Es geht nicht um Theologie, es geht um Menschen
Ich sage erst einmal nicht, worum es geht. Bitte ankreuzen, was zustimmend zur Kenntnis genommen wird:
- Gegen das Alte Testament
- Gott wird im Alten Testament negativ dargelegt, es ist darum nicht haltbar
- Gott ist kein Richter – er ist einfühlsam Liebender
- Gegen Jesu Sterben als ein Sterben für uns
- Gegen das Kreuz als unangenehmes Symbol und ein für Gott unpassendes
- Das Neue Testament gilt nicht als Ganzes, es ist zu „reinigen“
- Das Wort „Gott“ zählt, die Konkretion „Jesus Christus“ führt nur zu Missverständnissen
- Die Bibel ist Wort Gottes nur in der gereinigten Form
- Der jeweilige Mensch und die Gemeinschaft bestimmen das Verhalten, nicht ein Gebot Gottes
- Es geht um die Erziehung der Menschen zum Guten
- Ziel ist: Der Mensch errichtet das Reich Gottes
- Gottesfurcht ist nicht mehr akzeptabel, sondern kindliches Gottvertrauen
- Jesus war kein Opfer, er war einer, der mutig und aufopfernd gehandelt hat
- Menschen gestalten Kirche im Einklang mit dem, was man zur jeweiligen Zeit akzeptiert
- Nicht Gott regiert, der Mensch muss sich vor Gott nicht verantworten
- Gottesdienst ist gesellschaftliches Engagement
- Traditionell Glaubende gehören nicht zur Jugend, sie haben die zukunftsweisenden Zeichen der Zeit nicht erkannt
- Es geht nicht um Theologie und Dogmatismus, es geht um Menschen
Hermeneutisch fortschrittlich, das heißt: Die alten Texte sind mit Blick auf die Gegenwart auszulegen:
- Glauben – zentral ist das gute Gefühl
- Man fühlt das Göttliche in sich
- Das Evangelium / die Frohbotschaft muss schlicht sein
- Auferstehung bedeutet Auferstehung des Menschen/Volkes
- Jesu gewaltsamer Tod wird im Sterben der Menschen der Gegenwart bedeutsam
- Abendmahl ist eine Gemeinschaftsfeier
- Abendmahl ein Einswerden mit der Natur
- Das Evangelium ist der modernen Weltanschauung unterzuordnen
Wer nicht mitmacht, der stört, und er ist zu isolieren, er ist parteilich, er spaltet, er vertritt die Mächte der Finsternis.
Dann begrüßte man Hitler als Heilsbringer und seine Bewegung, weil diese es endlich ermöglichten, die konservativen Christen, die das Gegenteil von dem vertreten, was oben geschrieben wurde, in die Schranken zu weisen.
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Richtig erkannt: Es geht um – die so genannten Deutschen Christen. Ansätze dazu gab es nicht erst in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern schon einige Jahrzehnte vorher. Man versuchte zweierlei: Einmal den christlichen Glauben rational zu deuten, somit alles, was dem Menschen nicht passte, auszusortieren (Gottes Gericht, Zorn, Jesu Sterben für den Menschen usw.) und damit missionarisch zu wirken, das heißt: Wenn man alles, was den Menschen rational nicht passt, aussortiert hat, dann kann man seine Zeitgenossen besser erreichen. Aber das genügt natürlich nicht. Man hat das Ganze dann auch mit den Mitteln emotionalisiert, die die Zeit geboten hat: Ein Feindbild stärkt immer die Gruppe – und der Feind, den man sich auserkoren hat, waren Juden und die konservativen Christen, zudem hat man alles gefühlig gemacht durch ein diffuses germanisches Fühlen von Natur, der Gemeinschaft des Volkes usw. Dieses diffuse Gefühl ist dann Gott, Gottes Geist – was auch immer.
In dieser Darstellung habe ich im Zusammenhang der „Deutschen Christen“ bislang nicht den Schwerpunkt gelegt, der sonst immer gelegt wird, auf Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus und der gesamten aus dieser Perspektive gebildeten Weltanschauung, die mit Begriffen wie Blut und Boden, Artfremd, Undeutsches Wesen usw. verbunden wurde. Das habe ich darum nicht gemacht, weil die Deutschen Christen nicht nur diesen Menschen verachtenden Strömungen zuzuordnen sind, sondern eben auch dem „aufgeklärten Rationalismus“: Man lehnte ab, was man rational am Glauben nicht akzeptierte.
