Christoph Wirsung (1500-1571)
Übertrug aus dem Italienischen ein Sonett des Reformators Bernhard von Ochino (1487-1564) – das damit das erste deutschsprachige Sonett war und massiv die eigene Zeit kritisierte. Ich gebe es mit eigenen Worten wieder (Originaltext: Löffler/Willer [Hgs]: Geistliche Lyrik, 70):
O Zeit toll nach aller Torheit, blind, bestialisch, hineingesunken in den finsteren Abgrund, begraben im Gestank und Kot der Gottlosigkeit. So ist das, wenn man die reinen Zisternen der Wahrheit wegen ausgetrockneter Zisternen verlässt, die schwarzen Nebel der Lüge liebt, weil man das helle Licht der Wahrheit nicht duldet.
Philipp Nicolai (1556-1608)
Von diesem Pfarrer und Erzieher, dem Dichter der Mystik nahestehender Texte, finden wir neben „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ (EG 147), das von den Jungfrauen handelt, die dem Bräutigam entgegen gehen (Gleichnis Jesu), das Lied im Gesangbuch: „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ (EG 70). Es sei an dieser Stelle darum erwähnt, weil er diesem Lied die Überschrift gibt, die im Gesangbuch weggefallen ist: „Ein Geistlich Braut-Lied der gläubigen Seelen / von Jesu Christo jrem himmlischen Bräutgam“. Es geht also um die mystische Hochzeit – die wir auch bei den Mystikern schon gefunden haben.
Maffeo Barberini / Papst Urban VIII. (1568-1644)
Er war Dichter und Kriegsherr, um den Kirchenstaat zu expandieren, Papst während des 30 jährigen Krieges, Bauherr, Kunstmäzen und liebte die Vetternwirtschaft. Berninis Skulpturen, Caravaggios Gemälde sind mit ihm verbunden. Gleichzeitig fand der Prozess gegen Galileo Galilei statt – obgleich – oder weil – der Papst naturwissenschaftlich interessiert war. Galilei zu Ehren hatte er gar ein Gedicht geschrieben. Zudem hat er Dichter gefördert (z.B. Gabriello Chiabrera). Wenn man aus dieser Perspektive einige seiner Gedichte liest, dann erkennt man die Zerrissenheit des Menschen im Barock. Traditionelle Wissenschaft – moderne Wissenschaft, Zerrissenheit in der Frage des Rechts, des Krieges…, die Begeisterung für die Antike – gleichzeitig der mittelalterliche Mensch. Man erkennt die Spannung zwischen Reichtum und Armut: „Des Hofes Pracht und Reichtum ließest du im Stich, / Elisabeth, dem höchsten Gotte widmend dich“ (Zoozmann 503). Auch die Schuld wird fast reformatorisch angesprochen: „Du Spender alles Menschenheils, / Jesu, der Herzen Wunschbegier, / Erschaffer der erlösten Welt / und Gutgesinnter frommes Licht: // Wie überzwang das Mitleid dich, / Auf dich zu nehmen unsre Schuld? / Schuldlos zu leiden bittern Tod, / Um uns dem Tode zu entziehn?“ (a.a.O. 505) Er lobt eine Märtyrerin, weil sie nicht verblendet wird durch Schmeichelwort, nicht Glanz lockte sie, „keine fürstliche Herrscherlust“ „Nicht die Schärfe des Schwerts schüchtert dich drohend ein, / Nicht die tötende Wut rasenden Henkersknechts: / Den vergänglichen Lüsten / Ziehst du himmlische Wonnen vor.“ (495) Und an eine andere Heilige richtet er die Bitte: „Jag Waffengelärm, kriegerisch Wüten auch / Fern nach thrakischer Wüstenei“ (493). Ganz der Mensch im Barock – zumindest der hierarchisch hochstehende Mensch.
