Däubler, Carossa, Weiss, Stadler, Ball

Theodor Däubler 1876-1934

Eine Auseinandersetzung findet zu Däubler statt: a) er hat christliche Gedichte geschrieben – eine Interpretation, die Däubler aber selbst ablehnt, weil er meint, Christus sei zwar der Ursprung der Liebe, aber die Liebe sei die Religion der Seele, er feiere den Pantheismus. Nichts desto trotz haben seine Gedichte mancherlei Anklänge an den Gott, den Christen bekennen. Andere greifen das auf, wohingegen wieder andere meinen: Däubler sei wie jeder von der Sprache abhängig. Gott schreibt im Menschen durch dessen Sprache. Gott selbst treibt das Unbewusste Däublers wie jedes Dichters an. (So in Carlo Schmitts Kulturkritik der Moderne von Ingeborg Villinger 149ff.; vgl. auch Gertrud von Le Fort.) In dieser Diskussion geht es um die Gedichtsammlung „Nordlichter“. Däublers Pantheismus konnte letztlich die Menschen wohl nicht weiter überzeugen. Diese Bemerkung stelle ich allen voran, weil sie auch für andere Autorinnen und Autoren relevant sein kann.

Hans Carossa (1878-1957)

War Arzt und gab seine Praxis auf, um als Schriftsteller arbeiten zu können. Er war sehr geehrt und wurde viel gelesen. Sein Verhalten unter der Herrschaft des Nationalsozialismus war kritisch aber ambivalent. Auch er gehörte wie Ina Seidel zu den sechs Schriftstellern auf Hitlers „Gottbegnadeten-Liste“ von 1944.

Die folgenden Anmerkungen gründen sich auf die kommentierten Gedichte von Eva Kampmann-Carossa: Hans Carossa. Gedichte, Insel-Verlag 1995.

Carossa hat in seinen Gedichten kaum Gott erwähnt. Es ist nur auffällig, dass er in älteren Versionen Gott nennt, dann aber in der jeweiligen Endfassung umformuliert hat. So finden wir in „Leidenschaft“ ursprünglich: „uns leitet Gott in menschlich-bittern Schranken“ daraus wird: „Uns führt ein Gott in strengen Lebensschranken“; das Gedicht „Geheimnisse“ hieß ursprünglich „Glauben“ und aus den Zeilen „damit uns endlich / der Gott zur Freude ruft!“ wird: „Damit uns Erde / Zur Heimat wird.“ Im Gedicht „Ja, wir sind Widerhall des ewigen Halls“ hieß es am Ende ursprünglich: „Seele, wie weit sie sich spannt / in die Zeit, in die Tat, in das Glück, / so selig schnellt sie am Ende zurück / in Gottes Brust…“ Die Endversion lautet: „Wie weit eine Liebe sich spannt / In die Zeit, in die Tat, in das Glück ihrer Erde, / So tief wird sie zeugen im ewigen Werde.“ Ähnliches ist auch in „An das Ungeborene“ zu finden: Es ruht in der alten Version in „Gottes Ruh“ in der neuen Version heißt es: „weltlos ruhend!“ Das Gedicht „Stunde der Erlösung“ soll Carossa 1901 laut Kommentar gedichtet haben, als er endlich von seinen Eltern frei leben konnte. Doch im Gedicht heißt es: „Auf nichts gestellt… / Keines Gotts mehr Tyrannenspott – / Selber Gott, / Selber ein Schöpfer, der Welten schafft!“  

Nur das Ostern-Gedicht, das später die Überschrift „Fahrt“ bekommen hat, gibt eine religiös formulierte Kindheitserinnerung mit Anklängen an das Neue Testament wieder, eine Bootsfahrt an Ostern. Nachdem das Ostermahl verzehrt war, „Wir aßen Brot und tranken Wein. / Sturm schlug uns ins Gesicht. / Die Woge griff nach uns herein; / wir fürchteten uns nicht.“ Warum fürchteten sie sich nicht?: „Wir glaubten selig an den Geist, / Der uns versprochen ward.“ Auch das hat neutestamentlichen Klang: Der auferstandene Jesus Christus verheißt den Gottesgeist.

Warum Carossa aus seinen Gedichten Gott entfernte, entzieht sich meiner Kenntnis. Dazu kenne ich seine Werke zu wenig. Er spricht häufig von einem „Geist“, vom Schutzgeist usw.

Mit Blick auf die Zeit sei kurz ein Text genannt, der äußerst kalt ist: „Rings brennen Städte, / Rings modern Leichen. / Ich geh vorüber, / Das sind nur Zeichen, // Mich zu verstören / In meiner Seele, / Daß ich vor Kummer / Den Weg verfehle.. // Gern ruh ich abends / Am Berg der Hirten, / Die Märchen sagen / Und mich bewirten.“ Weltflucht. Anders kann man das wohl kaum nennen.