Man lehnte viele der oben genannten theologischen Begriffe ab, scheute sich aber nicht, sie dennoch uminterpretierend anzuwenden. Das heißt: die traditionellen christlichen Begriffe wurden aus dieser modernen weltanschaulichen Perspektive umgedeutet. Jesus ist die nordische Heldengestalt, Liebe heißt: Liebe zur eigenen Rasse, Gottes Gesetz bedeutet: Rasse rein halten, Gottes Zorn gilt denen, die rassistische Bewegung ablehnen, Gottes Geist ist Geist des Volkes nicht christliches Weltbürgertum, man will positives Christentum, also eines, das von der germanisch-religiösen Bewegung bestimmt wird, das entsprechend auch Gott aus rassischer, germanisch religiöser Perspektive beurteilt. Von daher: Was bedeutet dann, wenn einer sagt: „die evangelische Christenheit (solle) das Werk mit fröhlichem Gottvertrauen beginne(n)“? „die evangelische Christenheit, die der rassischen, nationalistischen, antisemitischen Bewegung untergeordnet ist, (solle) das Werk, dass Hitler und co. ihr befehlen, gehorsam und fröhlich umsetzen.“ Und all das garniert mit den Begriffen: Glaube, Freiheit, Gerechtigkeit, Wahrheit, Friede – und immer ist das Gegenteil gemeint, denn: was Glaube, Freiheit, Gerechtigkeit, Wahrheit, Friede sind, bestimmt die rassistisch-nationalistische Bewegung, bestimmen nicht die Christen, die die Bibel als Grundlage des Glaubens und Lebens nehmen.
Es wurden vielfach traditionelle christliche Begriffe verwendet aber neu interpretiert. Und das erschwerte manchen, die Machenschaften zu durchschauen. Eine präzise Terminologie wurde auch aus taktischen Gründen abgelehnt. Denn auf diese Weise konnte man sich als konfessionell unparteiisch und sich über den theologischen Streitfragen stehend darstellen. Es geht nicht um Theologie – es geht um den Menschen. Und das kommt bei denen, die nicht gerne denken, sondern emotional agieren, gut an.
Wer nicht präzise denkt, ist leicht verführbar. Eine Entgegensetzung von Theologie und Handeln für den Menschen ist rhetorisch einzuordnen. Theologie wird diskreditiert, um seine eigene Weltanschauung an die Stelle der Theologie zu setzen. Ebenso musste die Bibel diskreditiert werden, damit man sie durch „moderne“ Weltanschauungen ersetzen konnte. Zudem musste man die traditionell Glaubenden als veraltet usw. diskreditieren, um die Menschen für die weltanschauliche Verführung vereinnahmen zu können. Wer möchte nicht zu den Guten, den Zukunftsmenschen, der Jugend dazugehören? Auch konservative Christen ließen sich verführen und versuchten, die Ideologie irgendwie mit dem Glauben zu vermischen. Man wollte modern sein, wollte die Menschen mit der neuen weltanschaulichen Sprache zum Glauben missionieren, schwieg lieber, statt unangenehm aufzufallen. Und so gab es dann eine Unmenge von Schattierungen – vor allem auch geprägt vom politischen Lavieren, das heißt, man mochte gesellschaftspolitisch nicht ins Abseits gestellt werden.
Wenn man aus der Gegenwart damalige Texte der Deutschen Christen liest, dann wundert man sich: Das konnte Menschen verführen? Dieses durchsichtige Ausliefern der Kirche und des Glaubens an die nationalsozialistische Weltanschauung? Das fragt man sich wahrscheinlich immer „danach“. Denn die jeweiligen Zeiten lassen sich jeweils durch bestimmte Mechanismen verblenden, wenn die Basis nicht stimmt.
