Albrecht Haushofer (1903-1945)
Haushofer wurde als Kind und Jugendlicher intensiv bürgerlich gebildet. Nach der Schule studierte er Geschichte, Geographie, Geologie, Nationalökonomie. Er trat mit den Eltern in die Deutsche Volkspartei ein, wurde in ihr sehr aktiv. Er promovierte. Er hatte einen umfangreichen politisch orientierten Bekanntenkreis. Die Habilitationsschrift zog er zurück, schrieb eine politische Komödie und Satire. Er stand dem Nationalsozialismus kritisch entgegen, nahm aber eine Dozentur für Geopolitik an, die Rudolf Heß ihm anbot. Wegen seiner Beziehung zu Heß wurde er als „Vierteljude“ nicht benachteiligt. Gleichzeitig stand er weitläufig mit dem Widerstand in Verbindung. Er wurde politischer Berater von Heß, stand in Beziehung zu Ribbentrop, der Hitler in außenpolitischen Fragen beriet bzw. dann auch Reichsminister für Auswärtige Angelegenheiten wurde. Im Auftrag von Ribbentrop unternahm er zahlreiche Reisen bis hin nach Japan, bekam Einblick in einen japanischen Kriegszug in China. In der „Zeitschrift für Geopolitik“ warnte er vielfach vor Krieg, auch vor einem gegen die Tschechoslowakei und sah den Überfall auf Polen als Beginn der Zerstörung Europas. 1941 war er intensiver im Widerstand tätig und knüpfte zahlreiche Kontakte. Er wusste vom Flug von Heß nach England, wurde nach dem Flug verhaftet und wieder frei gelassen. Er schrieb einige Regime-kritische Werke, so Römerdramen (z.B. Scipio, Augustus). Das misslungene Attentat vom 20. Juli 1944 führte auch zu seiner Verhaftung. In der Haft schrieb er über Thomas Morus, dem großen Christ und hingerichteten Widerständler gegen den König, und Gedichte. Am 23.4.1945 wurde er von einem Kommando der SS erschossen. Sein Bruder und eine ehemalige Mitarbeiterin fanden die Leiche und in der Manteltasche ein Exemplar der Gedichte, die „Moabiter Sonette“.
Diese Sonette enthalten eine vielfältige Sicht der Welt. Thematisch möchte ich mich auf die Gedichte konzentrieren, die den christlichen Glauben ansprechen. „Qui Resurrexit“ bespricht ein Bild von Matthias Grünewald, das das Jesus-Bild wiedergibt, das dem seinen Bild von Jesus Christus entspricht. Nicht Christus als Weltenrichter, als Leidender und Marienkind, sondern „der Lichtumflossene: dieser ist der Christ.“ Nicht der Künstler war aus sich heraus fähig, ein solches Bild zu malen: „Von allen Farben geisterhaft umstrahlt, / noch immer Wesen, dennoch grenzenlos, / fährt Gottes Sohn empor zu Gottes Schoß.“ In „Die großen Toten“ wird die katastrophale Niederlage Deutschlands angesprochen. Die großen Toten, genannt werden als Beispiel Kant, Bach, Goethe, brauchen sich vor „Aberwitz und Schmach“ nie beugen. „Ihr Geist besteht, / solang der Atem Gottes aus ihm weht.“ Von einer „Wandlung“ spricht das gleichnamige Gedicht. Was man früher wichtig hielt, hält in der Prüfung der Seele nicht stand. Dem Tod nah wird das tief Verborgene wichtig: „so hebt sich nun aus allem lauten Tand / das Unvergängliche. Das Ich wird still, / wenn Es in ihm schon leise beten will…“. In „Nemesis“ rechnet er gegen alles menschliche Richten mit einem höheren – wahrscheinlich göttlichem – Gericht. Und in „Kosmos“ sieht er: „Wer je den großen Bau der Welt bedacht / und fühlte nicht, wie Gottes hoher Geist / noch über den Gesetzen wacht und kreist – // wie blind erscheint, wer Schöpfertum verlacht! / Wir kennen kaum den kleinsten Teil davon: / Gesetz ist Wunder, Zahl ist Weltenton.“
In den 80 „Moabiter Sonetten“ (Lothar Blanvalet-Verlag 1946, 5. Auflage 1960) gibt es nur diese wenigen Momente, die direkt die jüdisch-christliche Tradition ansprechen. Aber diese sind sehr intensiv und wesentlich.
