Manfred Hausmann (1898-1986)

Manfred Hausmann (1898-1986):

Manfred Hausmann war Journalist, ein Einjahres-Obdachloser – als Wandervogel-Fan –, freier Schriftsteller, Dr. phil. Seit den 20ern orientierte er sich christlich und wurde sich zu Beginn der 30er sicherer. Er stand der SPD nahe und saß für sie vor und nach 1945 in einem Gemeinderat. Um 1933 wandte er sich intensiver dem christlichen Glauben zu. Wieweit er in der Zeit des Nationalsozialismus ideologisch mit dieser Ideologie verstrickt war, darum geht die Auseinandersetzung. Barbara Beuys schreibt in ihrer Biographie über Sophie Scholl: „In Worpswede besuchte Sophie Scholl den bewunderten Dichter Manfred Hausmann.“ Das war allerdings 1938. Und ein Gedicht Hausmanns „Trost“ zitiert sie in einem Brief, von dem hier nur die letzten Zeilen wiedergegeben werden sollen: „Ich möchte eine alte Kirche sein / Voll Weihrauch, Dunkelheit und Kerzenschein.// Wenn du dann diese trüben Stunden hast, / gehst du herein zu mir mit deiner Last.“ Aus der genannten Biographie geht hervor, dass die Gruppe um die Weiße Rose gerne solche Texte von Schriftstellern las, die geblieben sind, von Menschen, die „lebendigen Leibes neben uns stehen“ wie Inge Scholl geschrieben hatte (224), auch noch 1943, kurz vor ihrer Hinrichtung, empfanden die Geschwister diese Texte als Kraftquelle (422).

Hausmann selbst fühlte sich angesichts seiner Verhaltensweisen – wie weit sie auch immer gegangen waren – schuldig. Soweit ich sehe, bestanden seine Schuldgefühle im Grunde darin, dass er sich sagt, dass er mehr hätte gegen die Barbarei tun müssen. Als kurze biographische Darstellung sei auch in diesem Zusammenhang empfohlen: http://www.klaus-seehafer.de/dichter_denker/hausmann.htm (Klaus Seehafer: „Wo kein Sinn mehr mißt / waltet erst der Sinn“) Es ist auffällig, dass er, von den mir vorliegenden Gedichten aus beurteilt, wirklich in einer anderen Welt wohnte. Manche Autoren lassen Nähe zum Hitler-Regime erkennen, manche Distanz, manche änderten ihre Meinung – aber bei Hausmann: nichts dergleichen. Er lebt, wie gesagt, in einer von politischen Einflüssen losgelösten Welt. Er hält in den Gedichten eine Welt aufrecht, die es eben in dieser aufgeregten Zeit auch gab: eine der Liebe, der Sexualität, der Natur.

In späterer Zeit trennte er die Gattungen: In Gedichten dichtete er, in Predigten verkündigte er. Aber es gibt auch Gedichte, die den Glauben wiedergeben. Im Wesentlichen beschreiben die Gedichte – und da beziehe ich mich zunächst auf „Jahre des Lebens“ – in der Ausgabe des Neukirchener Verlages von 1974 – das Fühlen des Menschen angesichts der Natur, auch angesichts der Zweisamkeit von Menschen. Es ist die Harmonie, das Außen der Welt, die Natur, der andere Mensch, werden in dem Dichter eine gefühlte, das heißt erlebte Einheit. Im Grunde entzieht sich Gott einer solchen Vereinnahmung, darum ist es verständlich, dass Hausmann Schwierigkeiten hatte, Glaubensgedichte zu schreiben. Aber auch aus dieser Perspektive hat er sehr schöne Glaubensgedichte geschrieben. In „Weg in der Dämmrung“ beschreibt er einen Schneespaziergang gegen Abend. Und dieses Empfinden wird zu einem Gleichnis, das über diese Situation hinausweist. Die letzten Zeilen lauten: „Wer des Lichts begehrt, / Muß ins Dunkel gehn. / Was das Grauen mehrt, / läßt das Heil erstehn. // Wo kein Sinn mehr mißt, / waltet erst der Sinn. / Wo kein Weg mehr ist, / ist des Wegs Beginn.

Manche Gedichte beschreiben biblische Situationen, so „Die Weisen“ aus dem Morgenland – der Stern schweigt. Ihre Interpretation des Sternes lässt sie ihm folgen. „Vielleicht nach hundert Tagen / erkennen wir, daß wir geirrt. / Er glänzt und schweigt. Wir müssen´s wagen.“ Die Weisen von damals werden auf diese Weise Wagens-Vorbilder für Menschen der Gegenwart. Im Kontext von Weihnachten beschreibt das Gedicht „Heilige Nacht“ äußerst lakonisch, worin die heilige Nacht bestand. Im Grunde grausamer Alltag für Mutter, Vater und Kind. „Das Kind lag hilflos auf seinem Stroh. / Der Tod war seines Sieges gewiß. / Aber das blieb nicht so.“ – Das ist die heilige Nacht: Der Tod siegte nicht, obgleich es in der lärmenden Welt so schien. Glauben ist für Hausmann – so lassen seine Gedichte erkennen – Rettung angesichts der Übel der Welt. So heißt es in dem Gedicht „Glauben“: „wenn einer so wild verzweifelt ist / an Leib und Leben, an Seele und Sinn /… / und schreit nach Gott sich die Seele wund: / dann glaubt er auf die richtige Art.“ Im „Gebet der Verzweiflung“ bittet er auch: „O Herr, laß mich verzweifeln an der Fremdheit / um dich! Denn wenn ich dich verstünde, Herr,  / verstünde ich dich nicht, dein Wesen nicht. / Doch wenn ich ganz an dir verzweifle, dann / verstehe ich, wer du in Wahrheit bist.“ Und hier kommt die Theologie seiner Zeit, die von Kierkegaard und Karl Barth geprägt wurde zum tragen: Der Mensch kann Gott nicht haben, „Nur wenn Er dich hat, hast du ihn.“ Das wird ganz heftig auch in dem Gedicht „Verzweifelt und getrost“ ausgesprochen: Wer aus Gott herausfällt, fällt in ihn hinein.