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Anzumerken sei noch: Den strengen atheistischen bzw. heidnischen Nationalsozialisten war das Christentum eh unwichtig, irrelevant. Es war Manövriermasse zur Durchsetzung der Ideologie. Man musste sich widerwillig mit Christen beschäftigen, weil sie eine nicht unwichtige Stellung im Volk hatten. Man musste die Christen überwinden, dazu gab es dann unterschiedliche Wege, die hier nicht weiter dargelegt werden sollen. Man hat auf allen möglichen Ebenen versucht, dazu beizutragen, dass der christliche Glaube ausstirbt. Das ist aber ebenso ein anderes Thema, weil das nicht nur das Anliegen der nationalen Sozialisten, sondern auch der anderen atheistischen Sozialisten, der internationalen Sozialisten, den Kommunisten, war – wie auch anderer ideologischer Kräfte. Der Versuch, den christlichen Glauben zu beseitigen, muss also in weitere Dimensionen eingeordnet werden. Die Ideologien bekämpfen einander – aber in der Ablehnung des Christentums sind sie sich letztlich einig. In der Gegenwart ist diese Aussage freilich zu modifizieren.
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Ein Liederbuch: Christliche Kampflieder der Deutschen (Hg. v. Ernst Sommer; 1933)
Deutsche Christen werden die Christen genannt, die der Bewegung des Nationalsozialismus offen gegenüberstanden, sie unterstützt haben. Aber auch die Deutschen Christen waren keine Einheitsgruppe. Es gab unterschiedlichste Schattierungen, die auch in den Jahren nach 1933 immer wieder variierte.
Das hatte unterschiedliche Gründe, so zum Beispiel hatte sich jeder das unter der neuen christlich-völkischen, christlich-nationalsozialistischen Bewegung vorgestellt, was ihm lieb war. Manche dachten: endlich mal christlicher Glaube modern, logisch, aufgeklärt, damit zusammen hängt: endlich die Kirche gelöst vom Judentum, dazu gehört: der Staat erkennt uns an als wichtige Kraft in der Volksgemeinschaft… Man hat endlich ein „Glaubens“-Ziel: nicht der Einsatz für Jesus Christus, sondern: für die Volksgemeinschaft…
Als manche dann merkten, dass nicht ihre Träume erfüllt wurden, nahmen sie auf unterschiedliche Art Abstand. Auf säkularer Ebene vergleichbar zum Beispiel mit dem Schriftsteller Gottfried Benn http://gedichte.wolfgangfenske.de/gottfried-benn-1886-1956/. Er dachte sich den Nationalsozialismus anders, als er dann kam. Und so wich die anfängliche Begeisterung einer Ablehnung.
Es gab also unterschiedliche Varianten. Wenn wir von deutschen Christen allgemein hören und lesen, dann werden Extreme zitiert. Tischgebete an Hitler, Abendgebete mit entsprechendem Duktus. Aber sie waren nicht alle so extrem.
Mir liegt ein Liederheft vor, dessen Herausgeber sich als Teil der nationalsozialistischen Bewegung sieht: Christliche Kampflieder der Deutschen, herausgegeben von Ernst Sommer – allerdings aus dem Jahr 1933. Also aus der Anfangszeit, als noch die unterschiedlichsten Richtungen miteinander rangen.
(Ich hatte den Herausgeber den Deutschen Christen zugeordnet. An dieser Stelle ist nach der Lektüre von Cornelia Kück: Kirchenlied im Nationalsozialismus, Leipzig 2003 eine sehr wichtige Korrektur anzubringen. Vor allem unter Berücksichtigung des Abschnitts „Christliche Kampflieder der Deutschen“ (Kapitel 5.6.1). Die Autorin hat mich freundlicherweise darauf hingewiesen, dass Sommer nicht den Deutschen Christen zuzuordnen ist, sondern der „lutherisch-liturgischen Erneuerungsbewegung“. Ihre Ausarbeitung zeigt, wie sehr sich Teile der lutherischen Kirche mit dem Nationalsozialismus verstrickt haben, wie schwer es damals war und Laien heute ist, eindeutige Grenzen zwischen den unterschiedlichen Auslieferungen des christlichen Glaubens an den Nationalsozialismus zu erkennen. Ich habe wieder einmal neu sehen gelernt, dass die polarisierende Zeichnung „Deutsche Christen – Bekennende Kirche“ zu grob ist. Die vielen Schattierungen innerhalb dieser Extreme sind zu berücksichtigen. Vielen Dank an Frau Cornelia Brinkmann (geb. Kück), dass sie mich darauf hingewiesen hat.)
