Francis Jammes (1868-1938)

Francis Jammes (1868-1938)

War Notar und anerkannter Schriftsteller, der sich vorher allerdings in der Schule unwohl fühlte und im Abitur die Note „0“ bekam. Von seinen beiden ersten Gedichtbänden (1897/8: „Vom Angelus der Morgenröte zum Angelus des Abends“ und 1901; „Die Trauer der Primeln“) konnte er bescheiden leben und gab seinen Beruf auf. Er lernte durch Paul Claudel den Katholizismus schätzen und dichtete entsprechend intensiver religiöse Gedichte. Dadurch verließ er sein moralisch ungutes Leben und heiratete 1907 eine seiner Bewunderinnen: Geneviève Goedorp und sie hatten sieben Kinder.

Manches aus „Tristesses“ wurde von der sehr jung verstorbenen Komponistin Lili Boulanger vertont, der Dichter und Chansonnier Georges Brassens übernahm ein Gedicht (der unten vorgestellte „Rosenkranz“) und vertonte es („La Prière“). Sein Gedicht „Das verlorene Schaf“ inspirierte den Komponisten Darius Milhaud zu einer Oper. Dennoch ist an seinen Gedichten erkennbar, dass sie nicht unbedingt den Geschmack literarischer Zirkel der Zeit getroffen haben, man denke im Gegensatz dazu an Baudelaires Gedichte. Dennoch war er mit Größen seiner Zeit bekannt, und seine Gedichte wurden von Rilke, Kafka, Proust und anderen geschätzt. Sehr ironisch ist sein literarisches Manifest „Der Jammismus“. http://www.lyriktheorie.uni-wuppertal.de/lyriktheorie/texte/1897_jammes.html Zu Jammes-Biographie s. auch: https://journals.openedition.org/litteratures/1896

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Ich muss sagen, das sind Gedichte, die mir gefallen. Dann schlägt mein romantisierendes Naturherz: Er hat sehr schöne kurze Gedichte, in der er den Alltag, das Miteinander beschreibt, bis hin zum Esel, Herbstgärten, das alte Haus seiner Vorfahren, leidende Tiere (allerdings wohl auch Jäger war) usw. – und natürlich die Liebe. Dann und wann erinnert er sich in seinem ersten Band an Gott: „Und ich glaubte, dass Gott / ein weißer alter Mann war, der dir / immer gab, worum du gebeten hast. // Es ist mir egal, wer sagt, dass / es existiert oder nicht – / denn die Dorfkirche war weich und grau.“ In „Das sagen wir zu Weihnachten…“ schreibt er von einer alten Tradition, die überliefert, dass Esel und Ochse sich an Weihnachten unterhalten. Er sieht ihre Weisheit ihren Augen an. Aber sie verraten den Menschen davon nichts, denn sie wissen, dass nicht alle Wahrheiten mitgeteilt werden können. Das Kalb wehrt sich in „Es war furchtbar“ gegen das Schlachten. Im „Goldenen Himmel“ werden keine Kälber mehr getötet werden. Und er bittet Gott, das Kalb nicht leiden zu lassen. In einem späteren Gebet bittet er Gott, mit Eseln in Gottes Reich zu kommen. Es ist freilich zu bedenken, dass Esel nicht allein Esel sind, sondern er beschreibt sie als die leidenden Wesen, die geduldig leidenden Wesen. Und diese finden wir auch unter den Menschen. Menschen, traktiert von anderen. Wobei man wohl bei Jammes vorsichtig sein muss, die Interpretationen dürfen nicht überspannt werden. Doppeldeutigkeit war, soweit ich ihn einschätze, nicht sein Bestreben.