Es sei noch auf das Sonett „Das Erbe“ hingewiesen. In diesem wird die Geschichte dargestellt, das Erbe der Menschheit, auch das Erbe der christlich-humanistischen Kultur wird wegen „mörderische(n) Streits“ vergessen werden: „Wir sind die Letzten. Unsere Gedanken / sind morgen tote Spreu, vom Wind verjagt, / und ohne Wert, wo jung der Morgen tagt.“ Das große Erbe wird zerstört – aber er erwartet den Anbruch eines neuen Morgens. Ist dieser neue Morgen das, was er im genannten nächsten Gedicht „Wandlung“ anspricht: „das Unvergängliche“? Hat er die Apokalyptik, das Beenden der Welt und das damit beginnende Herrschen Gottes im Blick?
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Walter Bauer (1904-1976)
Walter Bauer wuchs in armen Familienverhältnissen auf, wurde von seinem Lehrer unterstützt, konnte darum ein Lehrerseminar besuchen. Er fand als Lehrer zunächst keine Stelle, machte ausgedehnte Wanderungen als Obdachloser, war Redakteur. Er war Lehrer, veröffentlichte ab 1929 Schriften. Alte Schriften waren während der Zeit des Nationalsozialismus verboten, neue konnten veröffentlicht werden. Er war Soldat, kam in Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg veröffentlichte er weiter, ging aus Enttäuschung über die politische Entwicklung Deutschlands nach Kanada. Dort versuchte er Fuß zu fassen, indem er alle möglichen Tätigkeiten ausübte. 1959 (!) beendete er sein Magisterstudium. Zuletzt war er an der Universität von Toronto als Lehrkraft tätig.
Seine Gedichte zeigen, dass er sich große Vorwürfe gemacht hat, nicht mehr gegen die Barbarei des Nationalsozialismus getan zu haben. Sie zeigen aber noch etwas anderes, was im Folgenden nicht so deutlich wird: seine große Sensibilität für das Leiden von Menschen. In dieser Hinsicht haben die Gedichte eine Menge zu sagen, was ich hier jedoch aufgrund der Themenbeschränkung nicht entfalten kann. Mir liegen als Gedichtbände vor: „Gast auf Erden“ (Karl Rauch Verlag Dessau) von 1943 und „Lebenslauf. Gedichte 1920-1974“ (Kurt Desch Verlag München 1975). Walter Bauer schrieb auch die Einleitung zu dem Gedichtband von Georg Thurmair: „Die ersten Gedichte an die Freunde“ das kurz nach dem Erscheinen 1938 verboten wurde. Weiteres dazu bei Georg Thurmair.