Wenn die Gedichte aus Manfred Hausmann: Die Gedichte, Gesammelte Schriften, Suhrkamp Verlag 1949 hinzu genommen werden (Gedichte aus „Jahre des Lebens“ von 1938/1940, „Alte Musik“, von 1941 und „Füreinander“ aus dem Jahr 1946), ändert sich das beschriebene Bild mit Blick auf den Glauben kaum. Es wird deutlich, dass Hausmann vielfach Weihnachten besingt. So redet in „Der Weihnachtsstern“ derselbe. Er sagt, er komme aus einer anderen Welt, aus einer anderen Zeit, eben der Gottes. Und es endet: „Vielleicht daß einer, der mich sieht, sich bang / erhebt und aufbricht und aus seiner Fülle / ins Ungewissen geht sein Leben lang.“ Andere hingegen, so „Heiliger Abend“ leben in Dunkelheit und lauschen, halten den Atem an: „da ist´s, als müsse gleich aus Unbekanntem, / unendliche Anderem die Ewigkeit, / als müsse wieder Gott mit nie Genanntem / einbrechen in die gnadenlose Zeit.“ Ebenso dunkel ist „De profundis“. Das lyrische Ich / Hausmann verzweifelt an der Welt, weiß um seine Schuld, ist verwirrt. Und er ruft: „Ach komm doch, komm und wende / dich her zu mir! Ach neig dich nieder / und leg das Dunkel deiner Hände / auf meine kranken Lider / und auf das ganze wehe, / versinkende Gesicht! / Ich glaube, daß ich dich dann sehe. / Jetzt sehe ich dich nicht.“ Es wird nicht ausgesprochen, wer gerufen wird, wessen Ansehen erhofft wird. Es wird jedoch anzunehmen sein, dass der Tod gerufen wird – und mit dem Tod Gott. Denn das Ziel wird nicht sein, den Tod zu sehen, sondern Gott, den er auf der Erde nicht sehen kann. De profundis kommt aus dem Psalm 130: Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.

Das Verhältnis zu Gott ist erkennbar – aber es ist doch immer wieder eines, das gestört wird. Von Gott gestört werden kann – zumindest in der mir vorliegenden älteren Version des Gedichts „Gebet zur Ernte“. Die neuere Version wird daneben wiedergegeben, in ihr ist es der Mensch, der die Beziehung stört:

Laß, o Gott, dies tief geheime, dies dein WaltenLaß, o Gott, in uns auch dein geheimes Walten
auch in uns, die du von dir entferntest,ob wir gleich uns weit von dir entfernten,
in den Jungen sich bewegen und den Alten,in den Jungen sich bewegen und den Alten,
bis du uns in deine Scheuer erntest.bis uns deine Hände gnädig ernten.

Es wird deutlich, dass Hausmann den Glauben behutsam in den Gedichten einbringt, dass er auch die Schwierigkeit des Menschen nicht verschweigt, aber gleichzeitig aufzeigt, dass der Mensch weiterfragen muss. In „Altes Mosaikbildnis“ heißt es: „Fast könntest du die Fremdheit nicht ertragen, / und doch seist du dazu bestellt, / du auch, nach dem Unendlichen zu fragen / in all der Endlichkeit der Welt.“ Der Mensch muss weiterfragen und er spürt auch, dass ihn Gottes Melodie durchschwingt – und dann kommt sofort jedoch wieder die Einschränkung: „Wen Er mit seinem Weben / und Klang erfüllt, wird immer unerfüllter.“ („Ein Engel mit einer Laute“) Andererseits deutet „Im Nebel“ an: „Wer heute durch das Wesenlose geht, / das Baum und Strauch umfangen hält, / vernimmt, wie Leises Leisem sich gesellt, / vernimmt den Laut, der sonst im Wind verweht / und in dem Rauschen dieser Welt.“ Es ist ein Verlieren Gottes und ein Wahrnehmen Gottes. beides gehört für Hausmann zum Menschsein. So lassen es zumindest die Gedichte erkennen. Dieses Ahnen ist auch in „Wintergewitter“ erkennbar. Dass das nicht in die Gedichte hinein gelesen wird, wird deutlich in dem Gedicht ausgesprochen: „Auf eine Blume deren Namen ich nicht weiß“. Die letzte Strophe spricht aus, dass die Welt – wie es wohl fast alle christlichen Dichter sehen – ein Gleichnis ist, dass sie für Gott durchlässig ist:
Da ahnt ich das Geheimnis in der Welt.
Denn schön ist nur und tief, was einen Anhauch
durch sich hindurchläßt dieses fremden Leuchtens,
wie´s aus den Wassern steigen, wie´s hernieder
vom Sternenhimmel flimmern oder wie´s
unsagbarer von anderswo uns kommen,
von Ewigem uns kommen mag. O schweig!

(Auch von den letzten zwei Zeilen liegen unterschiedliche Versionen vor: „oder wie´s / aus anderen Bereichen zu uns kommen, / aus Jenseitigem kommen mag. O schweig!“)