Er hatte in seiner säkularen Zeit Erfolg. Dieser blieb aus, als er sich dem christlichen Glauben zugewandt hatte. In diesen Texten wird Gott vielfach erwähnt, angeredet. In den „Die Gebete der Demut“ übersetzt von Ernst Stadler (Kurt Wolff Verlag München 1920; https://www.projekt-gutenberg.org/jammes/gebete/titlepage.html – ein Auszug davon wird als „Franziskanische Gebete“ bezeichnet) finden wir das Gedicht: „Gebet zum Geständnis der Unwissenheit“. In diesem bittet er Gott, ihm den Hochmut zu nehmen, denn auch sein Herz ist nur ein Widerhall der Welt, er ist wie alle Menschen: „Gib, dass, wenn heute früh ich mich vom Pult erhebe, / Ich jenen gleiche, die an diesem schönen Sonntag zu dir gehen / Und in der armen weißen Kirche, vor dich hingekniet, / Demütig lauter ihre Einfalt und Unwissenheit gestehn.“ All die Gebete sind von dieser Einfachheit geprägt: „Lass mich, mein Gott, mein Leben weiterführen, / So schlicht und einfach wie ich es vermag.“ („Gebet, einfach zu sein“) In dem Dialog mit Gott, bekennt er Gott, dass er kein Gold habe, wie die Weisen aus dem Morgenland. Gott antwortet: Gib mir deine Armut. Er antwortet: Ich habe auch kein Weihrauch und keine Myrrhe. Gott antwortet: „Mein Kind, gib mir dein Herz.“ Andere christlich geprägte Gedichte sollen sehr lang sein (zum Beispiel die Christlichen Georgica, die Vergil aufgreifen) – allerdings liegen sie mir leider nicht vor. Es ist mir unverständlich, dass Jammes kaum rezipiert wird. Er passt wohl noch immer nicht in unsere Zeit.

Eindrücklich sein „Rosenkranz“ („Die in Blätter gekleidete Kirche“ 30ff.; Texte: http://www.paradis-des-albatros.fr/?poeme=jammes/l-eglise-habillee-de-feuilles ). Er hat den Rosenkranz sehr geehrt. In den Rosenkranzgebet führt er das Leiden Christi mit dem Leiden von Menschen zusammen. So die Auspeitschung Jesu verbindet er mit:

Von den Kindern, die von dem heimkehrenden Betrunkenen geschlagen werden,
von dem Esel, der Tritte in den Bauch bekommt,
von dem gedemütigten Unschuldigen, der bestraft wird,
von dem verkauften Mädchen, die sich ausgezogen hat,
von den Söhnen, deren Mutter beleidigt wurde,
sei gegrüßt Marie.

Zur Kreuzigung heißt es:

Von den vier Horizonten, die die Welt kreuzigen
von allen, deren Fleisch zerrissen wird und verfällt,

von denen, die ohne Füße sind, von denen, die ohne Hände sind,
von dem Patienten, der operiert wird und stöhnt,
von dem Gerechten, der zu den Mördern gerechnet wird,
sei gegrüßt Marie.

Er spricht den Rosenkranz stellvertretend für alle Leidenden, alle Leidenden sprechen durch ihn den Rosenkranz – einschließlich der leidenden Tiere („von dem verwundeten Vogel, der nicht weiß, wie sein Flügel plötzlich blutig wird“). Und „Blätter“ 35 geht es weiter mit Blick auf Auferstehung, Aufstieg, Pfingsten, Annahme, Krönung der Heiligen Jungfrau. Diese Blätter enden mit einem Gedicht, das beschreibt, dass Christus beim Abendmahl ganz leise war. Und so schreit er auch nicht unter den durch ihre Arbeit gezeichneten Arbeitern, sondern sitzt ganz leise unter ihnen (38): Mein Bruder wird daher immer erneuert, die Menschheit auf ihrem Weg einen Augenblick anhalten, das Brot des Lebens essen und in die Ewigkeit zurückkehren.

Und immer wieder die Tiere: Wie die jungen Schwalben sich nach Afrika sehnen, ohne es je gesehen zu haben, sehnen sich Menschen nach dem Himmel, nach Gott. Nicht sorgenfrei, sondern aufgeregt und leidend – eben wie die Schwalben (29). Sehr sensibel auch sein Tauflied (25). In Blätter 23 macht der Dichter Gott Vorhaltungen, denn Gott lässt ihn leiden, will ihn, so der Vorwurf, zerbrechen. Gott antwortet: „Verlass mich nicht, ich brauche dich. / Mein geliebter Sohn, ich brauche deine Tränen / Ich brauche einen Vogel, der am Kreuz singt. / Willst du mich verlassen, Rotkehlchen der Seele?“