Konrad Weiss (1880-1940)

Ich kann zu den Gedichten von Konrad Weiss nichts sagen. Sie übersteigen mein Verstehen – es ist mir auch nicht möglich, mich in sie hineinzufühlen. Er soll einer der wichtigen christlichen Dichter des 20. Jahrhunderts gewesen sein (so hat Friedhelm Kemp in seinem Gedichtband sehr viele Gedichte von Weiss veröffentlicht) – aber wie geschrieben, ich finde nicht den kleinsten Zugang. Er bricht die Bilder in so vielfältiger Form und mit äußerst vielen Assoziationen, sodass sie mir ein Rätsel bleiben. Die Gedichte zeigen im Grunde, dass man Gott nicht mit Worten erfasst. Bevor ich dazu lange räsoniere, verlasse ich den Dichter.

Ernst Stadler (1883-1914)

Professor für Philologie in Brüssel. Er war Expressionist, der von Stephan George beeinflusst war – hat aber christliche Dichter, wie Francis Jammes übersetzt. Er wurde 1914 durch eine Granate getötet.

Die Gedichte von Stadler tendieren dahin, statt Gott zu suchen, sich selbst zu finden, man soll nicht Hände falten, sondern stürmen. Er verwendet religiöse Sprache in vielfältigen Zusammenhängen, so in der Beschreibung von Frauenfiguren in einem Dom , ein Text, in dem ein junger Mönch im Blick ist, aber Gott selbst wird nicht vertiefter bekannt. Vielleicht in der „Anrede“ – in der ein DU angeredet wird, also wohl ein Gebet ist – aber da erwähnt er das Wort „Gott“ nicht. „Ich bin nur Flamme, Durst und Schrei“, ein „irrender Stern“, aber das Du ist schützendes, ewiges Zeichen. – Er greift die germanisch-religiöse Stimmung der Zeit auf, indem er das Leiden Jesu Christi mit Baldur / Balder verbindet: Warum Baldur? Balder der reine, helle, leuchtende Held, barmherzig, schön, er wird von den Asen beschossen, aber er ist unverwundbar, allerdings als ihn ein Mistelzweig trifft, stirbt er. Sonnenwendfeier. Balder wird am Ende der Zeit als Lichtgestalt wiederkommen und ein neues Zeitalter herbeiführen. In dem Gedicht Baldur hat er ihn mit der Sonne verbunden. Was er mit der Verknüpfung Christus/Baldur bezweckt, erschließt sich mir nicht – da müsste man sehen, ob er überhaupt versuchte, germanische Religiosität – vor allem auch Naturreligiöses – mit der Tradition zu verknüpfen. Kirche scheint Vergangenheit  zu sein. Baldur ist modern.

Die Evokation: Handelt es sich um ein Liebesgedicht, trotz der Anspielungen auf die Bibel? „Und alle Himmel haben / blaugemaschte Netze ausgehangen – / O wunderbarer Fischzug / der Unendlichkeit! Glück des Gefangenseins, / sich selig hinzugeben…/… Tief in den warmen Schatten / ihres Fleisches sich verschmiegen, / Hinströmen, über sich den Himmel, / weit, ganz weit das Leben…“. Äußerst spannend ist, wenn all diese genannten Gedichte im Hintergrund stehen, das Gedicht „Die Befreiung“ von 1914, veröffentlicht in seinem letzten Lebensjahr: „Da seine Gnade mir die Binde von den Augen schloß, / Troff Licht wie Regen brennend. Land lag da und blühte. / Ich schritt so wie im Tanz. Und was davor mich mit Knebeln mühte, / Fiel ab und war von mir getan. Mich überfloß / Das Gnadenwunder, unaufhörlich quellend – so wie junger Wein…“ – und er war fähig, ausgestoßene Menschen zu lieben wie Geschwister. In dieser meiner Darlegung „Gott in Gedichten“ ist vielfach das Thema gewesen: Grenzen, die dem Menschen als Geschöpf gesetzt sind, werden mit dem Glauben an Gott überwunden. Diese Grenzüberwindung wird in dem Gedicht massiv verdeutlicht. Von der Gnade spricht auch dieses Gedicht: Gegen Morgen, in dem geschildert wird, dass Frauen in Kathedralen beten: „O Engelsgruß der Gnade . . ungenannt im Chor der Gläubigen stehn und harren, daß die Pforte / Aufspringe, und ein Schein uns kröne wie vom Haar von unsrer lieben Frauen.“

Sein Werk ist unvollendet. Er ist einer der wenigen, von dem ich gerne wüsste: Wohin hätte er sich weiter entwickelt?