Anna Ovena Hoyer (1584-1655)
Anna Ovena Hoyer war von Kind auf sehr gebildet. Sie hatte neun Kinder. Ihr Leben war von massiven Höhen und Tiefen begleitet. Sie war reich und angesehen – dann hatte sie nichts und musste kämpfen, danach ging es ihr wieder Dank einer Schenkung gut. Sie hat aus ihrer eher mystischen Glaubenshaltung sehr viel geschrieben (auch Melodien komponiert) – und auch massive Anklagen gegen eingebildete Pfarrer formuliert, war selbst allerdings auch Zielscheibe von Angriffen.
Sie hat ein religiöses Buch für Kinder verfasst – in Form von Reimen: „Gespräch / eines Kindes mit seiner Mutter. Von dem wege zur wahrer Gottseligkeit.“ Die ersten Zeilen: „Dies Buch dürch eine Fraw beschribn / Wird man gwiß darumb mehr beliebn / Weil dergleichen nie gesehen / Von Frawn so geistreich ausgehen“. Im Weiteren ist sehr spannend zu lesen, dass sie schon Spötter erwähnt, die dagegen sein könnten, dass eine Frau so etwas schreibt. Sie wendet jedoch ein: „Christus ja meist Mariam preist / Ob schon Martha ihm Kocht und Speist / Weiln sie erwehlt das beste Theil / In dehm sie gesucht der Seelen Heil.“ Wichtig ist es nicht, so sie weiter, Welt-Gelehrt zu sein und einer Hohen Schule anzugehören, sondern der Heiligen Geist zu haben. Darum solle sich niemand schämen, von einer Frau „Exempel zu nehmen“. (Ähnlich schon Hrosvitha von Gandersheim [935 bis nach 973] im Vorwort zu ihren Legenden: sie als Frau dichtet nicht aus eigener Kraft, sondern in der Kraft Gottes.) Das spannende Gespräch kann hier nicht weiter vertieft werden. Sie beendet das mit einem Gebet: „Mein Jesus wirk Dein Werk in mir / So will ich ewig danken Dir.“ (Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das ganz wichtige Werk zum Thema Rechte der Frauen von Christine de Pizan [1364-1429; Das Buch von der Stadt der Frauen]. In diesem Werk diskutiert sie mit Gott und erkennt unter vielem anderen: Gott hat durch viele Frauen seine Macht gezeigt. Er hat in seiner Weisheit auch die Frauen geschaffen und darum dürfen sie nicht in Selbstzweifeln an sich als Frau leben.)
Die religiösen Auseinandersetzungen, die Auseinandersetzungen zwischen den „Weltgelehrten“ sieht sie als Werk des Satans an. Damit sind die heftig geführten Auseinandersetzungen innerhalb der lutherischen Orthodoxie im Blick: „Die glärten sind (wie Luther sagt) / Die verkehrten / Gott seys geklagt / Nennen sich Evangelisch / Und führen einen feinen schein / Die grösten aber sind gemein / Sind gut Aristotelisch.“ („Einfältige Wahrheit“).
Sie schreibt auch kleine kurze Gedichte: „Da Die WeLt Von KrIegen VoLL / AUCh an aLLen orten ToLL war / JesUs ChristUs Unser Herr heLffe Uns aUs gefahr.“
Spannend empfinde ich auch das Folgende. Aus den Überschriften nimmt sie die ersten Buchstaben und formt Kreuzzeichen: „Christus Rex Crucis“ C.R.C – wobei C. R. C. den vertikalen Holzbalken bilden und C.R.C. den horizontalen; im R. treffen sich beide. Und „Christus Der König Des Creutzes“ C.C.K.D.C. Wird zum vertikalen Balken: C.D.K.D.C. und zum horizontalen: C.D.K.D.C.; im K treffen sich beide.