Dieses Liederbuch ist schon optisch auffällig dadurch, dass es für die Texte keine Verfasserangaben gibt. Die Texte sind aber im Wesentlichen aus christlicher Tradition entnommen worden, vor allem aus der Zeit der Reformation, in der die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche dominant war und dann aus der Zeit des 30 jährigen Krieges. Warum keine Namen genannt werden, erschließe ich mir aus dem Vorwort. Das Volk ist eine Einheit, die „Schöpfer dieser Dichtungen“ waren „christlich-evangelisch, politisch-kriegerisch und volk-gebunden“. „Ein Zeugnis dieses Geistes, der heute in uns Nationalsozialisten wieder lebendig geworden ist, soll dieses Heft sein.“ Das heißt: Nicht das Individuum zählt, sondern der Geist, der die Generation der christlichen Nationalsozialisten mit dem Geist der christlichen Dichter des Volkes vereint. Nicht der Geist Gottes steht im Zentrum, aber das dürften die wenigsten damals wahrgenommen haben. Und so ist auch nicht der Herausgeber, der allerdings genannt wird, derjenige, der die Lieder gesammelt hat, sondern „Die Junge Mannschaft Deutschlands… hat sich dieses Liederbuch geschaffen, um auch im Liede ihrer Haltung Ausdruck zu geben, die fromm und kriegerisch ist wie die der Landsknechte im Mittelalter.“ Was „kriegerisch“ und „fromm“ bedeutet, wird auch sofort erläutert: „Kriegerisch sein heißt: um den politischen Auftrag der deutschen Nation, die Aufgabe des Reiches, wissen und ihn bekennen; und fromm sein heißt: sich für ihn im Gehorsam gegen den Befehl Gottes einsetzen.“
Kurz zum Herausgeber: Ernst Sommer stammt aus der (Finkensteiner) Singbewegung und wollte mit den Liedern die dem Nationalsozialismus zugewandten Jugendlichen missionieren – und noch weiter: den gesamten Nationalsozialismus wollte er zu den protestantischen Wurzeln des 16. und 17. Jahrhunderts zurückführen: „Aber auch unsere Lieder sind nicht minder vollendete Zeugnisse dieses selben Geistes, der der heroischen Größe unserer gewaltigen Zeit so nahe verwandt ist und immer wieder in der Geschichte des Reiches durchbricht und die Welt erschüttert.“ So ist das Liederheft „ein Dank an die Kameraden, die in den vergangenen Jahren den schweren Kampf um das Reich und das Evangelium mitgekämpft haben“ – Kampf um das Reich Gottes? Das „Dritte Reich“? Das Wort Reich hat beide Konnotationen.
Hier mag nun auch die oben genannte Formulierung auffallen: „gegen den Befehl Gottes“. Das hieß damals etwas anderes als heute. Das hieß „in Aufnahme des Befehls Gottes“. Dennoch möchte ich das im heutigen Sinn aufgreifen, denn es ist ein erschreckendes Liederheft insofern, dass es Gott gegen sich selbst anruft. Das sei ausgeführt.
In diesen Liedern wird sehr intensiv ein Feind in den Blick gerückt, unter dem die Christen leiden. Wer der Feind in der Reformationszeit und dem 30 jährigen Krieg war, das ist klar. Doch wer war dieser Feind in der Zeit von 1933? In Liedern der Bekennenden Kirche ist das auch klar: Hitler und seine Steigbügelhalter, unter anderem die Deutschen Christen sind dieser Feind. Die Deutschen Christen könnten den Feind in den säkular/atheistischen Gruppen der Nationalsozialisten gesehen haben oder auch in den Vertretern der Deutschen Glaubensbewegung, oder aber: jeder konnte als Feind den einlesen, den er wollte. Kampflieder benötigen einen Feind. Letztlich aber wunderte man sich in einer Rezension auch darüber: Diese alten Lieder „sind Lieder einer kämpfenden und leidenden Kirche, die um ihre unlösliche Verbundenheit mit ihrem Volk gerade dann weiß, wenn sie die Reinheit ihrer Verkündigung unerbittlich gegen Menschenlehre und in Verfolgung wahrt. Wir haben heute die Kirche nicht, die sich dieses Heft ohne weiteres zu eigen machen könnte.“ https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00317891