Hugo Ball (1886-1927)

Er begann mit dem Studium der Philosophie, war beeinflusst von Nietzsche, besuchte dann die Schauspielschule, war Hilfskraft für Regie – Leben war Theater -, wurde Redakteur. Er hat sich nach einer Zeit der Konfrontation mit der Kirche der katholischen Kirche zugewendet, in der er in einer erneuerten Kirche Hilfe für das chaotische Europa sah. Er ist einer der Hauptbegründer des Dadaismus, der versuchte, mit scheinbarem sprachlichem Klamauk dem Leiden der Zeit etwas entgegenzustellen: das Leben zu ergründen, mit Kunst schöpferisch tätig zu sein. Im Grunde griff er liturgischen Singsang der Messe auf und verwendete ihn als Kampf gegen Propaganda, die Technisierung und Bürokratisierung, auch karikierte damit im Grunde auch den Kriegspatriotismus des damaligen biederen Bürgertums im Kaiserreiche: „Seepferdchen und Flugfische“: „tressli bessli nebogen leila / flusch kata / ballubasch / zack hitti zopp“ um nur die erste Strophe zu zitieren (Zu „Ein Krippenspiel“ s.: https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/20Jh/Ball/bal_krip.html ; zu Dada: https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/20Jh/Ball/bal_rede.html ). Seine Frau und er emigrierten in die Schweiz und gründeten dort ein Cabaret – und er war wohl auch international unterwegs. Dieser Teil seiner Vergangenheit wurde ihm dann uninteressant. Mit Hermann Hesse war er befreundet, über den er auch eine Biographie schrieb. Neben weiteren Veröffentlichungen (Kritik der deutschen Intelligenz) beschäftigte er sich mit Heiligen des Byzantinischen Christentums (1923) und schrieb für die katholische Zeitschrift „Hochland“ und veröffentlichte sein überarbeitetes Tagebuch „Flucht aus der Zeit“ (vielleicht im Sinne von Überwindung der Zeit aus dem Glauben heraus). Nach seinem frühen Tod aufgrund einer Krankheit veröffentlichte seine Frau eine Biographie: „Hugo Balls Weg zu Gott“.

„Sie haben das Reich Gottes auf Erden“ – das Gedicht gibt das wieder, was aus meiner Perspektive für den zeitkritischen Ball wichtig war: Menschen versuchen das Reich Gottes auf Erden zu errichten – errichten aber „Irrenhäuser für den Geist. / Sie nennen Mondsucht alles Prophezeien. / Sterngucker Jeden, der ins Jenseits weist.“ Es ist die ausgrenzende Leichtfertigkeit der Zeit, die er kritisiert. Sie haben das Ringen mit dem Engel (also mit Gott – wie Jakob) nicht kennengelernt: „Nie haben sie gekrümmt sich und gespien / Am Boden ringelnd schwarze Blasphemie, / Nie haben sie gezischt und nie gesegnet“. Schärfer beschreibt er in „Der gefallene Cherub“ seine Zeit: „uns beschlich ein Sehnen / Nach Untergang und gallengetränkten Tränen / Zu schlürfen aller Trauermeere Flut.“ Und „Wir“ verlangten „uns dort anzulehnen, / Wo der versunkenste der Engel ruht.“

Er wandte sich auch gegen den Krieg und schreibt in „Totentanz 1916“: „Blutig und besudelt der liebe Gott. 7/ Wir danken dir, wir danken dir, / Herr Kaiser für die Gnade, / Weil du uns zum Sterben erkoren hast.“ In einem Kampf anderer Art befindet er sich: gegen Schwermut. In dem Gebet „Wie bin ich, Herr“ schildert er, dass seine „Worte irr im Raum verhallen“, dass das Loblied, das er singen will, in seinem Verlies stecken bleibt, da eine namenlose Tiefe ihn umhüllt und Verlorensein ihn erfüllt. Diese Gefangenschaft „auf der Himmelsleiter“ beschreibt er auch in „Gefangen ward ich“. Aber in dieser Gefangenschaft fühlte er „nur der großen Flügel Wehen. / Das klang wie ein Magnifikat der Frühe“. Engel und Maria spielen in seinen Gedichten eine große Rolle – vor allem Maria, als die Mutter, bei der er sich geborgen fühlt. Die Mariengedichte werden hier wie in meiner gesamten Darlegung der Autoren nicht weiter vertieft. Das Gedicht „Die Berge meiner Schwermut“ endet mit Blick auf Gott: „Gelobt sei, der aus Finsternissen / Die Flügel meiner Sehnsucht zu sich rief.“ Die Gefangenschaft in der Schwermut ist häufiger Thema. In „Wieder ist ein Tag“ drängt er sich zum Licht, aber: „Daß ich, eh mein Schatten folge, / Flehend ein Gebet verrichte.“ An diesen Zeilen wird deutlich, wie wichtig ihm das Gebet war. Die „Gottesmühle“ möge ihn erfassen, dass er „Ganz zerstäubt zu Licht und Helle“ – um als Zerstäubtes „Die Unendlichkeit zu trinken.“ – so in „Die Linde“.

Gott ist es, der ihn sendet. Das Gedicht „Im Krankenhause“ schließt er: „Du sendest, Herr, uns aus wie Frühlingslieder, / Erhöre und, wir klingen wieder …“. Dieses Gedicht „Unser Haus“ ist wohl in einem anderen Kontext einzuordnen, aber die Formulierung. „Deines Mundes Lächeln ließest / Du in unsere Herzen fallen“, großer Vater, weist auch darauf hin, dass derjenige, in dessen Herz dieses Lächeln des Gottesmundes gefallen ist, nicht schweigen kann.

Berücksichtigt für diese Darstellung habe ich: Annemarie Schütt-Hennings (Hg.): Hugo Ball. Gesammelte Gedichte, Arche Verlag Zürich 1963.