Bauer schreibt nicht viel mit Blick auf Gott, allerdings glitzert er hier und da durch. Wenn man die Gedichte anderer „Naturdichter“ kennt, dann fällt zum Beispiel diese Formulierung bei Bauer auf: „Wald, du stille Welt, / wortlos nimmt dein Wurzelgrund mich an, / und ich sinke an das Herz, / das einst dich und mich ersann.“ („Im Walde“; ähnlich „Tröstung“) Wer ist der, der „dich und mich ersann“? Es wird, wie geschrieben, nicht von Gott gesprochen, aber es könnte ein Indiz dafür sein, dass Gott im Hintergrund steht. Gott kann auch expressis verbis genannt werden, so in „Zuspruch“: „Dann wirst du wissen, daß der Reichtum deines Wesens / ein kleiner Teil nur war von Gottes grenzenlos verschenktem Überfluss.“
Deutlicher spricht Bauer mit Blick auf Gott – aber zurückhaltend. Das nicht zufällig in einem Gedicht, das die Stadt zum Thema hat „In der Stadt zu schlafen“: ich schaudre, „wenn die Untergrundbahn / die Wände erschüttert / wie ein Gewitter Gottes, / der mich nicht mehr besucht, / weil er nicht weiß, / wo seine Gläubigen wohnen.“ Stadt und Gottlosigkeit hängen auch bei anderen Dichtern häufig zusammen. Hier nur auf eine satirische Weise: Gott kennt die Adresse seiner Glaubenden nicht. Selbst das bedrohliche Geräusch erinnert an Gott – aber Gott ist nicht da. Aber dieses suchende Moment ist nicht unbedingt gebunden an die Stadt, wie es „An diesem Abend…“ zeigt: Der alte Heilige hat sich als Eremit zurückgezogen, hat Gott beschworen, aber Gott nicht gefunden: „Ich bekenne, daß ich mich irrte, / daß den Weg der Geduld ich noch lange gehen muß, / um die Stimme zu hören: hier bin ich – / oder: ich bin niemals mehr für dich da.“ Gott wird nicht verleugnet – aber er kann sich dem Menschen entziehen, wenn der Mensch ihn missbraucht. In „Notiz ohne Bedeutung“ bittet einer „den lieben Gott, den er für so etwas noch braucht“ um Geldgewinn: „Er wußte nicht, daß Gott / ihn längst ausgespien hatte.“ Diese genannte Unsicherheit, ob Gott an ihn denkt, wird auch in „Vor dem Einschlafen“ ausgesprochen. Dort heißt es aber auch: „Weil jeder dich gerufen hat, / da ward ich deines Namens satt.“ Das heißt: auch der Mensch verweigert sich Gott. In dem Band „Der Glaube kann nicht schweigen“ (Christliche Lyrik der Gegenwart , hg. V. Anna Paulsen, Heliand Verlag Lüneburg 1948) wird das in dem Gedicht „Begreife doch…“ vertieft in einem Dialog mit Gott angesprochen. Als Kind hat er mit Gott geredet. Dann: „Ich bin verstummt. Ich will dich nicht mehr nennen“. Darauf reagiert Gott: „Du kannst dich weit, sehr weit von mir entfernen“, aber dennoch: Gott grüßt den Entfernten mit den Sternen – und auch der Morgen, der der Nacht folgt wird zum Gleichnis. Natur lässt Gott wahrnehmen. „In einer Regennacht“ ist es ein schöner Ton, der ihn berührt „Ich fühlte es: Gott meint auch mich, / der seinen Namen zaghaft nennt.“
Dass dieses „Anrufen“, „Nennen“ für ihn bedeutsam ist, wird in seiner (vermutlich!) vorchristlichen Zeit auch deutlich an dem Gedicht „Unfassbare Stunde“. „Wir rufen nicht an, / gefaltete Hände, was soll das?“ – aber dann im Radio: „eine Stimme spricht: Moskau – / jetzt ist die Stunde, in der das Herz bereit ist.“ Dann sieht er schon 1933 den Krieg kommen: „Alle Maßnahmen Irrsinn. Gebet zerrinnt. / Bittet um nichts, euch wird nichts mehr gegeben. / Sterben wird der Kriegstreiber mit dem Kriegshasser, / Gerechter mit Ungerechtem.“ In „Jedermanns Botschaft“ heißt es dann, als es zum Äußersten gekommen ist: „Gott ist wieder allein wie am Anfang der Zeiten, / Einsamer Betrachter von Morgenröten, die niemand erfreuen, / Und von Nachthimmeln, die keine Blicke mehr finden.“ Jedermann hat Gott verraten, Gottes Wort vergessen – Gott wird dann vielleicht noch einmal etwas Neues erschaffen. Im „Interview mit einem älteren Mann“ wird im Abschnitt XI. gefragt: „Was er von Gott halte“. Und er erzählt von einer jüdischen Geschichte, in der Gott dem Rabbi furchtbar müde begegnet. Und dieser Text schließt: „Ich will ihn nicht noch müder machen. / Er hat genug zu tragen.“