Josef Weinheber (1892-1945)
Er hatte eine äußerst schwere Kindheit und Jugend, Trennung der Eltern, Weggabe, dann Waise, hat alle möglichen niederen Berufe ausgeübt. Er war Katholik – Konfessionslos, weil er jüdisch heiratete – Protestant – Katholik, mal sieht er sich als Gott, mal wird Gott angeredet – er ist ein in sich zerrissener Mensch. Der Dichter ist Priester für das Göttliche im Menschen: „Weil wir Ehrfurcht brauchen und Dunkles, darum lallen die Dichter.“ („Zwischen Göttern und Dämonen“, Ode 4) Als so eine Art Dunkles, Lallendes, vor allem kaum Verstehbares – zumindest gerate ich an die Grenzen des Verstehens bei manchen Gedichten aus dem genannten Band – dichtenden Priester und Verkünder sah er sich, von daher liegt es nicht fern, dass er von Nietzsche (und Schopenhauer) auch emotional beeinflusst wurde. Aber das lag in der Zeit, wenn man Nietzsche, George und Rilke betrachtet: „Lassen wir, und seien sie tot, die Götter / aufstehn!… / … Wahrlich, / göttlich ist der Mensch. Was darunter, zählt nicht.“ (Ode 27) Die Dämonen trieben den Menschen den Göttern bzw. Gott zu, aber die Menschen bedürfen beider nicht: „Arme Götter! / Arme Dämonen! Vorbei – Geht schlafen!“ (Ode 28)
Er stand in der Zeit des Nationalsozialismus hoch im Kurs. Er war für die Nationalsozialisten, war gegen sie, war gegen deren Einmarsch in Österreich – war für ihn… Er denunzierte, so kann man lesen, in den Jahren des Nationalsozialismus – und gleichzeitig hatte er ein schlechtes Gewissen. Man hat den Eindruck, er war Opportunist durch und durch. Durch und durch? Er wusste, was falsch ist, hat es auch irgendwie bereut, hat angeklagt, auch sich selbst – aber wohl weiter gemacht. Schon in den 20ern schrieb er in „Selbstbildnis“ unter Aufnahme einer Anspielung auf den 1. Korintherbrief des Paulus: „Den Glauben und die Hoffnung und die Liebe, / ich mußte sie erdrosseln und begraben. / Im wüsten Trauerspiel der Geltungstriebe / als Mörder darf ich meine Rolle haben.“ Er beklagt die Diskrepanz: der Mensch als Ebenbild Gottes und als Sünder. Diese Spannung, in der Weinheber steht, wird auch in dem folgenden Text besungen, dessen Titel der ersten Zeile entspricht: „Warum ist in mir dies heiße Ringen / Nach Klarheit, Licht und stolzer Einsamkeit, / Wenn mir kein Gott zu helfen ist bereit, / Den wahn- und fluchbeladnen Weg zu zwingen.“ Sehr eindrucksvoll wird das auch in „Der Dichter spricht“ formuliert.
Er wandte sich vom Nationalsozialismus ab. Ist dieses Gedicht „Dem kommenden Menschen “ eine Absage?: „Gräßlicher `Herr der Erde´, wer bist du? / Seht, er redet von Gott und zertritt seinen Nächsten.“ (1935) Findet er am Ende wieder zu Gott zurück? Hatte er ihn überhaupt verlassen? Weinheber hat sich 1945 selbst getötet, als die Sowjets vor Wien standen. Er gilt als großer Dichter – allerdings ideologisch verbrannt. Ihm war die Sprache äußerst bedeutsam: „Es bleibt jedoch / – Gott ist Gott, Gott ist Gott! – ungeheuer die / Sprache; und auserwählt sie, die sie verehrn.“ (a.a.O. Ode 12) In „Das reine Gedicht “ ist es Gott, der ihm das reine Gedicht im Schlaf gibt (1923).
