde ein Bein amputiert und war insgesamt gelähmt. Er, der aufbrach, um das Leben auszukosten, um über allen zu stehen, fiel in Verzweiflung. Er, der viel Geld haben wollte, um sorgenfrei leben zu können, war abhängig von seiner Schwester. Der, der „die Verwirrung meines Geistes als etwas Heiliges zu empfinden“ begann, bemerkte schon in den letzten Worten als Dichter: „Es ging nicht ohne allerlei poetischen Trödelkram ab bei meiner Schwarzkunst des Wortes.“ Er wurde von seiner Schwester gepflegt. Er, der mit Gott gerungen hatte und sich gegen Gott entschied, weil er selbst groß sein wollte, lebte seine letzten Krankheitstage aus der Ruhe Gottes. Auch wenn das die Interpretation der frühen Gedichte nicht bestimmen kann, so ist das für die Biographie von Rimbaud doch wichtig.
(Die Textgrundlage für die folgende Darstellung: Arthur Rimbaud: Sämtliche Dichtungen. Zweisprachige Ausgabe, Hg. v. und übertragen von Walther Küchler, Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2010. Zu biographischen Angaben s. unter anderem: Enid Starkie; Das Leben des Arthur Rimbaud. Neu hg. v. von Susanne Wäckerle, Matthes&Seitz, München 1990. )
In „Sonne und Fleisch“ formulierte er einen „Hymnus“ auf die antik-heidnische Zeit: Er trauerte der sexuell freizügigen antiken Götter- und Göttinnenzeit nach – so wie er sie sich ausmalte. Der Mensch wurde dann von dem anderen Gott an das Kreuz zu sich geheftet, die natürliche burschikose Zeit ging verloren und der neue christliche Glaube entfremdete den Menschen von seinem nackten Glück. Gott wird in „Das Böse“ als der dargestellt, der sich über Reichtum freut, dann angesichts des Hosianna-Liedes einschläft und erst wieder aufwacht, wenn alte erschreckte Frauen eine Münze in den Kasten werfen. Auch in seinem Gedicht: „Der siebenjährige Dichter“ ist er nicht gut auf Gott zu sprechen. Die Wintersonntagnachmitage waren ihn eine besondere Plage, weil er in einer „grüngebundenen Bibel“ lesen musste. „Denn Gott, den liebte er nicht. / Dafür die Arbeiter, wenn sie mit schwarzem Gesicht“ nach der Arbeit diskutieren. In der Erinnerung aber dominiert schon die Gewalt, „alles Dunkle zieht ihn an“. In seinem Gebet „Die Raben“ bittet er Gott, die Totenvögel zu senden, die sich an den Toten laben sollen, statt an der Brut der Amseln. In diesem Zusammenhang ist an den deutsch-französischen Krieg 1870 zu denken.
Menschenverachtung wie Gottesverachtung hängen auch hier eng zusammen. Ohne Gnade werden Menschen in ihrem Alltag geschildert – auch in ihrem Glaubensalltag („Die Armen in der Kirche“, „Die erste Kommunion“) auch wenn Menschen ihm nicht gaben, was er wollte, ging er verbal nicht freundlich mit ihnen um („Die barmherzigen Schwestern“). Das Gedicht: „Das gestohlene Herz“ endet: „Was tun, o Herz, das man mir stahl?“ Im „Lied vom höchsten Turme“ wird manches deutlich – vor allem der „ungute Durst“ wird auch in anderen Gedichten erwähnt. Der Alkohol prägte Teile seines Lebens. Um es und sich ertragen zu können?
Die Gedichte wurden von einem sehr von sich eingenommenen Jugendlichen geschrieben. Sie zeigen eine erstaunlich stark reflektierte Lebenswelt und sprachliche Umsetzung des Erfahrenen. Endlos lange Texte zum Teil. Ihm dienen sie wohl dazu, sich in seiner Lebenswelt zurechtzufinden, emotional, aber immer wieder durch die Ratio des Widerspruchs unterbrochen. Und so kann er auch Gott nicht positiv erwähnen („Michel und Christine“, „Schande“).