Es wird über die Autorin gesagt, dass sie in einer schlimmen Flut (1634) gerettet wurde, aber dann Gott für ihre Rettung dankt, ohne an die Opfer zu denken. Diese Aussage muss durch das Gedicht, das auch in dem Band von Bers zu finden ist, modifiziert werden: Sie sieht schon die Opfer – allerdings sieht ihr Welt- und Glaubensbild all das Schlimme als Strafe Gottes dafür an, dass Menschen sich von Gott abwenden: „Es ist sehr zu beklagen / Wenn man gedenckt daran / In was schrecken und zagen / Gewesen jederman / Da sie haben gesehen / Mit angest groß und schwer / Ihr lieben Freund vergehen / Und ersauffen im Meer.“ Aber nicht die Notleidenden sind die Sünder allein, sondern alle. Alle verüben Gräuel und Gewalt, Gott will in der Endzeit mit seinem Strafen die Menschen zur Umkehr bewegen. Das lange Gedicht wird mit dem Ausblick des wunderbaren Seins bei Gott abgeschlossen: „Mein hertz so, ewig loben / Dich Jesu Heylandt mein“. Man bedenke: 1650 wurden die Texte veröffentlicht – also im Kontext des 30jährigen Krieges geschrieben, stehen sie in der biblischen Tradition.
(Alles, bis auf den letzten Absatz, zitiert nach: Anna Ovena Hoyers: Geistliche und Weltliche Poemata, Amstel/rdam 1650 [Hofenberg Digital] – dieses Werk wurde ein Jahr nach dem Druck verboten.)
Es wird deutlich, dass in ihrem Glauben der Heilige Geist eine große Rolle spielt. Und dieser Geist ermöglicht es ihr, Grenzen der damaligen Zeit zu durchbrechen, Grenzen, die in den Rollen der Geschlechter errichtet worden waren. Als Frau redet sie mit, bringt ihre Argumente ein – und all das sehr selbstbewusst. Manchmal auch sehr hart und an den Grenzen der religiösen Gesetzlichkeit haftend.
Abschließend sei aus „Auff Zion“ zitiert: „Rühmet den Herrn / Stets nah´ und fern / Singet Hosianna; / In fröhlichkeit / Sein lob außbreitt / Hanns Ovens Tochter Anna. // Sie Musicirt / Sie jubilirt / Sie sing´t das Hosianna, / Den Herrn erhebt / So lang sie lebt / Hanns Ovens Tochter Anna. / Hallelujah. AMEN.“
Johann Heermann (1585-1647)
War Pfarrer und ein sehr fleißiger Dichter – und hatte auch Einfluss auf spätere Dichter. Im Evangelischen Kirchengesangbuch (EG) wurden 9 Lieder aufgenommen. Er schrieb so manches Bußlied – und manches Lied mit Friedensbitte. Er litt unter dem 30jährigen Krieg. Darum spielt auch das große Leiden Jesu eine Rolle, in dem man sich spiegeln konnte („Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen“; „Jesu, deine tiefen Wunden“). Zu wahrem Frieden gehört richtiges Handeln, ein Handeln, dass Gottes Willen entspricht. Entsprechend gehört auch Feindesliebe dazu. So schreibt er: „und schaff uns Beistand wider unsere Feinde! / Wenn du ein Wort sprichst, / werden sie bald Freunde. / Herr, wehre der Gewalt auf dieser Erde, / dass Friede werde, dass Friede werde.“ (EG 247: „Herr, unser Gott“) Trotz bzw. wegen der Buß- und vieler Klagelieder schreibt er gewiss:
„Mein Name steht geschrieben, / Herr Christ, in deiner Hand. / Was will ich mich betrüben? / Mein Kreuz ist dir bekannt. // Du kannst mein nicht vergessen, / das ist mein Trost und Ruhm. / Kein Teufel kann mich fressen, / Ich bin dein Eigentum.“ (Zitiert aus Weimer)
In dem Lied „O Jesu, Jesu, Gottes Sohn, mein Bruder auf dem Himmelsthron“ spricht er die Liebe zu Jesus an:
„Dies ist mein Schmerz, / dies kränket mich, / daß ich nicht gnug kann lieben dich, / wie ich dich lieben wollte. Je mehr die Lieb in mir entbrennt, / um so viel mehr mein Herz erkennt, / wie es dich lieben sollte.“
Es ist ein sehr schönes Liebeslied und verwundert, dass es nicht im Gesangbuch aufgenommen wurde. https://hymnary.org/text/o_jesu_jesu_gottes_sohn_mein_bruder
Martin Rinckart (1586-1649)
Auch er war Pfarrer und Dichter in der Zeit des 30jährigen Krieges und erlebte schwere Zeiten. Von ihm gibt es zwei Lieder im Kirchengesangbuch, von dem das „Nun danket alle Gott“ (EG 321) sehr bekannt, ja berühmt wurde (eigentlich ein „Tisch-Gebetlein nach dem Essen“). Eine kriegsbedingte Neudichtung von Martin Luthers „Ach Gott vom Himmel sieh darein“ (EG 273) beklagt all das Schlimme, das Menschen ertragen müssen. Die „güldene Friedens-Zeit“ ist dahin: „wo der Krieg hinkömmt, / Da ist es gut gewesen!“. Auch seine Klagen wechseln mit Zuversichtstexten:
„Was du erlösest hast, / Zu ewig süßen Freuden, / Mein ewig-treuer Gott, / Durch ewig-kräftig Leiden – / Und diesen meinen Sinn / Erhalt mir bis ans End, / Daß dieses bleib und sei / Mein letztes Testament.“ (Zitiert nach Kemp.)