In dem mir hauptsächlich bekannten Gedichtbändchen „Zwischen Göttern und Dämonen. Vierzig Oden“ von 1938 (1937/1938 getextet), das ein wichtiges Werk sein soll, betont er, wie im Titel erkennbar, die Götter. Hier werden die Götter als Handelnde gesehen, so in der Ode 6: „Wie Betrunkne torkeln // wir seitab, vor, zurück. Einen Augenblick / nur sehn die Götter weg: Und wir fallen schon / hinab und an die Untern heim.“ Aber, wie oben gesehen, der Mensch emanzipiert sich von den Göttern und Gott – und er beginnt das Vaterland zu besingen, die tapferen und männlichen Jünglinge, die in den Kampf ziehen, die Mütter (Oden 29ff.). Dass in diesem Band mit „Gott“ nicht unbedingt Gott gemeint ist, den die Christen bekennen, wird an Ode 32 deutlich. In ihr nennt er Gott – bringt ihn aber in Verbindung mit „Donnerer“, was ein Attribut für Zeus ist. Das Jesus-Wort: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern vom Wort Gottes wird verbogen: „Nicht vom Brote allein, es / lebt vom Traume der Mensch.“ Und es folgen Worte zum kämpfenden Volk, das die Flamme lebendig halten soll, „Daß die späten Äone / uns noch finden und götterfroh / und gesegnet und reicher / in der Liebe der Nachgebornen. // Heilig dunkelnde Kunst, du / schöne Seele des Vaterlands!“ (Ode 38) Man muss die Verse nicht kommentieren. Es wird insgesamt auch an diesem Dichter deutlich: Der Mensch, der Gott verlässt, wendet sich immanenten Größen zu. die religiös erhoben werden. Das wird dann noch einmal in der religiös äußerst kruden und kuriosen Ode 39 („Da, von ihren goldenen Stühlen“) deutlich. Von Gott wendet er sich ab. Das „Gebet “ (1914) ist im Grunde ein Hilfeschrei zu Gott, das die Theodizee auch als Anthropodizee in den Blick bringt: „Gib Sieg – oder Tod, uns! / Dein ist die Wahl...“
Wer sich von Gott abwendet, bildet sich seine eigene Religion. Ist der Gedichtband „Zwischen Göttern und Dämonen“ nicht eher eine Anbiederung an die nationalsozialistische Zeit? Es wird als Abrechnung mit ihr verstanden. Religiös kann ich das nicht erkennen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es gegenwärtig nur besonders hervorgehoben wird, weil es nicht christlich – dafür aber besonders dunkel ist.
Aber: Aber Weinheber blieb auch in der Frühzeit nicht dabei stehen, sondern verkündete Gott, wandte sich Gott zu. Das auch später. Parallel zu dem 1937/1938 entstandene Werk beschrieb er ganz klassisch und schön die Geburt Jesu. Sie wird besungen und vielfach wurde sie auch vertont: „Anbetung des Kindes“. Kurioserweise erschien dieses Gedicht 1937 in „O Mensch, gib acht: Ein erbauliches Kalenderbuch für Stadt- und Landleut“ – also in einer Zeit, in der auch die Gedichte des genannten dunklen Bandes erschienen sind. Dieser Band hatte nicht die nationalsozialistische Ideologie im Blick – und war darum massiv kritisiert worden – nicht nur das, sondern hatte auch Folgen für den Verlag. http://josefweinheber.magix.net/public/mensch.html
1942 schrieb er die „Symphonische Beichte“ – in der er auch im Fahrwasser der religiösen Tradition fährt. In diesem Text finden wir unter anderem religiöse Begriffe: Schöpfer, himmlisch, Gott, Götter, Pan, Engel, Geist, Ruf, Schuld, Zweifel, Beichte. Es werden große Worte eingestreut für ein Gedicht, das… – was eigentlich sagen soll? Ein Gedicht, in dem er Mann/Frau, Musikinstrumente, Tod, Sprache anspricht? Es wird das Vater unser umgeprägt: „Vom Bösen kann uns nur Sprache erlösen.“ Und es endet: „Uns ist der Retter erschienen…“. Aha, denkt man sich nach dem erhebenden Gedicht und fragt sich: Wer ist der Retter? Weinheber ist das Wort wichtig, der Klang des Wortes… – alles richtig. aber ist der Inhalt der Worte irrelevant? Sich als Dichter allem anpassend, sich empathisch hineinversetzen – alles richtig. Aber wie ist das zu verbinden mit der Sicht, Priester des Göttlichem im Menschen zu sein?
Ich bin kein Weinheber-Kenner. Ich habe schon an Dichtern beobachtet, dass sie in ihrem Leben unterschiedliche Stadien mit Blick auf den Glauben durchmachen. Das ist auch normal. Hier wird allerdings sichtbar, dass er – so vermute ich – unterschiedlichen Adressaten gleichzeitig gefallen möchte, darum auch zum Beispiel am Ende der genannten „Beichte“ offen lässt, wen er mit „Retter“ meinte. Christen konnten das mit Blick auf Gott interpretieren, Nationalsozialisten mit Blick auf Hitler. Von daher habe ich – noch einmal ist zu betonen, ich bin kein Weinheber Kenner – den Verdacht, dass der Band über Götter und Dämonen erscheinen musste, um in nationalsozialistischer Zeit nicht einseitig in ein traditionell volks-katholisches Schublädchen eingesperrt zu werden – was massive Nachteile mit sich bringen konnte. Aber das Thema dieser Seiten sind weder Weinheber noch die nationalsozialistische Zeit, sondern: Wie wird Gott in Gedichten genannt. Und da kamen in dieser Darstellung vermutlich die traditionellen Aussagen Weinhebers etwas kurz, weil der Gedichtband von 1938 als sein wichtigstes Bändchen angesehen wird.