Das Lied vermutlich aus der Reformationszeit (Seite 15): „Wacht auf, ihr werten Deutschen, es ist euch wahrlich not!“ spricht aus, dass Gott Hunger, Krieg und Tod bringen wird, wenn die Deutschen nicht umkehren. „Gott hat euch hoch begabet / vor vielen Völkern schon, / daß ihr bei euch rein habet / sein Evangelion“, so lautet es in der zweiten Strophe. Die dritte Strophe spricht aus, was geschieht, wenn sich die Deutschen nicht dem Evangelium zuwenden, und Buße tun: „mit Krieg und großen Streichen (sc. Schlägen), / mit Krankheit, Seuch und Tod, / mit Hunger und dergleichen / uns bringen in Jammer und Not.“ Die vierte und letzte Strophe, die in dem Heft zitiert wird, fordert nun dazu auf, Buße zu tun, an Gottes Sohn zu glauben, böse Taten zu unterlassen. Aus der Sicht der Nachgeborenen haben gerade die Christen, die den Nationalsozialismus förderten, sich gegen die Lehre Jesu Christi verhalten, haben das Böse gefördert – also sichtbar am vernichtenden Krieg, der dann über Deutschland gekommen ist, so die logische Schlussfolgerung des Liedes. Und das ist erstaunlich und gleichzeitig erschreckend: Wie schwer ist es für Menschen in der geschichtlichen Situation zu erkennen, wer falsche Lehren verbreitet. Ich denke, dass das Vorwort den Schlüssel, wie gesehen, dazu bietet, wenn es den Geist Gottes durch einen anderen Geist ersetzt. Aber solche Feinheiten können viele nicht durchschauen. Sie bleiben kleben an den frommen Worten, merken aber nicht, weil sie in der Zeit stehen, dass diese frommen Worte verführen, merken nicht, wes Geistes Kind sie sind.
Es sei auch auf das Lied „Ich bin ein Soldat wohlgemut“ eingegangen. Es ist von Hartmann Schenck aus dem 17. Jahrhundert. Vier Strophen werden zitiert, vier Strophen werden ausgelassen. Welche Strophen werden ausgelassen? Unter anderem Strophe 3: „Ach, großer Schutzherr Israel, / Du Vater aller Güte, / Ach, süßester Immanuel, / Mich doch auch heut´ behüte“. Dieses Liederbuch beinhaltet noch alttestamentliche Begriffe, aber das wäre doch für die Verfasser zu weit gegangen, dass Gott als „Schutzherr“ von Israel bezeichnet wird. Der Soldat von Schenck bittet Gott: „Dass ich betrübe nicht die Leut, / Noch ihnen mög zufügen / Viel Herzeleid, / Das mit der Zeit / Mir bringet großes Grämen, / Darob ich mich / Ganz schimpfiglich / Möcht´ dermaleinst schämen“. Schenck will mit dem Lied Soldaten ethisch erziehen. Das geht dann dem Herausgeber Sommer doch zu weit. Sein Ziel ist es, man solle als Soldat tapfer sein, auch wenn andere Angst haben und vielleicht sogar desertieren, solle man heldenhaft kämpfen – darum wird eine entsprechende Auswahl getroffen. Von daher versteht es sich auch, dass die Strophe 7 weggelassen wird, die das Schlimme ausspricht – und darum nicht sehr Kampf motivierend ist: „Sollt aber wo gefangen ich, / Gequetscht, verwundet werden, / Bekommen irgends einen Stich / Und fallen zu der Erden“. was deutlich wird: Mit diesen Kampfliedern wird 1933 schon der Krieg vorbereitet.
Andererseits haben wir einen prophetischen Blick in der Aufnahme eines Liedes von Johann Rist: „Sichers Deutschland, schläfst du noch? / Ach wie nah ist dir dein Joch, / das dich hart wird drücken / und dein Antlitz dürr und bleich / jämmerlich ersticken. / Wach auf, du deutsches Reich! / Wach auf, du deutsches Reich!“ Weg gelassen wurden zwei Strophen, die es auch in sich haben: „Tolles Teutschland deiner Ruh´ / Eilet Krieg und Aufruhr zu … Alle Kreaturen gleich / Kommen dich zu straffen… Volles Teutschland große Noht / Wird dich martern auff den Tod…“. Leider habe ich über den Herausgeber kaum etwas in Erfahrung gebracht. Wie hat er die weiteren Jahre bis 1945 beurteilt?
(Nachtrag: Zu manchen dieser Themen siehe die differenzierenden Ausführungen in dem genannten Werk von Frau Kück/Brinkmann).