In den Prosagedichten und anderen Texten wird auch einiges von dem Gesagten vertieft (z.B. „Eine Zeit in der Hölle“). In „Böses Blut“, in dem die Geschichte Frankreichs/Europas dargestellt wird, schreibt er. „Das heidnische Blut kehrt wieder! Der Geist ist nah; warum hilft Christus mir nicht und gibt meiner Seele Adel und Freiheit? Ach, die Zeit des Evangeliums ist vorbei! Das Evangelium! Das Evangelium! Ich warte auf Gott mit leckerhafter Begierde (Fressbegierde). Ich bin von minderwertiger Rasse, von aller Ewigkeit her.“ Die Zeit des Evangeliums ist in Frankreich seit der grausamen Revolution im Kontext der Aufklärung vorbei. Zumindest glaubten einige das, unter ihnen eben auch Rimbaud. Weil die Zeit in Rimbaud vorbei war? Der Text endet mit Blick auf Gott: göttliche Liebe – ich will lieben; „Gott ist meine Stärke und ich lobe Gott.“, „Dem Überdruß gehört meine Liebe nicht länger. Die Raserei, die Ausschweifungen, der Wahnsinn – ich weiß, wie hoch sie uns heben und wie tief sie uns stürzen können, – meine ganze Last habe ich abgelegt.“ Aber er erkennt sich in seinem Versagen: „Ich bin zu liderlich, zu schwach.“ Und so hin und her: „Wenn Gott mir nur die himmlische, ätherische Ruhe verliehe, das Gebet, – wie die alten Heiligen. – Die Heiligen, das waren Starke! Die Eremiten, das waren Künstler“ – und es folgt sofort die Negation: „wie wir keine mehr brauchen können!“ Oder: „O Reinheit! Reinheit! / Diese Minute des Erwachens gab mir die Vision der Reinheit! – Durch den Geist geht man zu Gott!“ Und es folgt: „Herzzerreißendes Unglück!“ In dem Text: „Am Morgen“, schreibt er, dass er in seiner Hölle war: „Es war wirklich die Hölle; die alte Hölle, deren Pforten der Menschen Sohn geöffnet hat.“ – Hat der Menschensohn, Christus, die Pforte der Hölle geöffnet, damit er eingehen konnte oder damit er herauskommen konnte?(*)
Rimbaud hat, wie oben schon geschrieben, am Ende seines kurzen Wirkens Jugendgedichte verbrannt, bezeichnete sie als „Spülwasser“ bzw. lehnte sie drastischer ab. Wir Nachgeborenen können auch Verlaine dankbar sein, dass er sich für Rimbaud einsetzte, da wir so in das menschliche Ringen um Hölle und Gott Einblick bekommen können. Verlaine betete übrigens für Rimbaud: „Gott der Demütigen, rette dieses Kind des Zorns.“ (Starkie) Am Ende seines Lebens fand er Gottes Frieden. Leider haben wir aus dieser Zeit keine Gedichte. Wie auch seit der Jugendzeit bis zu seinem Sterben.
Eine Anmerkung: Man vergleiche das Gedicht von Rimbaud: Das trunkene Schiff / Le Bateau ivre mit dem Gedicht von Lamartine: Die Einsamkeit / La Solitude. Das hier zu leisten, würde diese Darlegung sprengen.
(*) Spannend ist, dass Claudel die Gedichte von Rimbaud verschlungen hat – in seiner vorchristlichen Zeit. Diese Texte haben ihn aus dem Materialismus der Zeit herausgehoben und seine Bekehrung mit vorbereitet, wie er selbst sieht. (Louis Chaigne: Paul Claudel. Leben und Werk, F.H. Kehrle Verlag Heidelberg 1963,47)