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Ruhig und manchmal sogar schön ist der Ton vieler Gedichte in seinem Band: Dokumente des Herzens. Eine Auswahl seiner Gedichte, erschienen 1944. Leider wird nicht ersichtlich, wann die Gedichte entstanden sind. Die Welt um ihn her zerfällt – in dem Büchlein leuchtet die fast heile Welt. Der Alltag wird besungen, die Monate, Landschaften, sein städtisches Umfeld (Wien), die Geliebte – immer wieder mal wabert die Nacht als negative Größe durch die Gedichte. Aber in der Not (in der man Angst hat vor dem Luftkrieg, in der man um Menschen trauert, die an der Front oder unter Bombenhagel gestorben sind, in der Menschen massenhaft in Konzentrationslagern ermordet und gefoltert wurden, in der man Angst hatte vor der rechtlichen Willkür des Staates) möchte man wahrscheinlich solche leichten Auszeiten. Hier und da gibt es Ermutigung zum Sterben. Ich kann es verstehen. Es ist nämlich äußerst schwer Gedichte zu schreiben, die aktuelle Probleme im Blick haben und Weinhebers Anspruch war es, Sprache schön und eingängig so zu gestalten, dass sie Menschen bewegen kann.
Aber das ist nicht mein Thema, mein Thema ist Gott im Gedicht. Ganz kurios, gelinde gesagt, empfinde ich im Gedicht „Weib und Mann“ das, was der Mann sagt. Was die Frau sagt, passt zum Duktus der damaligen Zeit, aber was der Mann sagt, ist sonderbar: „Weib du, von meinem Schatten bedeckt, / Gott legt in dich seinen Samen. / Immer wieder empfängst du mich unbefleckt, / und ein Engel sagt Amen; / immer wieder gebierst du den Erlöser der Welt / du aus heiligem Geiste…“ – und so geht es weiter. Man kann solchen Glaubens-Unfug schreiben – aber den dann noch in eine Auswahl der Gedichte hineinzunehmen, ist so kurios wie das Gedicht selbst. Da fragt man sich: Was steckt da für ein Glaube dahinter?
In vielen Gedichten wird Gott genannt – aber es wird nicht ganz deutlich, wie Gott konnotiert wird. Vielfach geht das Wort Gott dann über ins Menschsein, wie zum Beispiel „Wort, ewig wiederholt“ – Gott wurde Fleisch – da denkt man dann an Jesus, aber es geht über zu Geist und dann heißt es: „Treuer Geist der ewigen Wiederkehr“ – es wird die Natur geschildert. Ob hier der ewig erhaltende Geist Gottes im Blick ist, ist denkbar, aber offen. In „Der Namenlose“ wird gesagt, dass ein „spätrer Gott / als jener Jahwe“ Kain, erlösen werde. Das bedeutet, dass Jesus von Jahwe ganz dem Duktus der nationalsozialistischen Zeit entsprechend, getrennt wird. Gott wird gebeten, die Schöpferkraft des Künstlers zu segnen. Ernster wird der Glaube an Gott angesprochen, wenn er das Schnitzwerk an einem Hochaltar beschreibt, oder die „Orgel“. In diesem Gedicht kommt er – als Wort der Orgel, seine Sicht? Wiedergabe dessen, was er traditionell der Orgel zuschreibt? – zu recht angenehmen Aussagen. Er selbst beschreibt in dem Gedicht „Die Nacht“, dass er den neuen Tag sah: „Er sah – schon wird ihm leicht – den Hauch / der Unschuld nah und fern. / Da fiel er auf die Knie, er auch, / und lobte Gott den Herrn.“ Nicht nur der neue Tag weist weiter – auch „Verwandlung“ im Tod: „aus dem Tor, / aus dem Nichts, / aus der Gruft / steig empor, / Herr des Lichts, / der mich ruft.“ Die Frage stellt sich freilich, was meint er damit, dass der „Herr des Lichts“ erst aus der Gruft steigen muss?
Weinheber ist mir ein Rätsel. Ist er mir wirklich ein Rätsel?