Friedrich von Langenfeld / Spee (1591-1635)
Ist vor allem bekannt, weil er sich gegen die Hexenjagd eingesetzt hat. Von ihm gibt es einige Lieder im Gesangbuch (EG), so „O Heiland reiß die Himmel auf“ (7), „Zu Bethlehem geboren“ (32), aber auch Osterlieder: „Die ganze Welt, Herr Jesu Christ… in deiner Urständ fröhlich ist“ (110) und ein anderes fröhliches Lied: „Vom Himmel hoch, o Engel, kommt“ (538). Viele weitere sind seiner Feder entflossen. So endet ein weiteres Weihnachtslied (O Jesulein, o Gottes Sohn) mit den Zeilen:
„O wär mein Herz ein solcher Stall, / nichts wünschen wollt ich überall, / mein Herz mit diesem Kindelein / sollt bald ein wahrer Himmel sein.“ Es wird der Ansatz der Mystik aufgegriffen. Die Seele sucht nach ihrem Bräutigam und so heißt es in „Die Gespons Jesu klaget ihren Herzenbrand“: „In Jesu Lieb ich lebe, / Sag dir von Herzen-Grund: / In lauter Freud ich schwebe, / Wie sehr bin ich verwundt.“ Auch Klagen werden formuliert, doch die fröhlichen Texte überwiegen, soweit ich sehe. So auch ein „Lob Gottes“ angesichts des Frühsommers, in dem die Natur in ihrer aufbrechenden Schönheit besungen wird: „Der Frühling uns wird leiten. Im Luft ich hör die Musik schon, / Wie sichs mit Ernst bereite, / Daß uns empfang mit süßem Ton / Und lieblich hin begleite.“ Es endet: „O Gott, ich sing von Herzen mein: / Gelobet muß der Schöpfer sein!“ (Zitiert nach Kemp.) Das Staunen über die Natur, die Schönheit – sie weist auf den Schöpfer hin. Die Schönheit der Natur wird häufig von christlichen Dichtern besungen.
Christiana Cunradina (1591-1625)
War sehr gebildet, Mutter von zehn Kindern. Zwei davon sind durch ihr Werk bekannt geworden. Der Älteste war Arzt und Dichter. Von ihr selbst liegt nur ein Gedicht vor, von dem man allerdings nicht genau weiß, ob es von ihr oder ihrem Mann, dem Dichter Caspar Cunradi, ist.
Das Gedicht bezeugt: „Herr Christ, dein bin ich eigen / Von Anbeginn der Welt, / Dein Güte zu erzeigen, / hast du mich auserwählt“ und das im gesamten Leben bis über das Sterben hinaus. Das wird in sieben Strophen vertieft (Pressler). Wenn man das genau liest: Von Anbeginn der Welt wurde die Sängerin ausgewählt – und auch ausgewählt, in des Himmels Freuden zu gelangen. Aber dennoch besteht die Gefahr, dass sie sich von Gott abwendet und bittet, ihr zu helfen, es nicht zu tun.